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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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elf Paragraphen lassen sich die drei Ursachen unsers Kanzleistils -- der Kanz¬
leistil selbst würde sagen "Faktoren"! --: Ungeschick, Wichtigthuerei und
Angst vor Mißverständnis deutlich nachweisen. Wir wollen sie einzeln be¬
trachten.

1. Das Heft ist persönlich und unübertragbar, kann daher nur von derjenigen
Person benutzt werden, welche mit demselben (!) die Reise angetreten hat. Die
nufsichtführenden Beamten der Eisenbahn- oder Dampfschiff-Berlvaltuugen sind be¬
rechtigt, behufs (!) Feststellung der Persönlichkeit des Reisenden von dem letzteren (!)
die Wiederholung seiner, vor Antritt der Reise auf der Außenseite des Umschlages
mit Dinte (D!) gegebenen Namensunterschrift zu fordern. Ergiebt sich, das; der
Reisende nicht der rechtmäßige Inhaber des Heftes ist, so wird ihm das letztere (!)
abgenommen und er als Solcher (S!) behandelt, der ohne giltige Fahrkarte be¬
troffen wird.

In dem ersten Satze dieses Paragraphen ist nicht weniger als dreimal
dasselbe gesagt. Denn unübertragbar heißt doch nichts anders, als was
schon -- übrigens in etwas zweifelhaftem Deutsch -- mit persönlich gesagt
sein soll, und was dann folgt, ist wieder eine unnötige Erklärung des Wortes
unübertragbar. Soll aber damit gesagt sein, daß ich das Heft, solange
ich die Reise noch nicht begonnen habe, an jede andre Person abtreten könne,
so ist doch das Heft in diesem Falle thatsächlich übertragbar, die erste,
allgemeine Vehanptnng also falsch. Der zweite Satz enthält einen starken
logischen Verstoß, weil die Hauptsache ganz beiläufig in Form eines abhängigen
Genetivs ausgedrückt ist. Es ist, als ob dem Verfasser diese Hauptsache erst
nachträglich eingefallen wäre, er aber keine Lust gehabt hätte, deshalb den
Satz noch einmal neu von vorn anzufangen. Jeder Reisende soll vor dem
Antritt der Reise mit Tinte seineu Namen auf den Umschlag schreiben -- das
ist die Hauptsache, deun es wird in jedem Falle gefordert, in tausend Fällen
also tausendmal. Daß die Person eines Reisenden Zweifel erregt und er des¬
halb aufgefordert wird, auf der nächsten Station seinen Namen zum Vergleich
-- "behufs" des Vergleichs würde die Eisenbahnverwaltung sagen -- auf
ein beliebiges Stück Papier zu schreiben, das wird in tausend Fällen kaum
einmal vorkommen. Der Satz müßte also vernünftigerweise so lauten: "Der
Reisende hat vor dem Antritt der Reise auf den Umschlag ^natürlich auf die
"Außenseite"! denn dort steht ja "Unterschrift des Inhabers" vorgedruckts
seinen Namen zu schreiben; die Bahn- oder Schisfsbeamten sind berechtigt
^natürlich die "aufsichtführenden"! der Heizer oder der Weichensteller nichtlj,
in Zweifelsfällen von ihm die Wiederholung dieser Unterschrift zu fordern."
Der letzte Satz endlich, worin zum zweitenmale innerhalb von drei Zeilen das
thörichte letztere vorkommt, obwohl nirgends von einem "erstern" die Rede ist,
würde in gutem Deutsch etwa so heißen: "Ergiebt sich dabei, daß der Reisende
nicht der rechtmäßige Inhaber ist, so wird ihm das Heft abgenommen und er
wie einer behandelt, der ohne giltige Fahrkarte betroffen worden ist."


elf Paragraphen lassen sich die drei Ursachen unsers Kanzleistils — der Kanz¬
leistil selbst würde sagen „Faktoren"! —: Ungeschick, Wichtigthuerei und
Angst vor Mißverständnis deutlich nachweisen. Wir wollen sie einzeln be¬
trachten.

1. Das Heft ist persönlich und unübertragbar, kann daher nur von derjenigen
Person benutzt werden, welche mit demselben (!) die Reise angetreten hat. Die
nufsichtführenden Beamten der Eisenbahn- oder Dampfschiff-Berlvaltuugen sind be¬
rechtigt, behufs (!) Feststellung der Persönlichkeit des Reisenden von dem letzteren (!)
die Wiederholung seiner, vor Antritt der Reise auf der Außenseite des Umschlages
mit Dinte (D!) gegebenen Namensunterschrift zu fordern. Ergiebt sich, das; der
Reisende nicht der rechtmäßige Inhaber des Heftes ist, so wird ihm das letztere (!)
abgenommen und er als Solcher (S!) behandelt, der ohne giltige Fahrkarte be¬
troffen wird.

In dem ersten Satze dieses Paragraphen ist nicht weniger als dreimal
dasselbe gesagt. Denn unübertragbar heißt doch nichts anders, als was
schon — übrigens in etwas zweifelhaftem Deutsch — mit persönlich gesagt
sein soll, und was dann folgt, ist wieder eine unnötige Erklärung des Wortes
unübertragbar. Soll aber damit gesagt sein, daß ich das Heft, solange
ich die Reise noch nicht begonnen habe, an jede andre Person abtreten könne,
so ist doch das Heft in diesem Falle thatsächlich übertragbar, die erste,
allgemeine Vehanptnng also falsch. Der zweite Satz enthält einen starken
logischen Verstoß, weil die Hauptsache ganz beiläufig in Form eines abhängigen
Genetivs ausgedrückt ist. Es ist, als ob dem Verfasser diese Hauptsache erst
nachträglich eingefallen wäre, er aber keine Lust gehabt hätte, deshalb den
Satz noch einmal neu von vorn anzufangen. Jeder Reisende soll vor dem
Antritt der Reise mit Tinte seineu Namen auf den Umschlag schreiben — das
ist die Hauptsache, deun es wird in jedem Falle gefordert, in tausend Fällen
also tausendmal. Daß die Person eines Reisenden Zweifel erregt und er des¬
halb aufgefordert wird, auf der nächsten Station seinen Namen zum Vergleich
— „behufs" des Vergleichs würde die Eisenbahnverwaltung sagen — auf
ein beliebiges Stück Papier zu schreiben, das wird in tausend Fällen kaum
einmal vorkommen. Der Satz müßte also vernünftigerweise so lauten: „Der
Reisende hat vor dem Antritt der Reise auf den Umschlag ^natürlich auf die
»Außenseite«! denn dort steht ja »Unterschrift des Inhabers« vorgedruckts
seinen Namen zu schreiben; die Bahn- oder Schisfsbeamten sind berechtigt
^natürlich die »aufsichtführenden«! der Heizer oder der Weichensteller nichtlj,
in Zweifelsfällen von ihm die Wiederholung dieser Unterschrift zu fordern."
Der letzte Satz endlich, worin zum zweitenmale innerhalb von drei Zeilen das
thörichte letztere vorkommt, obwohl nirgends von einem „erstern" die Rede ist,
würde in gutem Deutsch etwa so heißen: „Ergiebt sich dabei, daß der Reisende
nicht der rechtmäßige Inhaber ist, so wird ihm das Heft abgenommen und er
wie einer behandelt, der ohne giltige Fahrkarte betroffen worden ist."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/606>, abgerufen am 08.01.2025.