Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Reise ins Aloster Jürgen schüttelte den Kopf. Papa bringt uns hin und holt uns wieder ab! Es entstand eine nachdenkliche Pause, und dann lachten wir vergnügt. Auch schon der Gedanke an die Reise stimmte uns freudig, und alle Welt Ich muß doch an Mama schreiben! rief ich eifrig, während Jürgen vier Gott in hohen Himmel, was bringt der Jung mich da! murrte Line. Ich will Blumen pflücken und pressen! bedeutete sie Jürgen, aber auch Diese Drohung verfehlte nicht ihre Wirkung, und wir kamen allmählich Am andern Morgen hielt Hinrich früh vor der Thür, und wir waren Die Reise ins Aloster Jürgen schüttelte den Kopf. Papa bringt uns hin und holt uns wieder ab! Es entstand eine nachdenkliche Pause, und dann lachten wir vergnügt. Auch schon der Gedanke an die Reise stimmte uns freudig, und alle Welt Ich muß doch an Mama schreiben! rief ich eifrig, während Jürgen vier Gott in hohen Himmel, was bringt der Jung mich da! murrte Line. Ich will Blumen pflücken und pressen! bedeutete sie Jürgen, aber auch Diese Drohung verfehlte nicht ihre Wirkung, und wir kamen allmählich Am andern Morgen hielt Hinrich früh vor der Thür, und wir waren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213043"/> <fw type="header" place="top"> Die Reise ins Aloster</fw><lb/> <p xml:id="ID_1870"> Jürgen schüttelte den Kopf. Papa bringt uns hin und holt uns wieder ab!</p><lb/> <p xml:id="ID_1871"> Es entstand eine nachdenkliche Pause, und dann lachten wir vergnügt.<lb/> Papa war nicht immer gerade ein sehr bequemer Vater, man mußte ihm aufs<lb/> Wort gehorchen. Im Damenllostcr zu sein ohne ihn — diese Aussicht erschien<lb/> uns also nicht gerade unangenehm.</p><lb/> <p xml:id="ID_1872"> Auch schon der Gedanke an die Reise stimmte uns freudig, und alle Welt<lb/> nahm an unserm Vergnügen teil. Die ältern Brüder lachten zwar etwas be¬<lb/> leidigend, als ich von Line, unserm Mädchen, verlangte, daß sie meine gesamte<lb/> irdische Habe, meinen Winterhut und meinen Nadmantel einpacken sollte. Sie<lb/> sagten, es wäre Juni, und da brauche man keine Wintersachen. Ich meinte<lb/> gekränkt, die Klosterdamen sollten doch meinen neuen Hut sehn, der so wunder¬<lb/> hübsch wäre. Aber Line hielt es mit den Brüdern, betrachtete auch mi߬<lb/> trauisch eine halbgefüllte Flasche mit Tinte, die ich ihr ebenfalls hingestellt<lb/> hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1873"> Ich muß doch an Mama schreiben! rief ich eifrig, während Jürgen vier<lb/> dicke alte Bücher in den Koffer warf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1874"> Gott in hohen Himmel, was bringt der Jung mich da! murrte Line.<lb/> Meint das Kind, in so'n Koffer gehe allens?</p><lb/> <p xml:id="ID_1875"> Ich will Blumen pflücken und pressen! bedeutete sie Jürgen, aber auch<lb/> seine Bücher wurden verachtet. Blumens kannst auch hier pflücken; dazu geht<lb/> man nich auf Reisen, um so'n Unsinn zu macheu. Nun bringt mich man was<lb/> Vernünftiges her, sonst werdet ihr nie und nimmer fertig, und dann fährt<lb/> Papa ohne euch!</p><lb/> <p xml:id="ID_1876"> Diese Drohung verfehlte nicht ihre Wirkung, und wir kamen allmählich<lb/> zu der kummervollen Überzeugung, daß nicht alles, was wir so leidenschaftlich<lb/> liebten, uns auf die Reise begleiten könne. Der Koffer war wirklich schreck¬<lb/> lich klein — wie konnte nur der Sattler so kleine Koffer machen! Aber es<lb/> half nichts, wir mußten nus in diesen Umstand fügen. Selbst der lebendige<lb/> Laubfrosch, den mir Heinrich in einem Anfall von Rührung zum „Spielen"<lb/> auf der Reise geschenkt hatte, mußte zu Hause bleiben, weil sein grünes Glas<lb/> nicht mehr in den Koffer ging. Heinrich nahm sein Geschenk wieder, gab mir<lb/> aber nun statt dessen vier weiße Mäuse, die ich in einem Pappkasten auf dem<lb/> Schoße halten könnte. Eigentlich konnte ich Mänse nicht leiden, aber da ich<lb/> wußte, daß Heinrich Wert auf seinen Besitz legte, so wollte ich sie doch nicht<lb/> zurückweisen. Jürgen nahm dann noch als Handgepäck eine Schachtel voll<lb/> Grashüpfer mit, während uns Hans zur Reise einen Pferdezttgel schenkte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1877" next="#ID_1878"> Am andern Morgen hielt Hinrich früh vor der Thür, und wir waren<lb/> sehr verschlafen. Ich war den letzten Abend spät ins Bett gekommen, weil<lb/> ich bei mehreren Freunden lange Abschiedsbesuche gemacht hatte. Auch hatte<lb/> ich noch etliche Thränen vergossen über eine der vielen Enttäuschungen, die<lb/> selbst ein Kinderleben nicht verschonen. Eine alte Freundin hatte mir als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0567]
Die Reise ins Aloster
Jürgen schüttelte den Kopf. Papa bringt uns hin und holt uns wieder ab!
Es entstand eine nachdenkliche Pause, und dann lachten wir vergnügt.
Papa war nicht immer gerade ein sehr bequemer Vater, man mußte ihm aufs
Wort gehorchen. Im Damenllostcr zu sein ohne ihn — diese Aussicht erschien
uns also nicht gerade unangenehm.
Auch schon der Gedanke an die Reise stimmte uns freudig, und alle Welt
nahm an unserm Vergnügen teil. Die ältern Brüder lachten zwar etwas be¬
leidigend, als ich von Line, unserm Mädchen, verlangte, daß sie meine gesamte
irdische Habe, meinen Winterhut und meinen Nadmantel einpacken sollte. Sie
sagten, es wäre Juni, und da brauche man keine Wintersachen. Ich meinte
gekränkt, die Klosterdamen sollten doch meinen neuen Hut sehn, der so wunder¬
hübsch wäre. Aber Line hielt es mit den Brüdern, betrachtete auch mi߬
trauisch eine halbgefüllte Flasche mit Tinte, die ich ihr ebenfalls hingestellt
hatte.
Ich muß doch an Mama schreiben! rief ich eifrig, während Jürgen vier
dicke alte Bücher in den Koffer warf.
Gott in hohen Himmel, was bringt der Jung mich da! murrte Line.
Meint das Kind, in so'n Koffer gehe allens?
Ich will Blumen pflücken und pressen! bedeutete sie Jürgen, aber auch
seine Bücher wurden verachtet. Blumens kannst auch hier pflücken; dazu geht
man nich auf Reisen, um so'n Unsinn zu macheu. Nun bringt mich man was
Vernünftiges her, sonst werdet ihr nie und nimmer fertig, und dann fährt
Papa ohne euch!
Diese Drohung verfehlte nicht ihre Wirkung, und wir kamen allmählich
zu der kummervollen Überzeugung, daß nicht alles, was wir so leidenschaftlich
liebten, uns auf die Reise begleiten könne. Der Koffer war wirklich schreck¬
lich klein — wie konnte nur der Sattler so kleine Koffer machen! Aber es
half nichts, wir mußten nus in diesen Umstand fügen. Selbst der lebendige
Laubfrosch, den mir Heinrich in einem Anfall von Rührung zum „Spielen"
auf der Reise geschenkt hatte, mußte zu Hause bleiben, weil sein grünes Glas
nicht mehr in den Koffer ging. Heinrich nahm sein Geschenk wieder, gab mir
aber nun statt dessen vier weiße Mäuse, die ich in einem Pappkasten auf dem
Schoße halten könnte. Eigentlich konnte ich Mänse nicht leiden, aber da ich
wußte, daß Heinrich Wert auf seinen Besitz legte, so wollte ich sie doch nicht
zurückweisen. Jürgen nahm dann noch als Handgepäck eine Schachtel voll
Grashüpfer mit, während uns Hans zur Reise einen Pferdezttgel schenkte.
Am andern Morgen hielt Hinrich früh vor der Thür, und wir waren
sehr verschlafen. Ich war den letzten Abend spät ins Bett gekommen, weil
ich bei mehreren Freunden lange Abschiedsbesuche gemacht hatte. Auch hatte
ich noch etliche Thränen vergossen über eine der vielen Enttäuschungen, die
selbst ein Kinderleben nicht verschonen. Eine alte Freundin hatte mir als
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