Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
I> G, Fichte5 geschlossener Haudelsstaat

Metallgeld bezahlt, und es steht ihnen frei, daß sie, reich geworden, wieder in
ihre Heimat zurückkehren. Auch zu Reisen ins Ausland bedarf es des Welt¬
geldes. Reisen soll aber nur der Gelehrte und höhere Künstler. Diese reisen
zum Beste" der Menschheit und des Staates. Die Regierung selbst schickt sie
ans Reisen; andre Glieder der Gesellschaft reisen nicht. "Der müßigen Neu¬
gier und Zerstreuungssucht soll es nicht länger erlaubt werden, ihre Lange¬
weile durch andre Länder herumzutragen." Daß Fichte damit für so manchen
das erste, was ihm im sozialen Staate werden soll, die Annehmlichkeit des
Lebens nimmt, daran denkt er nicht, und so wird der Zweck dieses neuen
Staates, "daß jeder und alle so angenehm leben können, als es möglich ist,"
anch nach dieser Seite hin vereitelt. Am besten würde nach Fichtes Bestim¬
mung in diesem Staate nicht für "alle und jeden," sondern für die höhern
Künstler und Pfleger der Wissenschaft gesorgt sein, eine Sorge, die ja schlie߬
lich einem philosophischen Kopf wie Fichte am meisten konform ist, dem echten
Sozialdemokraten am wenigsten zusagt, der darin immer seinem anarchistischen
Genossen Most Recht geben wird, wenn dieser es für Blödsinn erklärt, daß
die angenehmste Arbeit (die des Kopfarbeiters) am besten bezahlt werde.

Auch den Zusammenhang der Völker, den Fichte so gründlich mit der
Schließung seines Handelsstaats zerstört, will er durch die Wissenschaft wieder¬
herstellen, die allein dem Menschen als solchen, nicht aber dem Bürger ange¬
höre. Für alles übrige sollen die Menschen in Volker abgesondert werden,
durch die Wissenschaft sollen sie fortdauernd zusammenhängen. Diesen Zu¬
sammenhang wird kein geschlossener Staat aufheben; er wird ihn vielmehr
begünstigen, da durch die Bereicherung der Wissenschaft sogar die irdischen
Zwecke jedes abgesonderten Staates befördert werden. Ist das System des
geschlossenen Staates nur erst einmal eingeführt, so hat kein Staat ein In¬
teresse, seine Entdeckungen ans künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiete
irgendwie vorzubehalten. Der ewige Friede ist dann zwischen den Völkern
begründet.

Das sind die Hauptergebnisse der Fichtischen Sozialpolitik. Über die
Möglichkeit eines solchen Staates uns noch weiter auszulassen, als geschehen
ist, brauchen wir um so weniger, als Fichte selbst in dem Zueignungsschreibcn
seiner Schrift an den damaligen preußischen Finanzminister Struensee so be¬
sonnen ist, auf jede Ausführung zu verzichten. Zur Aufgabe des Philosophen
gehört zu oberst die, daß er an die menschlichen Dinge den Maßstab einer ver¬
nunftgemäßen Darstellung anlege. Einen solchen hat hier Fichte an den Staat
angelegt. Für einen gegebnen wirklichen Zustand, so schreibt er an Struen-
see, müsse eine solche Darstellung weiter bestinunt werden, d.h. die durch ver¬
nünftige Betrachtung gewonnenen allgemeinen Sätze, die Ideen, müßten in
ihrer praktischen Anwendung dem wirklichen Leben angepaßt werden. In die
Anpassung des staatlichen Ideals an die wirklichen Zustände und in die all-


I> G, Fichte5 geschlossener Haudelsstaat

Metallgeld bezahlt, und es steht ihnen frei, daß sie, reich geworden, wieder in
ihre Heimat zurückkehren. Auch zu Reisen ins Ausland bedarf es des Welt¬
geldes. Reisen soll aber nur der Gelehrte und höhere Künstler. Diese reisen
zum Beste» der Menschheit und des Staates. Die Regierung selbst schickt sie
ans Reisen; andre Glieder der Gesellschaft reisen nicht. „Der müßigen Neu¬
gier und Zerstreuungssucht soll es nicht länger erlaubt werden, ihre Lange¬
weile durch andre Länder herumzutragen." Daß Fichte damit für so manchen
das erste, was ihm im sozialen Staate werden soll, die Annehmlichkeit des
Lebens nimmt, daran denkt er nicht, und so wird der Zweck dieses neuen
Staates, „daß jeder und alle so angenehm leben können, als es möglich ist,"
anch nach dieser Seite hin vereitelt. Am besten würde nach Fichtes Bestim¬
mung in diesem Staate nicht für „alle und jeden," sondern für die höhern
Künstler und Pfleger der Wissenschaft gesorgt sein, eine Sorge, die ja schlie߬
lich einem philosophischen Kopf wie Fichte am meisten konform ist, dem echten
Sozialdemokraten am wenigsten zusagt, der darin immer seinem anarchistischen
Genossen Most Recht geben wird, wenn dieser es für Blödsinn erklärt, daß
die angenehmste Arbeit (die des Kopfarbeiters) am besten bezahlt werde.

Auch den Zusammenhang der Völker, den Fichte so gründlich mit der
Schließung seines Handelsstaats zerstört, will er durch die Wissenschaft wieder¬
herstellen, die allein dem Menschen als solchen, nicht aber dem Bürger ange¬
höre. Für alles übrige sollen die Menschen in Volker abgesondert werden,
durch die Wissenschaft sollen sie fortdauernd zusammenhängen. Diesen Zu¬
sammenhang wird kein geschlossener Staat aufheben; er wird ihn vielmehr
begünstigen, da durch die Bereicherung der Wissenschaft sogar die irdischen
Zwecke jedes abgesonderten Staates befördert werden. Ist das System des
geschlossenen Staates nur erst einmal eingeführt, so hat kein Staat ein In¬
teresse, seine Entdeckungen ans künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiete
irgendwie vorzubehalten. Der ewige Friede ist dann zwischen den Völkern
begründet.

Das sind die Hauptergebnisse der Fichtischen Sozialpolitik. Über die
Möglichkeit eines solchen Staates uns noch weiter auszulassen, als geschehen
ist, brauchen wir um so weniger, als Fichte selbst in dem Zueignungsschreibcn
seiner Schrift an den damaligen preußischen Finanzminister Struensee so be¬
sonnen ist, auf jede Ausführung zu verzichten. Zur Aufgabe des Philosophen
gehört zu oberst die, daß er an die menschlichen Dinge den Maßstab einer ver¬
nunftgemäßen Darstellung anlege. Einen solchen hat hier Fichte an den Staat
angelegt. Für einen gegebnen wirklichen Zustand, so schreibt er an Struen-
see, müsse eine solche Darstellung weiter bestinunt werden, d.h. die durch ver¬
nünftige Betrachtung gewonnenen allgemeinen Sätze, die Ideen, müßten in
ihrer praktischen Anwendung dem wirklichen Leben angepaßt werden. In die
Anpassung des staatlichen Ideals an die wirklichen Zustände und in die all-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213024"/>
          <fw type="header" place="top"> I&gt; G, Fichte5 geschlossener Haudelsstaat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1817" prev="#ID_1816"> Metallgeld bezahlt, und es steht ihnen frei, daß sie, reich geworden, wieder in<lb/>
ihre Heimat zurückkehren. Auch zu Reisen ins Ausland bedarf es des Welt¬<lb/>
geldes. Reisen soll aber nur der Gelehrte und höhere Künstler. Diese reisen<lb/>
zum Beste» der Menschheit und des Staates. Die Regierung selbst schickt sie<lb/>
ans Reisen; andre Glieder der Gesellschaft reisen nicht. &#x201E;Der müßigen Neu¬<lb/>
gier und Zerstreuungssucht soll es nicht länger erlaubt werden, ihre Lange¬<lb/>
weile durch andre Länder herumzutragen." Daß Fichte damit für so manchen<lb/>
das erste, was ihm im sozialen Staate werden soll, die Annehmlichkeit des<lb/>
Lebens nimmt, daran denkt er nicht, und so wird der Zweck dieses neuen<lb/>
Staates, &#x201E;daß jeder und alle so angenehm leben können, als es möglich ist,"<lb/>
anch nach dieser Seite hin vereitelt. Am besten würde nach Fichtes Bestim¬<lb/>
mung in diesem Staate nicht für &#x201E;alle und jeden," sondern für die höhern<lb/>
Künstler und Pfleger der Wissenschaft gesorgt sein, eine Sorge, die ja schlie߬<lb/>
lich einem philosophischen Kopf wie Fichte am meisten konform ist, dem echten<lb/>
Sozialdemokraten am wenigsten zusagt, der darin immer seinem anarchistischen<lb/>
Genossen Most Recht geben wird, wenn dieser es für Blödsinn erklärt, daß<lb/>
die angenehmste Arbeit (die des Kopfarbeiters) am besten bezahlt werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1818"> Auch den Zusammenhang der Völker, den Fichte so gründlich mit der<lb/>
Schließung seines Handelsstaats zerstört, will er durch die Wissenschaft wieder¬<lb/>
herstellen, die allein dem Menschen als solchen, nicht aber dem Bürger ange¬<lb/>
höre. Für alles übrige sollen die Menschen in Volker abgesondert werden,<lb/>
durch die Wissenschaft sollen sie fortdauernd zusammenhängen. Diesen Zu¬<lb/>
sammenhang wird kein geschlossener Staat aufheben; er wird ihn vielmehr<lb/>
begünstigen, da durch die Bereicherung der Wissenschaft sogar die irdischen<lb/>
Zwecke jedes abgesonderten Staates befördert werden. Ist das System des<lb/>
geschlossenen Staates nur erst einmal eingeführt, so hat kein Staat ein In¬<lb/>
teresse, seine Entdeckungen ans künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiete<lb/>
irgendwie vorzubehalten. Der ewige Friede ist dann zwischen den Völkern<lb/>
begründet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1819" next="#ID_1820"> Das sind die Hauptergebnisse der Fichtischen Sozialpolitik. Über die<lb/>
Möglichkeit eines solchen Staates uns noch weiter auszulassen, als geschehen<lb/>
ist, brauchen wir um so weniger, als Fichte selbst in dem Zueignungsschreibcn<lb/>
seiner Schrift an den damaligen preußischen Finanzminister Struensee so be¬<lb/>
sonnen ist, auf jede Ausführung zu verzichten. Zur Aufgabe des Philosophen<lb/>
gehört zu oberst die, daß er an die menschlichen Dinge den Maßstab einer ver¬<lb/>
nunftgemäßen Darstellung anlege. Einen solchen hat hier Fichte an den Staat<lb/>
angelegt. Für einen gegebnen wirklichen Zustand, so schreibt er an Struen-<lb/>
see, müsse eine solche Darstellung weiter bestinunt werden, d.h. die durch ver¬<lb/>
nünftige Betrachtung gewonnenen allgemeinen Sätze, die Ideen, müßten in<lb/>
ihrer praktischen Anwendung dem wirklichen Leben angepaßt werden. In die<lb/>
Anpassung des staatlichen Ideals an die wirklichen Zustände und in die all-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0548] I> G, Fichte5 geschlossener Haudelsstaat Metallgeld bezahlt, und es steht ihnen frei, daß sie, reich geworden, wieder in ihre Heimat zurückkehren. Auch zu Reisen ins Ausland bedarf es des Welt¬ geldes. Reisen soll aber nur der Gelehrte und höhere Künstler. Diese reisen zum Beste» der Menschheit und des Staates. Die Regierung selbst schickt sie ans Reisen; andre Glieder der Gesellschaft reisen nicht. „Der müßigen Neu¬ gier und Zerstreuungssucht soll es nicht länger erlaubt werden, ihre Lange¬ weile durch andre Länder herumzutragen." Daß Fichte damit für so manchen das erste, was ihm im sozialen Staate werden soll, die Annehmlichkeit des Lebens nimmt, daran denkt er nicht, und so wird der Zweck dieses neuen Staates, „daß jeder und alle so angenehm leben können, als es möglich ist," anch nach dieser Seite hin vereitelt. Am besten würde nach Fichtes Bestim¬ mung in diesem Staate nicht für „alle und jeden," sondern für die höhern Künstler und Pfleger der Wissenschaft gesorgt sein, eine Sorge, die ja schlie߬ lich einem philosophischen Kopf wie Fichte am meisten konform ist, dem echten Sozialdemokraten am wenigsten zusagt, der darin immer seinem anarchistischen Genossen Most Recht geben wird, wenn dieser es für Blödsinn erklärt, daß die angenehmste Arbeit (die des Kopfarbeiters) am besten bezahlt werde. Auch den Zusammenhang der Völker, den Fichte so gründlich mit der Schließung seines Handelsstaats zerstört, will er durch die Wissenschaft wieder¬ herstellen, die allein dem Menschen als solchen, nicht aber dem Bürger ange¬ höre. Für alles übrige sollen die Menschen in Volker abgesondert werden, durch die Wissenschaft sollen sie fortdauernd zusammenhängen. Diesen Zu¬ sammenhang wird kein geschlossener Staat aufheben; er wird ihn vielmehr begünstigen, da durch die Bereicherung der Wissenschaft sogar die irdischen Zwecke jedes abgesonderten Staates befördert werden. Ist das System des geschlossenen Staates nur erst einmal eingeführt, so hat kein Staat ein In¬ teresse, seine Entdeckungen ans künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiete irgendwie vorzubehalten. Der ewige Friede ist dann zwischen den Völkern begründet. Das sind die Hauptergebnisse der Fichtischen Sozialpolitik. Über die Möglichkeit eines solchen Staates uns noch weiter auszulassen, als geschehen ist, brauchen wir um so weniger, als Fichte selbst in dem Zueignungsschreibcn seiner Schrift an den damaligen preußischen Finanzminister Struensee so be¬ sonnen ist, auf jede Ausführung zu verzichten. Zur Aufgabe des Philosophen gehört zu oberst die, daß er an die menschlichen Dinge den Maßstab einer ver¬ nunftgemäßen Darstellung anlege. Einen solchen hat hier Fichte an den Staat angelegt. Für einen gegebnen wirklichen Zustand, so schreibt er an Struen- see, müsse eine solche Darstellung weiter bestinunt werden, d.h. die durch ver¬ nünftige Betrachtung gewonnenen allgemeinen Sätze, die Ideen, müßten in ihrer praktischen Anwendung dem wirklichen Leben angepaßt werden. In die Anpassung des staatlichen Ideals an die wirklichen Zustände und in die all-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/548
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/548>, abgerufen am 06.01.2025.