Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Judenfrage eine ethische Frage rechts bedürfen. Einer der bedeutendsten Agrarpolitiker Deutschlands, Geheimrat Man wird mich auf Grund dieses und andrer Vorschläge einen Nück- Doch ich will mich bei dieser Unterscheidung nicht aufhalten, sondern kurz Die Judenfrage eine ethische Frage rechts bedürfen. Einer der bedeutendsten Agrarpolitiker Deutschlands, Geheimrat Man wird mich auf Grund dieses und andrer Vorschläge einen Nück- Doch ich will mich bei dieser Unterscheidung nicht aufhalten, sondern kurz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212987"/> <fw type="header" place="top"> Die Judenfrage eine ethische Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1718" prev="#ID_1717"> rechts bedürfen. Einer der bedeutendsten Agrarpolitiker Deutschlands, Geheimrat<lb/> von Miaskowski, hat sich, von diesem Standpunkt ausgehend, für das An¬<lb/> erbenrecht erklärt, die Enquete des Vereins für Sozialpolitik hat angedeutet,<lb/> daß für Wucherverhältnifse auf dem Lande auch besondre Gesetze geschaffen<lb/> werden müssen, und eine Reihe der tüchtigsten Agrarier tritt für ein besondres<lb/> Schuldrecht für den kleinen Grundbesitz ein. Es muß aber noch um einen<lb/> Schritt weiter gegangen und der Grundsatz anerkannt werden, daß das Dorf<lb/> dein Bauer gehört, und daß sich im Dorfe nur die ansiedeln oder darin ver¬<lb/> bleiben dürfen, die sich selbst mit Ackerbau beschäftigen, oder die, die zwar<lb/> Handwerker, Krämer u. s. w. sind, denen aber die Verwaltungsbehörde auf<lb/> Grund ihres unbescholtnen Lebenswandels und der Kenntnis der Landessprache,<lb/> allenfalls nach Anhörung des Gutachtens der betreffenden Dorfgemeinde, das<lb/> Ansiedlungsrecht erteilt hat. Dann würde die Behörde, die sich nirgends in<lb/> gesitteten Ländern und besonders in Deutschland oder Österreich uicht von<lb/> Antisemitismus oder von Willkürlichkeit leiten läßt, das Recht haben, die<lb/> Blutegel von den Bauern fern zu halten, dem wahren Bedürfnisse der Land¬<lb/> bevölkerung aber nach ehrlichen Handelsleuten, Gastwirten und Handwerkern<lb/> jederzeit zu entsprechen. Auch dies würde eine Säuberung sein im Sinne<lb/> Garofalos, und wenn sie auch in unsre bisherigen öffentlich rechtlichen Be¬<lb/> griffe eine Bresche legte, so folgt daraus weder ihre Unrichtigkeit uoch ihre Un-<lb/> »usführbarkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1719"> Man wird mich auf Grund dieses und andrer Vorschläge einen Nück-<lb/> schrittler nennen; darauf habe ich nnr die in diesen Blättern schon oft gegebne<lb/> Antwort, daß heute, wo es sich in erster Reihe um wirtschaftliche Fragen han¬<lb/> delt, die Schuleinteilung: liberal und konservativ gründlich veraltet ist. Jeden¬<lb/> falls ist mir der Liberalismus, der auf den unwahren Grundlagen der Frei¬<lb/> heit und Gleichheit steht, und der die materielle Unterjochung des Schwächern<lb/> durch deu Stürkeru zum Ziele hat. eigentlich der Rückschritt, wogegen der<lb/> Konservatismus, der sich gegen jene thatsächliche Wiedereinführung der Leib¬<lb/> eigenschaft und Hörigkeit mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften auflehnt,<lb/> für mich den Fortschritt bedeutet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1720" next="#ID_1721"> Doch ich will mich bei dieser Unterscheidung nicht aufhalten, sondern kurz<lb/> die Folgen nennen, die ich von der Einschränkung der Freizügigkeit in dem<lb/> angedeuteten Sinne erwarte. Ich will zunächst bemerken, daß sich diese Ma߬<lb/> regel, wie alle übrigen von mir vvrgeschlagnen, gegen gemeinschädliche Ver¬<lb/> hältnisse, aber nicht gegen eine gewisse Menschenklasse wendet, und hier ist die<lb/> weite, unüberbrückbare Kluft, die mich vom Antisemitismus trennt. That¬<lb/> sächlich werden ja meistens Juden von diesem Gesetz getroffen werden, aber<lb/> les wird im Nahmen der Gleichberechtigung geschehen, und so werden es ihre<lb/> Glaubensgenossen nicht wagen dürfen, sie von grundsätzlichen Standpunkten<lb/> aus zu verteidigen. Wird auf die von mir empfohlene Weise die Ansiedlung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0511]
Die Judenfrage eine ethische Frage
rechts bedürfen. Einer der bedeutendsten Agrarpolitiker Deutschlands, Geheimrat
von Miaskowski, hat sich, von diesem Standpunkt ausgehend, für das An¬
erbenrecht erklärt, die Enquete des Vereins für Sozialpolitik hat angedeutet,
daß für Wucherverhältnifse auf dem Lande auch besondre Gesetze geschaffen
werden müssen, und eine Reihe der tüchtigsten Agrarier tritt für ein besondres
Schuldrecht für den kleinen Grundbesitz ein. Es muß aber noch um einen
Schritt weiter gegangen und der Grundsatz anerkannt werden, daß das Dorf
dein Bauer gehört, und daß sich im Dorfe nur die ansiedeln oder darin ver¬
bleiben dürfen, die sich selbst mit Ackerbau beschäftigen, oder die, die zwar
Handwerker, Krämer u. s. w. sind, denen aber die Verwaltungsbehörde auf
Grund ihres unbescholtnen Lebenswandels und der Kenntnis der Landessprache,
allenfalls nach Anhörung des Gutachtens der betreffenden Dorfgemeinde, das
Ansiedlungsrecht erteilt hat. Dann würde die Behörde, die sich nirgends in
gesitteten Ländern und besonders in Deutschland oder Österreich uicht von
Antisemitismus oder von Willkürlichkeit leiten läßt, das Recht haben, die
Blutegel von den Bauern fern zu halten, dem wahren Bedürfnisse der Land¬
bevölkerung aber nach ehrlichen Handelsleuten, Gastwirten und Handwerkern
jederzeit zu entsprechen. Auch dies würde eine Säuberung sein im Sinne
Garofalos, und wenn sie auch in unsre bisherigen öffentlich rechtlichen Be¬
griffe eine Bresche legte, so folgt daraus weder ihre Unrichtigkeit uoch ihre Un-
»usführbarkeit.
Man wird mich auf Grund dieses und andrer Vorschläge einen Nück-
schrittler nennen; darauf habe ich nnr die in diesen Blättern schon oft gegebne
Antwort, daß heute, wo es sich in erster Reihe um wirtschaftliche Fragen han¬
delt, die Schuleinteilung: liberal und konservativ gründlich veraltet ist. Jeden¬
falls ist mir der Liberalismus, der auf den unwahren Grundlagen der Frei¬
heit und Gleichheit steht, und der die materielle Unterjochung des Schwächern
durch deu Stürkeru zum Ziele hat. eigentlich der Rückschritt, wogegen der
Konservatismus, der sich gegen jene thatsächliche Wiedereinführung der Leib¬
eigenschaft und Hörigkeit mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften auflehnt,
für mich den Fortschritt bedeutet.
Doch ich will mich bei dieser Unterscheidung nicht aufhalten, sondern kurz
die Folgen nennen, die ich von der Einschränkung der Freizügigkeit in dem
angedeuteten Sinne erwarte. Ich will zunächst bemerken, daß sich diese Ma߬
regel, wie alle übrigen von mir vvrgeschlagnen, gegen gemeinschädliche Ver¬
hältnisse, aber nicht gegen eine gewisse Menschenklasse wendet, und hier ist die
weite, unüberbrückbare Kluft, die mich vom Antisemitismus trennt. That¬
sächlich werden ja meistens Juden von diesem Gesetz getroffen werden, aber
les wird im Nahmen der Gleichberechtigung geschehen, und so werden es ihre
Glaubensgenossen nicht wagen dürfen, sie von grundsätzlichen Standpunkten
aus zu verteidigen. Wird auf die von mir empfohlene Weise die Ansiedlung
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