Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Lin bedenklicher Widerspruch ausländische Arbeiter zuläßt, so tritt ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der Die Sache wird noch schlimmer dadurch, daß die Lage der Arbeitgeber Hunderttausende von Russen und Polen, Schweden und Italienern suchen Wir verkennen keineswegs, welche Einwendungen uns gemacht werde" Lin bedenklicher Widerspruch ausländische Arbeiter zuläßt, so tritt ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der Die Sache wird noch schlimmer dadurch, daß die Lage der Arbeitgeber Hunderttausende von Russen und Polen, Schweden und Italienern suchen Wir verkennen keineswegs, welche Einwendungen uns gemacht werde» <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0588" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213064"/> <fw type="header" place="top"> Lin bedenklicher Widerspruch</fw><lb/> <p xml:id="ID_1951" prev="#ID_1950"> ausländische Arbeiter zuläßt, so tritt ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der<lb/> Hände und der vorhandnen Arbeitsgelegenheit ein. Der günstige Erfolg, den<lb/> man durch die Schutzzölle hat erreichen wollen und auch zunächst und für die<lb/> erste Zeit erreicht hat, geht verloren, wenn durch anhaltenden Zuzug auslän¬<lb/> discher Arbeiter die Zahl derer, die Arbeit suchen, vermehrt wird. Was man<lb/> durch Schutzzölle bezweckt hat, hebt man durch die Zulassung fremder Arbeiter<lb/> wieder auf. Das ist der bedenkliche und peinliche Widerspruch, in dem man<lb/> sich zur Zeit befindet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1952"> Die Sache wird noch schlimmer dadurch, daß die Lage der Arbeitgeber<lb/> durch die Zulassung fremder Arbeiter nicht verschlechtert, nein im Gegenteil<lb/> wesentlich verbessert wird. Sie genießen die Vorteile, die der Schutzzoll ge¬<lb/> währt, in Gestalt höherer Preise für die Fabrikate. Gleichzeitig aber kommt<lb/> es ihnen zu gute, daß durch die übergroße Anzahl der sich ihnen darbietende»<lb/> Arbeitskräfte der Tagelohn ermäßigt wird. Man kommt ans diese Weise in<lb/> der That dahin, daß die Behauptung nicht unbegründet ist, daß der Schutzzoll<lb/> nur den Arbeitgebern zum Vorteil gereiche. Dieser Zustand muß sich auf die<lb/> Läuge als unhaltbar erweisen. Es liegt hier eine Benachteiligung der Ar¬<lb/> beiter vor, der abgeholfen werden muß. Der Prozeß der Ausgleichung zwischen<lb/> Arbeitgebern und Arbeitern findet nicht mehr in normaler Weise statt; es<lb/> wird den Arbeitern erschwert, ja unmöglich gemacht, den ihnen gebührenden<lb/> Anteil an der Produktion zu erlangen, der soziale Kampf wird verschärft, und<lb/> die Erbitterung findet neue Nahrung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1953"> Hunderttausende von Russen und Polen, Schweden und Italienern suchen<lb/> gegenwärtig im deutschen Reiche Arbeit, jährlich mehrt sich der Strom der<lb/> Einwanderer. In den Städten, in den Fabrikorten, ans dem Lande sind zahl¬<lb/> reiche Ausländer beschäftigt. Sie machen den eingebornen Arbeitern Kon¬<lb/> kurrenz und drücken die Löhne herunter. Und doch sollte unser Streben darauf<lb/> gerichtet sein, die Lage der Arbeiter nach Möglichkeit zu verbessern. Für unsre<lb/> nationale Arbeit, für unsre inländischen Arbeiter sind die Schutzzölle eingeführt,<lb/> nicht um Russen, Polen u. s. w. zu ernähren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1954" next="#ID_1955"> Wir verkennen keineswegs, welche Einwendungen uns gemacht werde»<lb/> können. Zunächst wird man sagen, daß die Zulassung fremder Arbeiter auf<lb/> Vertrügen oder auf Gegenseitigkeit beruhe. Und es ist ja richtig, daß auch<lb/> viele Deutsche im Ausland ihr Brot suchen und finden. Selbstverständlich<lb/> geht die Bewegung aus solchen Ländern, wo eine niedrigere Lebensführung<lb/> herrscht, nach solchen, wo infolge höherer Bildung oder höhern Wohlstandes<lb/> mehr verdient wird und mehr verzehrt werden kann. So kommen die Polen,<lb/> die geringere Ansprüche machen, über die östliche Grenze zu uns. Deutsche<lb/> Arbeiter gehen nach England oder nach den Vereinigten Staaten. Gewiß ist<lb/> es für uns auch von Nutzen, daß wir manche Leute auf diese Art los werden,<lb/> und daß manchen energischen Naturen auswärts Gelegenheit geboten wird, eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0588]
Lin bedenklicher Widerspruch
ausländische Arbeiter zuläßt, so tritt ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der
Hände und der vorhandnen Arbeitsgelegenheit ein. Der günstige Erfolg, den
man durch die Schutzzölle hat erreichen wollen und auch zunächst und für die
erste Zeit erreicht hat, geht verloren, wenn durch anhaltenden Zuzug auslän¬
discher Arbeiter die Zahl derer, die Arbeit suchen, vermehrt wird. Was man
durch Schutzzölle bezweckt hat, hebt man durch die Zulassung fremder Arbeiter
wieder auf. Das ist der bedenkliche und peinliche Widerspruch, in dem man
sich zur Zeit befindet.
Die Sache wird noch schlimmer dadurch, daß die Lage der Arbeitgeber
durch die Zulassung fremder Arbeiter nicht verschlechtert, nein im Gegenteil
wesentlich verbessert wird. Sie genießen die Vorteile, die der Schutzzoll ge¬
währt, in Gestalt höherer Preise für die Fabrikate. Gleichzeitig aber kommt
es ihnen zu gute, daß durch die übergroße Anzahl der sich ihnen darbietende»
Arbeitskräfte der Tagelohn ermäßigt wird. Man kommt ans diese Weise in
der That dahin, daß die Behauptung nicht unbegründet ist, daß der Schutzzoll
nur den Arbeitgebern zum Vorteil gereiche. Dieser Zustand muß sich auf die
Läuge als unhaltbar erweisen. Es liegt hier eine Benachteiligung der Ar¬
beiter vor, der abgeholfen werden muß. Der Prozeß der Ausgleichung zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern findet nicht mehr in normaler Weise statt; es
wird den Arbeitern erschwert, ja unmöglich gemacht, den ihnen gebührenden
Anteil an der Produktion zu erlangen, der soziale Kampf wird verschärft, und
die Erbitterung findet neue Nahrung.
Hunderttausende von Russen und Polen, Schweden und Italienern suchen
gegenwärtig im deutschen Reiche Arbeit, jährlich mehrt sich der Strom der
Einwanderer. In den Städten, in den Fabrikorten, ans dem Lande sind zahl¬
reiche Ausländer beschäftigt. Sie machen den eingebornen Arbeitern Kon¬
kurrenz und drücken die Löhne herunter. Und doch sollte unser Streben darauf
gerichtet sein, die Lage der Arbeiter nach Möglichkeit zu verbessern. Für unsre
nationale Arbeit, für unsre inländischen Arbeiter sind die Schutzzölle eingeführt,
nicht um Russen, Polen u. s. w. zu ernähren.
Wir verkennen keineswegs, welche Einwendungen uns gemacht werde»
können. Zunächst wird man sagen, daß die Zulassung fremder Arbeiter auf
Vertrügen oder auf Gegenseitigkeit beruhe. Und es ist ja richtig, daß auch
viele Deutsche im Ausland ihr Brot suchen und finden. Selbstverständlich
geht die Bewegung aus solchen Ländern, wo eine niedrigere Lebensführung
herrscht, nach solchen, wo infolge höherer Bildung oder höhern Wohlstandes
mehr verdient wird und mehr verzehrt werden kann. So kommen die Polen,
die geringere Ansprüche machen, über die östliche Grenze zu uns. Deutsche
Arbeiter gehen nach England oder nach den Vereinigten Staaten. Gewiß ist
es für uns auch von Nutzen, daß wir manche Leute auf diese Art los werden,
und daß manchen energischen Naturen auswärts Gelegenheit geboten wird, eine
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