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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Liu bedenklicher Widerspruch

nicht tragen kann. Die Maßregel ist um so bedenklicher, wenn sich, wie gar
nicht zu bezweifeln ist, herausstellen sollte, daß sie auf die Dauer ihre Wir¬
kung verliert. Der Stand der Arbeiter wird durch die Konkurrenz der
Ausländer heruntergedrückt, die billigen Löhne aber kommen auf die Dauer
nicht den Landwirten, sondern dem Grundbesitz und dem Kapital zu gute.
Daß die Grundbesitzer keinen Anspruch auf stetige Steigerung der Grundrente
haben, wird man zugeben. Wenn das allgemeine nationale Gedeihen zu einer
Steigerung der Grundrente führt, so wird jedermann den Grundbesitzern diesen
Vorteil gönnen. Aber es fragt sich doch, ob der Staat Mittel anwenden darf,
die Grundrente zu erhöhen oder deren Fallen abzuwenden. Solche Eingriffe
zum Vorteil der bessergestellten im Staate sind nicht ohne Bedenken.

In Großbritannien hat der Grundbesitz durch den freien Import land¬
wirtschaftlicher Erzeugnisse kolossale Einbuße erlitten. Er war reich genug,
den Schaden zu tragen, und der Staat hat sich uicht veranlaßt gesehn, den
Schlag abzuwehren oder die Folgen zu mildern. In Deutschland war der
Grundbesitz nicht reich genug, ähnliche Einbuße zu ertragen, nud die Notlage
der Grundbesitzer hätte auf das Wohl des gauzeu Landes in verderblichster
Weise zurückgewirkt. Das war der Grund, warum landwirtschaftliche Zölle
eingeführt wurden und werden durften. Anders aber ist es mit Maßregel",
die dem Grundbesitz zuliebe getroffen werden, zugleich aber die Interessen
des ausgedehntesten Standes, des Arbeiterstandes, empfindlich verletzen. Sie
entsprechen nicht der Gerechtigkeit und können nicht verfehlen, die Erbitterung
und den .Klassenhaß zu verschärfe"?.

Es ist auffallend, daß von den deutschen Sozinldemokraten die Zulassung
ausländischer Arbeiter nicht stärker als mit den Interessen der Arbeiterwelt
im Widerspruch stehend hervorgehoben wird. Die Parteiprogramme berühren
diesen Punkt gar nicht. Es entspricht das aber dem kosmopolitischen Sinne
der deutschen Sozialdemokratie, die ihre Theorien für die Arbeiterschaft der
ganzen Welt zu verwirklichen strebt. In andern Ländern, wo man mehr die
naheliegenden Interessen ins Ange saßt und praktische Nrbeiterpolitik treibt,
tritt der Widerspruch gegen die Aufnahme fremder Arbeiter schon häufig genng
hervor. Die englischen Arbeiter beschweren sich lebhaft über die Konkurrenz
der deutschen. Die französischen Arbeiter haben häufig Streitigkeiten mit den
italienischen im südlichen Frankreich und dringen neuerdings darauf, daß die
belgischen Arbeiter ans Frankreich entfernt werden. Es leidet wohl keinen
Zweifel, daß bei deu zur Zeit bestehenden ungünstigen Absatzverhältnissen die
Arbeitslosigkeit der Massen, die durch die jetzige Produktionsweise ohnehin
gefördert wird, wiederholt in gefahrdrohender Weise zur Erscheinung kommen
wird. Dann wird sich immer die Frage aufdrängen, welche Mittel zu er¬
greifen sind, die Zahl der Unbeschäftigten und Arbeitsuchenden zu vermindern,
und das Mittel wird vor allem darin zu suchen sein, daß die im Reiche vor-


Liu bedenklicher Widerspruch

nicht tragen kann. Die Maßregel ist um so bedenklicher, wenn sich, wie gar
nicht zu bezweifeln ist, herausstellen sollte, daß sie auf die Dauer ihre Wir¬
kung verliert. Der Stand der Arbeiter wird durch die Konkurrenz der
Ausländer heruntergedrückt, die billigen Löhne aber kommen auf die Dauer
nicht den Landwirten, sondern dem Grundbesitz und dem Kapital zu gute.
Daß die Grundbesitzer keinen Anspruch auf stetige Steigerung der Grundrente
haben, wird man zugeben. Wenn das allgemeine nationale Gedeihen zu einer
Steigerung der Grundrente führt, so wird jedermann den Grundbesitzern diesen
Vorteil gönnen. Aber es fragt sich doch, ob der Staat Mittel anwenden darf,
die Grundrente zu erhöhen oder deren Fallen abzuwenden. Solche Eingriffe
zum Vorteil der bessergestellten im Staate sind nicht ohne Bedenken.

In Großbritannien hat der Grundbesitz durch den freien Import land¬
wirtschaftlicher Erzeugnisse kolossale Einbuße erlitten. Er war reich genug,
den Schaden zu tragen, und der Staat hat sich uicht veranlaßt gesehn, den
Schlag abzuwehren oder die Folgen zu mildern. In Deutschland war der
Grundbesitz nicht reich genug, ähnliche Einbuße zu ertragen, nud die Notlage
der Grundbesitzer hätte auf das Wohl des gauzeu Landes in verderblichster
Weise zurückgewirkt. Das war der Grund, warum landwirtschaftliche Zölle
eingeführt wurden und werden durften. Anders aber ist es mit Maßregel»,
die dem Grundbesitz zuliebe getroffen werden, zugleich aber die Interessen
des ausgedehntesten Standes, des Arbeiterstandes, empfindlich verletzen. Sie
entsprechen nicht der Gerechtigkeit und können nicht verfehlen, die Erbitterung
und den .Klassenhaß zu verschärfe»?.

Es ist auffallend, daß von den deutschen Sozinldemokraten die Zulassung
ausländischer Arbeiter nicht stärker als mit den Interessen der Arbeiterwelt
im Widerspruch stehend hervorgehoben wird. Die Parteiprogramme berühren
diesen Punkt gar nicht. Es entspricht das aber dem kosmopolitischen Sinne
der deutschen Sozialdemokratie, die ihre Theorien für die Arbeiterschaft der
ganzen Welt zu verwirklichen strebt. In andern Ländern, wo man mehr die
naheliegenden Interessen ins Ange saßt und praktische Nrbeiterpolitik treibt,
tritt der Widerspruch gegen die Aufnahme fremder Arbeiter schon häufig genng
hervor. Die englischen Arbeiter beschweren sich lebhaft über die Konkurrenz
der deutschen. Die französischen Arbeiter haben häufig Streitigkeiten mit den
italienischen im südlichen Frankreich und dringen neuerdings darauf, daß die
belgischen Arbeiter ans Frankreich entfernt werden. Es leidet wohl keinen
Zweifel, daß bei deu zur Zeit bestehenden ungünstigen Absatzverhältnissen die
Arbeitslosigkeit der Massen, die durch die jetzige Produktionsweise ohnehin
gefördert wird, wiederholt in gefahrdrohender Weise zur Erscheinung kommen
wird. Dann wird sich immer die Frage aufdrängen, welche Mittel zu er¬
greifen sind, die Zahl der Unbeschäftigten und Arbeitsuchenden zu vermindern,
und das Mittel wird vor allem darin zu suchen sein, daß die im Reiche vor-


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[0594] Liu bedenklicher Widerspruch nicht tragen kann. Die Maßregel ist um so bedenklicher, wenn sich, wie gar nicht zu bezweifeln ist, herausstellen sollte, daß sie auf die Dauer ihre Wir¬ kung verliert. Der Stand der Arbeiter wird durch die Konkurrenz der Ausländer heruntergedrückt, die billigen Löhne aber kommen auf die Dauer nicht den Landwirten, sondern dem Grundbesitz und dem Kapital zu gute. Daß die Grundbesitzer keinen Anspruch auf stetige Steigerung der Grundrente haben, wird man zugeben. Wenn das allgemeine nationale Gedeihen zu einer Steigerung der Grundrente führt, so wird jedermann den Grundbesitzern diesen Vorteil gönnen. Aber es fragt sich doch, ob der Staat Mittel anwenden darf, die Grundrente zu erhöhen oder deren Fallen abzuwenden. Solche Eingriffe zum Vorteil der bessergestellten im Staate sind nicht ohne Bedenken. In Großbritannien hat der Grundbesitz durch den freien Import land¬ wirtschaftlicher Erzeugnisse kolossale Einbuße erlitten. Er war reich genug, den Schaden zu tragen, und der Staat hat sich uicht veranlaßt gesehn, den Schlag abzuwehren oder die Folgen zu mildern. In Deutschland war der Grundbesitz nicht reich genug, ähnliche Einbuße zu ertragen, nud die Notlage der Grundbesitzer hätte auf das Wohl des gauzeu Landes in verderblichster Weise zurückgewirkt. Das war der Grund, warum landwirtschaftliche Zölle eingeführt wurden und werden durften. Anders aber ist es mit Maßregel», die dem Grundbesitz zuliebe getroffen werden, zugleich aber die Interessen des ausgedehntesten Standes, des Arbeiterstandes, empfindlich verletzen. Sie entsprechen nicht der Gerechtigkeit und können nicht verfehlen, die Erbitterung und den .Klassenhaß zu verschärfe»?. Es ist auffallend, daß von den deutschen Sozinldemokraten die Zulassung ausländischer Arbeiter nicht stärker als mit den Interessen der Arbeiterwelt im Widerspruch stehend hervorgehoben wird. Die Parteiprogramme berühren diesen Punkt gar nicht. Es entspricht das aber dem kosmopolitischen Sinne der deutschen Sozialdemokratie, die ihre Theorien für die Arbeiterschaft der ganzen Welt zu verwirklichen strebt. In andern Ländern, wo man mehr die naheliegenden Interessen ins Ange saßt und praktische Nrbeiterpolitik treibt, tritt der Widerspruch gegen die Aufnahme fremder Arbeiter schon häufig genng hervor. Die englischen Arbeiter beschweren sich lebhaft über die Konkurrenz der deutschen. Die französischen Arbeiter haben häufig Streitigkeiten mit den italienischen im südlichen Frankreich und dringen neuerdings darauf, daß die belgischen Arbeiter ans Frankreich entfernt werden. Es leidet wohl keinen Zweifel, daß bei deu zur Zeit bestehenden ungünstigen Absatzverhältnissen die Arbeitslosigkeit der Massen, die durch die jetzige Produktionsweise ohnehin gefördert wird, wiederholt in gefahrdrohender Weise zur Erscheinung kommen wird. Dann wird sich immer die Frage aufdrängen, welche Mittel zu er¬ greifen sind, die Zahl der Unbeschäftigten und Arbeitsuchenden zu vermindern, und das Mittel wird vor allem darin zu suchen sein, daß die im Reiche vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/594>, abgerufen am 06.01.2025.