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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarck und die Schwaben

seine Führung der auswärtigen Politik verschafft. Sind wir auch in einzelnen
Punkten nicht mit ihm einverstanden, so wissen wir doch, daß der Mann, der
das deutsche Reich gegründet hat, an seiner Spitze bleiben muß, so lange es
die Natur erlaubt, wissen auch, daß niemand mit so starken Armen das Schiff
durch die Wogen führen kann, wie er; also bleibt er am Ruder. So dachten
wir damals. Und ebenso wenig verkennen wir heute die Schwächen und Fehler
Vismarcks, billigen ebenso wenig sein Verhalten in allen Stücke". Aber wir
sagen: Thut nichts, er ist und bleibt unser Bismarck. Nie vergessen wir es,
daß wir unsre politische, unsre geschichtliche Größe ihm verdanken. Er thue,
was er nicht lassen kann: wir halten an ihm fest. So ist in Schwaben
-- ohne Übertreibung kann man es behaupten -- die überwiegende Mehrzahl
der Urteilsfähigen gesinnt, vor allem der Anhang der sonst sehr verschiedne
Politische Meinungen umfassenden deutschen Partei. Aber doch nicht er allein;
so denkt auch mancher, der mit der Volkspartei zu stimmen Pflegt. Die offi¬
zielle Volkspartei natürlich haßt Bismarck nach wie vor, und sie weiß, warum.
Manchen liberalen Politiker in Württemberg hat es tief geschmerzt, daß Fürst
Bismarck als Reichskanzler jede Brücke zwischen sich und der deutschfreisiunigcn
Partei abgebrochen, daß er jede Möglichkeit einer Verständigung für alle Zeiten
abgeschnitten und dadurch sich selbst in die Zwangslage versetzt hat, sich die
Hilfe des begehrlichen Zentrums allzu teuer zu erkaufen. Mancher Verehrer
Vismarcks in Württemberg und wohl auch im übrigen Süddeutschland hat
der leidenschaftlichen Gegnerschaft der Deutschfreisinnigen gegen Bismarck Ver¬
ständnis entgegengebracht, wenn er auch ihre Ausschreitungen streng ver¬
urteilen mußte. Die in wirtschaftlicher Beziehung ihm überdies nicht so fern¬
stehenden süddeutschen Demokraten hat Bismarck niemals der gleichen heraus¬
fordernden Feindschaft gewürdigt, wie die norddeutschen Linksliberalen. Woher
trotzdem ihr maßloser Zorn, der sich seit des Kanzlers Sturz in Zeitungs¬
artikeln entladet, die die Ergüsse der preußischen Fortschrittspresse an Roheit
entschieden überbieten? Die Erklärung ist einfach genug. Auch für den
schwäbischen Demokraten ist Bismarck die Verkörperung des deutschen Einheits¬
gedankens, und darum eben verfolgt er ihn mit seinem unversöhnlichen Haß.
Aber die süddeutsche Volkspartei hat sich ja, wie sie bei Neichstagswahlen und
ähnlichen Gelegenheiten zu versichern nicht müde wird, völlig auf den Boden
der gegebnen Thatsachen gestellt. Gewiß hat sie das gethan, aber sie that
es, weil sie mußte, wenn sie ihre Existenz retten wollte, denn die ausschlag¬
gebenden Massen, die den Führern und der Presse im Kampf gegen die Idee
der Einigung Deutschlands unter preußischer Führung gefolgt waren, hätten
sie bei Befehdung der zur Wirklichkeit gewordnen Idee schmählich im Stich
gelassen. Selbst zugestanden, daß die Partei ohne Rückhalt und ohne Hinter¬
gedanken die durch die Thatsachen geschaffne Lage anerkannt hat, so hat sie
das doch nur gezwungen gethan und verfolgt darum den Mann, der ihr diesen


Fürst Bismarck und die Schwaben

seine Führung der auswärtigen Politik verschafft. Sind wir auch in einzelnen
Punkten nicht mit ihm einverstanden, so wissen wir doch, daß der Mann, der
das deutsche Reich gegründet hat, an seiner Spitze bleiben muß, so lange es
die Natur erlaubt, wissen auch, daß niemand mit so starken Armen das Schiff
durch die Wogen führen kann, wie er; also bleibt er am Ruder. So dachten
wir damals. Und ebenso wenig verkennen wir heute die Schwächen und Fehler
Vismarcks, billigen ebenso wenig sein Verhalten in allen Stücke». Aber wir
sagen: Thut nichts, er ist und bleibt unser Bismarck. Nie vergessen wir es,
daß wir unsre politische, unsre geschichtliche Größe ihm verdanken. Er thue,
was er nicht lassen kann: wir halten an ihm fest. So ist in Schwaben
— ohne Übertreibung kann man es behaupten — die überwiegende Mehrzahl
der Urteilsfähigen gesinnt, vor allem der Anhang der sonst sehr verschiedne
Politische Meinungen umfassenden deutschen Partei. Aber doch nicht er allein;
so denkt auch mancher, der mit der Volkspartei zu stimmen Pflegt. Die offi¬
zielle Volkspartei natürlich haßt Bismarck nach wie vor, und sie weiß, warum.
Manchen liberalen Politiker in Württemberg hat es tief geschmerzt, daß Fürst
Bismarck als Reichskanzler jede Brücke zwischen sich und der deutschfreisiunigcn
Partei abgebrochen, daß er jede Möglichkeit einer Verständigung für alle Zeiten
abgeschnitten und dadurch sich selbst in die Zwangslage versetzt hat, sich die
Hilfe des begehrlichen Zentrums allzu teuer zu erkaufen. Mancher Verehrer
Vismarcks in Württemberg und wohl auch im übrigen Süddeutschland hat
der leidenschaftlichen Gegnerschaft der Deutschfreisinnigen gegen Bismarck Ver¬
ständnis entgegengebracht, wenn er auch ihre Ausschreitungen streng ver¬
urteilen mußte. Die in wirtschaftlicher Beziehung ihm überdies nicht so fern¬
stehenden süddeutschen Demokraten hat Bismarck niemals der gleichen heraus¬
fordernden Feindschaft gewürdigt, wie die norddeutschen Linksliberalen. Woher
trotzdem ihr maßloser Zorn, der sich seit des Kanzlers Sturz in Zeitungs¬
artikeln entladet, die die Ergüsse der preußischen Fortschrittspresse an Roheit
entschieden überbieten? Die Erklärung ist einfach genug. Auch für den
schwäbischen Demokraten ist Bismarck die Verkörperung des deutschen Einheits¬
gedankens, und darum eben verfolgt er ihn mit seinem unversöhnlichen Haß.
Aber die süddeutsche Volkspartei hat sich ja, wie sie bei Neichstagswahlen und
ähnlichen Gelegenheiten zu versichern nicht müde wird, völlig auf den Boden
der gegebnen Thatsachen gestellt. Gewiß hat sie das gethan, aber sie that
es, weil sie mußte, wenn sie ihre Existenz retten wollte, denn die ausschlag¬
gebenden Massen, die den Führern und der Presse im Kampf gegen die Idee
der Einigung Deutschlands unter preußischer Führung gefolgt waren, hätten
sie bei Befehdung der zur Wirklichkeit gewordnen Idee schmählich im Stich
gelassen. Selbst zugestanden, daß die Partei ohne Rückhalt und ohne Hinter¬
gedanken die durch die Thatsachen geschaffne Lage anerkannt hat, so hat sie
das doch nur gezwungen gethan und verfolgt darum den Mann, der ihr diesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/539>, abgerufen am 06.01.2025.