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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Judenfrage eine ethische F^cige

Topf geworfen zu werden --, weist man auf einen andern hin und sagt, der
andre sei noch schlechter. Gesetzt, es wäre wirklich so, so bewiese dies doch
wieder nicht das geringste. Wenn man übrigens nicht mit relativen, sondern
mit absoluten Zahlen operirte, so würde man sich leicht überzeugen, daß die
Zahl der Mörder im Verhältnis zur Zahl der Betrüger und Schwindler aller
Art verschwindend klein ist und infolge dessen auch die erstern für das Ge¬
meinwesen viel weniger gefährlich sind als die letztern. Jeder von uns, die
anständigen Juden wieder nicht ausgenommen, kann bezeugen, daß er schon
oft übervorteilt und beschwindelt worden ist beim Warenkauf, beim Geldwechsel,
bei Börsengeschäften u. s. w.; ermordet aber wird wohl erst ein Mensch auf
Hunderttausende. Die Ausbeutung in allen Formen ist daher eine allgemeine
Gefahr, der Kampf dagegen eine Bedingung der Selbsterhaltung. Gegen die
Mörder reichen unsre Gesetze aus, die Betrüger und Schwindler vermögen sie
noch lange nicht alle zu fassen.

Wenn die Antisemiten den Atheismus und das Weltbürgertum des modernen
Judentums sehen, wenn sie die Kampfesweise betrachten, die nicht nur ihren
rohen Wutausbrüchen, was ja verzeihlich wäre, sondern auch ihren öffentlich
vorgebrachten Argumenten gilt, dann ist es doch kein Wunder, daß sie von
einer "goldnen Internationale" reden, daß sie die Guten und die Schlechte"
zusammenwerfen, weil die Guten durch ihre Schwäche und ihre Veschönigungs-
versuche den Schlechten in die Hand arbeiten, ja wenn sie schließlich darauf
verfallen, eine Austreibung aller Juden aus dem Lande zu fordern.

So stark ich auch im Einklang mit dem christlichen Sittengesetz jedes
Ausnahmegesetz gegen eine Klasse von Menschen verurteile und verabscheue,
s" muß ich doch bekennen, daß ich gleich stark jede Beschönigung und Ver¬
teidigung des Lasters mißbillige und verachte. Wenn die Juden nicht von den jüdi¬
schen Schwindlern lassen wollten, weil diese desselben Glaubens mit ihnen sind
und derselben Rasse angehören, dann bliebe wahrlich nichts weiter übrig, als die
Schlechten und Schwachen unter ihnen samt und sonders ans dem Lande zu
jagen. Aber so liegen die Dinge doch glücklicherweise nicht. Außer den her¬
vorragenden Talenten haben die Juden, was mehr wiegt, doch auch eine große
Zahl solcher hervorgebracht, die zwar nur Durchschnittsmenschen, aber doch
tüchtige Charaktere waren, und die z.B. in den Kämpfen von 1348 für die
Nationen, denen sie sich angeschlossen hatten, Gut und Leben wagten; außer¬
dem eine große Zahl der edelsten Menschenfreunde und der ehrlichsten Leute in
jedem Berufe. Diese Juden, die die öffentliche Schule, die Gleichberechtigung,
die Teilnahme am politischen Leben der Gegenwart zu verdienstvollen Bürgern
gemacht hat, weil sie Gottesglauben und Nationalitätsgefühl besaßen, bieten
doch Gewähr für eine beßre Zukunft, sie lassen hoffen, daß die Juden ihre
Rasfeneigentümlichkeiten niederkämpfen und sich der modernen Gesittung an¬
bequemen werden, ohne daß es zu Ausnahmegesetzen und Austreibungen zu
Gren


zboten III 1892 63
Die Judenfrage eine ethische F^cige

Topf geworfen zu werden —, weist man auf einen andern hin und sagt, der
andre sei noch schlechter. Gesetzt, es wäre wirklich so, so bewiese dies doch
wieder nicht das geringste. Wenn man übrigens nicht mit relativen, sondern
mit absoluten Zahlen operirte, so würde man sich leicht überzeugen, daß die
Zahl der Mörder im Verhältnis zur Zahl der Betrüger und Schwindler aller
Art verschwindend klein ist und infolge dessen auch die erstern für das Ge¬
meinwesen viel weniger gefährlich sind als die letztern. Jeder von uns, die
anständigen Juden wieder nicht ausgenommen, kann bezeugen, daß er schon
oft übervorteilt und beschwindelt worden ist beim Warenkauf, beim Geldwechsel,
bei Börsengeschäften u. s. w.; ermordet aber wird wohl erst ein Mensch auf
Hunderttausende. Die Ausbeutung in allen Formen ist daher eine allgemeine
Gefahr, der Kampf dagegen eine Bedingung der Selbsterhaltung. Gegen die
Mörder reichen unsre Gesetze aus, die Betrüger und Schwindler vermögen sie
noch lange nicht alle zu fassen.

Wenn die Antisemiten den Atheismus und das Weltbürgertum des modernen
Judentums sehen, wenn sie die Kampfesweise betrachten, die nicht nur ihren
rohen Wutausbrüchen, was ja verzeihlich wäre, sondern auch ihren öffentlich
vorgebrachten Argumenten gilt, dann ist es doch kein Wunder, daß sie von
einer „goldnen Internationale" reden, daß sie die Guten und die Schlechte»
zusammenwerfen, weil die Guten durch ihre Schwäche und ihre Veschönigungs-
versuche den Schlechten in die Hand arbeiten, ja wenn sie schließlich darauf
verfallen, eine Austreibung aller Juden aus dem Lande zu fordern.

So stark ich auch im Einklang mit dem christlichen Sittengesetz jedes
Ausnahmegesetz gegen eine Klasse von Menschen verurteile und verabscheue,
s» muß ich doch bekennen, daß ich gleich stark jede Beschönigung und Ver¬
teidigung des Lasters mißbillige und verachte. Wenn die Juden nicht von den jüdi¬
schen Schwindlern lassen wollten, weil diese desselben Glaubens mit ihnen sind
und derselben Rasse angehören, dann bliebe wahrlich nichts weiter übrig, als die
Schlechten und Schwachen unter ihnen samt und sonders ans dem Lande zu
jagen. Aber so liegen die Dinge doch glücklicherweise nicht. Außer den her¬
vorragenden Talenten haben die Juden, was mehr wiegt, doch auch eine große
Zahl solcher hervorgebracht, die zwar nur Durchschnittsmenschen, aber doch
tüchtige Charaktere waren, und die z.B. in den Kämpfen von 1348 für die
Nationen, denen sie sich angeschlossen hatten, Gut und Leben wagten; außer¬
dem eine große Zahl der edelsten Menschenfreunde und der ehrlichsten Leute in
jedem Berufe. Diese Juden, die die öffentliche Schule, die Gleichberechtigung,
die Teilnahme am politischen Leben der Gegenwart zu verdienstvollen Bürgern
gemacht hat, weil sie Gottesglauben und Nationalitätsgefühl besaßen, bieten
doch Gewähr für eine beßre Zukunft, sie lassen hoffen, daß die Juden ihre
Rasfeneigentümlichkeiten niederkämpfen und sich der modernen Gesittung an¬
bequemen werden, ohne daß es zu Ausnahmegesetzen und Austreibungen zu
Gren


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[0505] Die Judenfrage eine ethische F^cige Topf geworfen zu werden —, weist man auf einen andern hin und sagt, der andre sei noch schlechter. Gesetzt, es wäre wirklich so, so bewiese dies doch wieder nicht das geringste. Wenn man übrigens nicht mit relativen, sondern mit absoluten Zahlen operirte, so würde man sich leicht überzeugen, daß die Zahl der Mörder im Verhältnis zur Zahl der Betrüger und Schwindler aller Art verschwindend klein ist und infolge dessen auch die erstern für das Ge¬ meinwesen viel weniger gefährlich sind als die letztern. Jeder von uns, die anständigen Juden wieder nicht ausgenommen, kann bezeugen, daß er schon oft übervorteilt und beschwindelt worden ist beim Warenkauf, beim Geldwechsel, bei Börsengeschäften u. s. w.; ermordet aber wird wohl erst ein Mensch auf Hunderttausende. Die Ausbeutung in allen Formen ist daher eine allgemeine Gefahr, der Kampf dagegen eine Bedingung der Selbsterhaltung. Gegen die Mörder reichen unsre Gesetze aus, die Betrüger und Schwindler vermögen sie noch lange nicht alle zu fassen. Wenn die Antisemiten den Atheismus und das Weltbürgertum des modernen Judentums sehen, wenn sie die Kampfesweise betrachten, die nicht nur ihren rohen Wutausbrüchen, was ja verzeihlich wäre, sondern auch ihren öffentlich vorgebrachten Argumenten gilt, dann ist es doch kein Wunder, daß sie von einer „goldnen Internationale" reden, daß sie die Guten und die Schlechte» zusammenwerfen, weil die Guten durch ihre Schwäche und ihre Veschönigungs- versuche den Schlechten in die Hand arbeiten, ja wenn sie schließlich darauf verfallen, eine Austreibung aller Juden aus dem Lande zu fordern. So stark ich auch im Einklang mit dem christlichen Sittengesetz jedes Ausnahmegesetz gegen eine Klasse von Menschen verurteile und verabscheue, s» muß ich doch bekennen, daß ich gleich stark jede Beschönigung und Ver¬ teidigung des Lasters mißbillige und verachte. Wenn die Juden nicht von den jüdi¬ schen Schwindlern lassen wollten, weil diese desselben Glaubens mit ihnen sind und derselben Rasse angehören, dann bliebe wahrlich nichts weiter übrig, als die Schlechten und Schwachen unter ihnen samt und sonders ans dem Lande zu jagen. Aber so liegen die Dinge doch glücklicherweise nicht. Außer den her¬ vorragenden Talenten haben die Juden, was mehr wiegt, doch auch eine große Zahl solcher hervorgebracht, die zwar nur Durchschnittsmenschen, aber doch tüchtige Charaktere waren, und die z.B. in den Kämpfen von 1348 für die Nationen, denen sie sich angeschlossen hatten, Gut und Leben wagten; außer¬ dem eine große Zahl der edelsten Menschenfreunde und der ehrlichsten Leute in jedem Berufe. Diese Juden, die die öffentliche Schule, die Gleichberechtigung, die Teilnahme am politischen Leben der Gegenwart zu verdienstvollen Bürgern gemacht hat, weil sie Gottesglauben und Nationalitätsgefühl besaßen, bieten doch Gewähr für eine beßre Zukunft, sie lassen hoffen, daß die Juden ihre Rasfeneigentümlichkeiten niederkämpfen und sich der modernen Gesittung an¬ bequemen werden, ohne daß es zu Ausnahmegesetzen und Austreibungen zu Gren zboten III 1892 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/505>, abgerufen am 06.01.2025.