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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lundesstaat und Staatenbund; Volk und Land

liebe Bedeutung ist es, die Wirksamkeit des Staates nach außen abzugrenzen,
nach innen zu gliedern, vor allem aber seine Herrschaft auf alle seinem Gebiete
Einwohnenden ohne Unterschied ihrer Mitgliedschaft oder ihres Fremdseins
zu erstrecken." Nur als Gebiet und Machtbereich also kommt das Land für
die Staatsrechtslehrer in Betracht, als der Raum, worin der Staat seine
Wirksamkeit entfaltet und der seine Macht begrenzt. Indem Hänel nur die
"rechtliche Bedeutung" des Gebiets angiebt, setzt er allerdings voraus, daß
auch noch andre Bedeutungen vorhanden sind, die seiner Ansicht nach nicht
ins Staatsrecht gehören. Es fragt sich aber doch, ob die Politik ohne diese
andern Bedeutungen wird fertig werden können.

Das Vaterland ist nicht ein Gebiet wie etwa die Zuständigkeit einer Be¬
hörde, die aus der Herrschaft über gewisse Personen besteht, gleichviel, wo
sich diese befinden. Das Vaterland ist auch nicht ein bloßer Raum sür die
Entfaltung bewegender Kräfte wie ein Fußballplan oder ein Schießplatz, bei
dem es gleichgiltig ist, ob seine Unterlage aus Kies, ans Lehm oder aus
Rasen besteht. Sondern das Vaterland ist ein wirkliches Land, es besteht
aus Gestein, das mit Pflanzenwuchs bedeckt ist, enthält Berge, Thäler und
Ebnen, stehendes und fließendes Gewässer, Wälder und Wiesen, Äcker und
Gärten und allerlei Gebäude. Dieses Land ist nicht bloß "Unterlage" des
Staats, sondern vor allem die Daseinsbedingung und der Nährboden des
Volkes, und zwar in doppelter Weise. Materiell, indem die Mcnschenleiber
aus Erde gebildet sind, und zur Bildung und Erhaltung jedes einzelnen
Menschenleibes eine gewisse Menge Humus erforderlich ist, etwa soviel, als
aus einer zwei Morgen großen Fläche ausgebreitet zu sein Pflegt, sodaß die
in einem Staate mögliche Menschenmenge von der Größe seiner Humusflüche
abhängt. Dann geistig, indem Landschaft und Klima zusammen den Volks¬
charakter erzeugen oder wenigstens sehr stark beeinflussen. Diesen Nährboden
seines leiblichen und geistigen Lebens kann sich nun ein Volk auf keine andre
Weise sichern, als indem es jedem Volksgenossen den Besitz oder wenigstens
den Genuß von einem bestimmten Teile des Landes sichert. So haben alle
alten staatengründenden Völker, so haben die Griechen und Römer, so die
binden bei der Eroberung Palästinas, so die Germanen bei ihren Niederlassungen
und bei der Abgrenzung der Gebiete ihrer Markgenossenschaften, so unsre Bor¬
fahren bei der Kolonisation im slawischen Osten das Verhältnis des Volks
und Staats zum Lande verstände", und so verstehn es noch heute die Staats¬
männer drüben überm Ozean, die da rufen: Amerika für die Amerikaner!
Daß auch bei uns noch Verständnis für das richtige Verhältnis vorhanden
^se, wird sowohl durch unsre Poesie wie durch die Begeisterung des Volks
in den Jahren 1813 bis 1815, 1848 und 1849, 1864, 1866 und 1870 und
durch manche soziale Refvrinbewegungen der letzte" Jahre bezeugt. Aber, in
der Politik macht sich dieses Verständnis kaum bemerkbar, geschweige denn,


Lundesstaat und Staatenbund; Volk und Land

liebe Bedeutung ist es, die Wirksamkeit des Staates nach außen abzugrenzen,
nach innen zu gliedern, vor allem aber seine Herrschaft auf alle seinem Gebiete
Einwohnenden ohne Unterschied ihrer Mitgliedschaft oder ihres Fremdseins
zu erstrecken." Nur als Gebiet und Machtbereich also kommt das Land für
die Staatsrechtslehrer in Betracht, als der Raum, worin der Staat seine
Wirksamkeit entfaltet und der seine Macht begrenzt. Indem Hänel nur die
„rechtliche Bedeutung" des Gebiets angiebt, setzt er allerdings voraus, daß
auch noch andre Bedeutungen vorhanden sind, die seiner Ansicht nach nicht
ins Staatsrecht gehören. Es fragt sich aber doch, ob die Politik ohne diese
andern Bedeutungen wird fertig werden können.

Das Vaterland ist nicht ein Gebiet wie etwa die Zuständigkeit einer Be¬
hörde, die aus der Herrschaft über gewisse Personen besteht, gleichviel, wo
sich diese befinden. Das Vaterland ist auch nicht ein bloßer Raum sür die
Entfaltung bewegender Kräfte wie ein Fußballplan oder ein Schießplatz, bei
dem es gleichgiltig ist, ob seine Unterlage aus Kies, ans Lehm oder aus
Rasen besteht. Sondern das Vaterland ist ein wirkliches Land, es besteht
aus Gestein, das mit Pflanzenwuchs bedeckt ist, enthält Berge, Thäler und
Ebnen, stehendes und fließendes Gewässer, Wälder und Wiesen, Äcker und
Gärten und allerlei Gebäude. Dieses Land ist nicht bloß „Unterlage" des
Staats, sondern vor allem die Daseinsbedingung und der Nährboden des
Volkes, und zwar in doppelter Weise. Materiell, indem die Mcnschenleiber
aus Erde gebildet sind, und zur Bildung und Erhaltung jedes einzelnen
Menschenleibes eine gewisse Menge Humus erforderlich ist, etwa soviel, als
aus einer zwei Morgen großen Fläche ausgebreitet zu sein Pflegt, sodaß die
in einem Staate mögliche Menschenmenge von der Größe seiner Humusflüche
abhängt. Dann geistig, indem Landschaft und Klima zusammen den Volks¬
charakter erzeugen oder wenigstens sehr stark beeinflussen. Diesen Nährboden
seines leiblichen und geistigen Lebens kann sich nun ein Volk auf keine andre
Weise sichern, als indem es jedem Volksgenossen den Besitz oder wenigstens
den Genuß von einem bestimmten Teile des Landes sichert. So haben alle
alten staatengründenden Völker, so haben die Griechen und Römer, so die
binden bei der Eroberung Palästinas, so die Germanen bei ihren Niederlassungen
und bei der Abgrenzung der Gebiete ihrer Markgenossenschaften, so unsre Bor¬
fahren bei der Kolonisation im slawischen Osten das Verhältnis des Volks
und Staats zum Lande verstände», und so verstehn es noch heute die Staats¬
männer drüben überm Ozean, die da rufen: Amerika für die Amerikaner!
Daß auch bei uns noch Verständnis für das richtige Verhältnis vorhanden
^se, wird sowohl durch unsre Poesie wie durch die Begeisterung des Volks
in den Jahren 1813 bis 1815, 1848 und 1849, 1864, 1866 und 1870 und
durch manche soziale Refvrinbewegungen der letzte» Jahre bezeugt. Aber, in
der Politik macht sich dieses Verständnis kaum bemerkbar, geschweige denn,


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[0469] Lundesstaat und Staatenbund; Volk und Land liebe Bedeutung ist es, die Wirksamkeit des Staates nach außen abzugrenzen, nach innen zu gliedern, vor allem aber seine Herrschaft auf alle seinem Gebiete Einwohnenden ohne Unterschied ihrer Mitgliedschaft oder ihres Fremdseins zu erstrecken." Nur als Gebiet und Machtbereich also kommt das Land für die Staatsrechtslehrer in Betracht, als der Raum, worin der Staat seine Wirksamkeit entfaltet und der seine Macht begrenzt. Indem Hänel nur die „rechtliche Bedeutung" des Gebiets angiebt, setzt er allerdings voraus, daß auch noch andre Bedeutungen vorhanden sind, die seiner Ansicht nach nicht ins Staatsrecht gehören. Es fragt sich aber doch, ob die Politik ohne diese andern Bedeutungen wird fertig werden können. Das Vaterland ist nicht ein Gebiet wie etwa die Zuständigkeit einer Be¬ hörde, die aus der Herrschaft über gewisse Personen besteht, gleichviel, wo sich diese befinden. Das Vaterland ist auch nicht ein bloßer Raum sür die Entfaltung bewegender Kräfte wie ein Fußballplan oder ein Schießplatz, bei dem es gleichgiltig ist, ob seine Unterlage aus Kies, ans Lehm oder aus Rasen besteht. Sondern das Vaterland ist ein wirkliches Land, es besteht aus Gestein, das mit Pflanzenwuchs bedeckt ist, enthält Berge, Thäler und Ebnen, stehendes und fließendes Gewässer, Wälder und Wiesen, Äcker und Gärten und allerlei Gebäude. Dieses Land ist nicht bloß „Unterlage" des Staats, sondern vor allem die Daseinsbedingung und der Nährboden des Volkes, und zwar in doppelter Weise. Materiell, indem die Mcnschenleiber aus Erde gebildet sind, und zur Bildung und Erhaltung jedes einzelnen Menschenleibes eine gewisse Menge Humus erforderlich ist, etwa soviel, als aus einer zwei Morgen großen Fläche ausgebreitet zu sein Pflegt, sodaß die in einem Staate mögliche Menschenmenge von der Größe seiner Humusflüche abhängt. Dann geistig, indem Landschaft und Klima zusammen den Volks¬ charakter erzeugen oder wenigstens sehr stark beeinflussen. Diesen Nährboden seines leiblichen und geistigen Lebens kann sich nun ein Volk auf keine andre Weise sichern, als indem es jedem Volksgenossen den Besitz oder wenigstens den Genuß von einem bestimmten Teile des Landes sichert. So haben alle alten staatengründenden Völker, so haben die Griechen und Römer, so die binden bei der Eroberung Palästinas, so die Germanen bei ihren Niederlassungen und bei der Abgrenzung der Gebiete ihrer Markgenossenschaften, so unsre Bor¬ fahren bei der Kolonisation im slawischen Osten das Verhältnis des Volks und Staats zum Lande verstände», und so verstehn es noch heute die Staats¬ männer drüben überm Ozean, die da rufen: Amerika für die Amerikaner! Daß auch bei uns noch Verständnis für das richtige Verhältnis vorhanden ^se, wird sowohl durch unsre Poesie wie durch die Begeisterung des Volks in den Jahren 1813 bis 1815, 1848 und 1849, 1864, 1866 und 1870 und durch manche soziale Refvrinbewegungen der letzte» Jahre bezeugt. Aber, in der Politik macht sich dieses Verständnis kaum bemerkbar, geschweige denn,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/469>, abgerufen am 08.01.2025.