Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Fürst Bismarck und die Schwaben stets der Anlehnung an einen stärkern bedürftig, sah sich bei kriegerischen Ver¬ Fürst Bismarck und die Schwaben stets der Anlehnung an einen stärkern bedürftig, sah sich bei kriegerischen Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213014"/> <fw type="header" place="top"> Fürst Bismarck und die Schwaben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1796" prev="#ID_1795" next="#ID_1797"> stets der Anlehnung an einen stärkern bedürftig, sah sich bei kriegerischen Ver¬<lb/> wicklungen in der Wahl seiner Partei mehr von den Forderungen der Klug¬<lb/> heit als denen der Ehre abhängig, mußte eine erbettelte Neutralität noch als<lb/> besondern Glücksfall betrachten. Wie mußte das Gefühl solcher Schmach dem<lb/> süddeutschen Patrioten auf der Seele brennen, in ihm den Wunsch einer Ände¬<lb/> rung seiner kläglichen Lage zur lodernden Begierde anfachen! Und da sah er<lb/> aus einmal in unglaublich rascher Entwicklung der Dinge das Ziel seines<lb/> jahrzehntelangen Sehnen^ erreicht, sah sein engeres Vaterland als Glied<lb/> eines machtvollen Ganzen, auf dessen Schutz es Anspruch, an dessen Ehren es<lb/> Anteil hatte, weil es ja eben in Gemeinschaft mit vielen andern dieses Ganze<lb/> bildete. Und sah sich zu dieser stolzen Höhe emporgehoben durch das Genie<lb/> eines gewaltigen Mannes, dessen Vundesgenossenschaft er um so besser zu<lb/> würdigen wußte, als er lange Zeit unter seiner Feindschaft gelitten, ihn als<lb/> Feind ehrlich gehaßt, wenn auch vielleicht schon im stillen bewundert hatte.<lb/> In je tieferes politisches Elend Süddeutschland versunken war, um so größer<lb/> mußte seine Dankbarkeit gegen den sein, der es daraus befreit hatte. So<lb/> wurde Fürst Bismarck für tausende und abertausende die Verkörperung des<lb/> deutschen Einheitsgedankens, wurde — mau ist fast zu sagen versucht — nicht<lb/> sowohl als Mensch wie als eine in die Erscheinung getretene Idee verehrt,<lb/> wodurch nicht ausgeschlossen ist, daß überdies noch auf viele seine kraft- und<lb/> temperamentvolle Persönlichkeit anziehend, in unsrer an Individualitäten nicht<lb/> eben reichen Zeit doppelt anziehend wirkte. Und nun, da Fürst Bismarck<lb/> nicht mehr der allmächtige Lenker der Geschicke des deutschen Reichs ist, sollten<lb/> wir von ihm lassen? Hat er etwa das Reich darum weniger begründet?<lb/> sind wir ihm etwa darum weniger Dank schuldig? Nein, jetzt gerade ist es<lb/> Zeit, die ganze Fülle unsrer Bewundrung, Verehrung, Liebe auf ihn auszu¬<lb/> schütten, jetzt gerade, da ihm schwere Kränkungen täglich, stündlich zugefügt<lb/> werden, da ihm jedes einzelne Zeichen von Anhänglichkeit wohl thun muß.<lb/> Der Charakter der Süddeutschen und von uns Schwaben im besondern hat<lb/> sich noch niemals durch Beweglichkeit und Geschmeidigkeit ausgezeichnet. Wir<lb/> Pflegen unsre Neigung nicht rasch, dafür aber ohne Widerruf zu verschenken.<lb/> Man mag es, je nach dem Standpunkte, als deutsche Treue rühmen, man<lb/> mag es schwäbische Starrköpfigkeit und Eigensinn schelten, was kommt darauf<lb/> an? Es soll nicht einmal geleugnet werden, daß ein Stück Widerspruchsgeist<lb/> dabei im Spiele ist: das Übermaß der Verfolgungen auf der einen Seite reizt<lb/> zum Fanatismus der Bewundrung auf der andern. Man glaube auch nur<lb/> nicht, daß alle Schwaben, die sich jetzt als unbedingte Verehrer Bismcircks<lb/> bekennen, zu Zeiten seines unumschränkten Regiments mit seiner innern Politik<lb/> durchweg einverstanden gewesen seien, aber sie sagten sich: Er ist nun einmal<lb/> nur ganz zu haben. Der kleine Schade, den er auf jenem Gebiete anrichten<lb/> mag, wird reichlich aufgewogen durch die unermeßlichen Vorteile, die uns</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0538]
Fürst Bismarck und die Schwaben
stets der Anlehnung an einen stärkern bedürftig, sah sich bei kriegerischen Ver¬
wicklungen in der Wahl seiner Partei mehr von den Forderungen der Klug¬
heit als denen der Ehre abhängig, mußte eine erbettelte Neutralität noch als
besondern Glücksfall betrachten. Wie mußte das Gefühl solcher Schmach dem
süddeutschen Patrioten auf der Seele brennen, in ihm den Wunsch einer Ände¬
rung seiner kläglichen Lage zur lodernden Begierde anfachen! Und da sah er
aus einmal in unglaublich rascher Entwicklung der Dinge das Ziel seines
jahrzehntelangen Sehnen^ erreicht, sah sein engeres Vaterland als Glied
eines machtvollen Ganzen, auf dessen Schutz es Anspruch, an dessen Ehren es
Anteil hatte, weil es ja eben in Gemeinschaft mit vielen andern dieses Ganze
bildete. Und sah sich zu dieser stolzen Höhe emporgehoben durch das Genie
eines gewaltigen Mannes, dessen Vundesgenossenschaft er um so besser zu
würdigen wußte, als er lange Zeit unter seiner Feindschaft gelitten, ihn als
Feind ehrlich gehaßt, wenn auch vielleicht schon im stillen bewundert hatte.
In je tieferes politisches Elend Süddeutschland versunken war, um so größer
mußte seine Dankbarkeit gegen den sein, der es daraus befreit hatte. So
wurde Fürst Bismarck für tausende und abertausende die Verkörperung des
deutschen Einheitsgedankens, wurde — mau ist fast zu sagen versucht — nicht
sowohl als Mensch wie als eine in die Erscheinung getretene Idee verehrt,
wodurch nicht ausgeschlossen ist, daß überdies noch auf viele seine kraft- und
temperamentvolle Persönlichkeit anziehend, in unsrer an Individualitäten nicht
eben reichen Zeit doppelt anziehend wirkte. Und nun, da Fürst Bismarck
nicht mehr der allmächtige Lenker der Geschicke des deutschen Reichs ist, sollten
wir von ihm lassen? Hat er etwa das Reich darum weniger begründet?
sind wir ihm etwa darum weniger Dank schuldig? Nein, jetzt gerade ist es
Zeit, die ganze Fülle unsrer Bewundrung, Verehrung, Liebe auf ihn auszu¬
schütten, jetzt gerade, da ihm schwere Kränkungen täglich, stündlich zugefügt
werden, da ihm jedes einzelne Zeichen von Anhänglichkeit wohl thun muß.
Der Charakter der Süddeutschen und von uns Schwaben im besondern hat
sich noch niemals durch Beweglichkeit und Geschmeidigkeit ausgezeichnet. Wir
Pflegen unsre Neigung nicht rasch, dafür aber ohne Widerruf zu verschenken.
Man mag es, je nach dem Standpunkte, als deutsche Treue rühmen, man
mag es schwäbische Starrköpfigkeit und Eigensinn schelten, was kommt darauf
an? Es soll nicht einmal geleugnet werden, daß ein Stück Widerspruchsgeist
dabei im Spiele ist: das Übermaß der Verfolgungen auf der einen Seite reizt
zum Fanatismus der Bewundrung auf der andern. Man glaube auch nur
nicht, daß alle Schwaben, die sich jetzt als unbedingte Verehrer Bismcircks
bekennen, zu Zeiten seines unumschränkten Regiments mit seiner innern Politik
durchweg einverstanden gewesen seien, aber sie sagten sich: Er ist nun einmal
nur ganz zu haben. Der kleine Schade, den er auf jenem Gebiete anrichten
mag, wird reichlich aufgewogen durch die unermeßlichen Vorteile, die uns
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