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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Judenfrage eine ethische Frage

dem gebildeten Juden, und bei dem ungebildeten dem Fanatismus, der jede
Bibelstelle sich nach seinem Gutdünken zurechtlegt oder mißversteht, seinem
Mangel auch der elementarsten Kenntnisse, seiner Gleichgiltigkeit gegen alles,
was nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Juden Bezug hat.

Die wenigen Juden, die zugleich gute Deutsche, Franzosen, Polen u. s. w.
sind, und die dem Glauben ihrer Väter wirklich treu anhängen, trifft gewöhn¬
lich im Geschäftsleben nicht der geringste Vorwurf. Und wenn ich gesagt
habe, daß die christlichen Kaufleute durchschnittlich ehrlicher seien als die
jüdischen, so kann ich hier die Gründe dafür angeben: sie ernennen eine posi¬
tive Religion an und fühlen sich eins mit der Nation, derev-Kprache sie reden.
Das ist bei dem jüdischen Bankier oder Journalisten nur ausnahmsweise der
Fall. Er setzt seinen Stolz darein, der ganzen Welt anzugehören, und dekla-
mirt mit Vorliebe von Humanität und Verbrüderung der Völker aus dem¬
selben Grunde, aus dem er sich für den Kampf gegen das Privatkapital er¬
klärt hat. Die weitesten Ziele, die weltstürmendsten Ideale sind ihm die
liebsten, weil sie den Vorzug haben, nie oder erst in fernster Zukunft erreicht
zu werden. ^.pr<Z8 nous le clöluAö! ist sein Wahlspruch, und nachdem er im
Klub oder in seiner Zeitung einige geistreiche Bemerkungen gegen das Kapital
und den Chauvinismus oder für den ewigen Frieden vom Stapel gelassen hat,
setzt er ans der Börse den ewigen Krieg gegen das fremde Kapital unermüd¬
lich in der Absicht fort, am meisten davon für sich zu erobern, und benutzt
jedes Mißverständnis zwischen Regierungen, ja jedes an sich gleichgültige Er¬
eignis, wenn es nur in der Presse entsprechend ausgelegt werden kann, je
nach seinem Vorrat von Papieren des betreffenden Staates zu Minen und
Kontreminen.

Der fromme Jude kehrt sich nicht an veraltete Talmudsatzungen, wenn
sie auch irgendwo vorhanden sind und er sie kennt; er weiß, sie sind in
einer andern Zeit entstanden und waren gegen andre Menschen, gegen die Ver¬
folger seiner Vorfahren gerichtet. Der Jude, der sich der Nation angeschlossen
-hat, unter der er lebt, sühlt Teilnahme für seine Mitbrüder, kümmert sich um
ihr Wohl und Wehe, fühlt sich eins mit ihnen, und es wäre ihm unmöglich,
andre zu übervorteilen. Wer Religion und Nationalität besitzt, findet an ihnen
den Halt, dessen der Mensch überhaupt bedarf.

Die Konfessionslosigkeit, die von dem Materialismus als moderne Re¬
ligion proklamirt wurde, wonach man das Gute um des Guten willen thun,
das Böse um des Bösen willen meiden solle -- ohne Hoffnung auf Lohn
oder Strafe, ohne Glauben an Gewissen und göttliche Gerechtigkeit --, dieses
philosophische Glaubensbekenntnis hat im modernen Judentum seinen größten
Triumph gefeiert, aber auch seinen schmählichsten Schiffbruch gelitten.

Das Experiment ist gelungen: an der Brust einer kurzsichtigen mecha¬
nischen Weltanschauung hat man Menschen anferzogett, die den positiven


Die Judenfrage eine ethische Frage

dem gebildeten Juden, und bei dem ungebildeten dem Fanatismus, der jede
Bibelstelle sich nach seinem Gutdünken zurechtlegt oder mißversteht, seinem
Mangel auch der elementarsten Kenntnisse, seiner Gleichgiltigkeit gegen alles,
was nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Juden Bezug hat.

Die wenigen Juden, die zugleich gute Deutsche, Franzosen, Polen u. s. w.
sind, und die dem Glauben ihrer Väter wirklich treu anhängen, trifft gewöhn¬
lich im Geschäftsleben nicht der geringste Vorwurf. Und wenn ich gesagt
habe, daß die christlichen Kaufleute durchschnittlich ehrlicher seien als die
jüdischen, so kann ich hier die Gründe dafür angeben: sie ernennen eine posi¬
tive Religion an und fühlen sich eins mit der Nation, derev-Kprache sie reden.
Das ist bei dem jüdischen Bankier oder Journalisten nur ausnahmsweise der
Fall. Er setzt seinen Stolz darein, der ganzen Welt anzugehören, und dekla-
mirt mit Vorliebe von Humanität und Verbrüderung der Völker aus dem¬
selben Grunde, aus dem er sich für den Kampf gegen das Privatkapital er¬
klärt hat. Die weitesten Ziele, die weltstürmendsten Ideale sind ihm die
liebsten, weil sie den Vorzug haben, nie oder erst in fernster Zukunft erreicht
zu werden. ^.pr<Z8 nous le clöluAö! ist sein Wahlspruch, und nachdem er im
Klub oder in seiner Zeitung einige geistreiche Bemerkungen gegen das Kapital
und den Chauvinismus oder für den ewigen Frieden vom Stapel gelassen hat,
setzt er ans der Börse den ewigen Krieg gegen das fremde Kapital unermüd¬
lich in der Absicht fort, am meisten davon für sich zu erobern, und benutzt
jedes Mißverständnis zwischen Regierungen, ja jedes an sich gleichgültige Er¬
eignis, wenn es nur in der Presse entsprechend ausgelegt werden kann, je
nach seinem Vorrat von Papieren des betreffenden Staates zu Minen und
Kontreminen.

Der fromme Jude kehrt sich nicht an veraltete Talmudsatzungen, wenn
sie auch irgendwo vorhanden sind und er sie kennt; er weiß, sie sind in
einer andern Zeit entstanden und waren gegen andre Menschen, gegen die Ver¬
folger seiner Vorfahren gerichtet. Der Jude, der sich der Nation angeschlossen
-hat, unter der er lebt, sühlt Teilnahme für seine Mitbrüder, kümmert sich um
ihr Wohl und Wehe, fühlt sich eins mit ihnen, und es wäre ihm unmöglich,
andre zu übervorteilen. Wer Religion und Nationalität besitzt, findet an ihnen
den Halt, dessen der Mensch überhaupt bedarf.

Die Konfessionslosigkeit, die von dem Materialismus als moderne Re¬
ligion proklamirt wurde, wonach man das Gute um des Guten willen thun,
das Böse um des Bösen willen meiden solle — ohne Hoffnung auf Lohn
oder Strafe, ohne Glauben an Gewissen und göttliche Gerechtigkeit —, dieses
philosophische Glaubensbekenntnis hat im modernen Judentum seinen größten
Triumph gefeiert, aber auch seinen schmählichsten Schiffbruch gelitten.

Das Experiment ist gelungen: an der Brust einer kurzsichtigen mecha¬
nischen Weltanschauung hat man Menschen anferzogett, die den positiven


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[0460] Die Judenfrage eine ethische Frage dem gebildeten Juden, und bei dem ungebildeten dem Fanatismus, der jede Bibelstelle sich nach seinem Gutdünken zurechtlegt oder mißversteht, seinem Mangel auch der elementarsten Kenntnisse, seiner Gleichgiltigkeit gegen alles, was nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Juden Bezug hat. Die wenigen Juden, die zugleich gute Deutsche, Franzosen, Polen u. s. w. sind, und die dem Glauben ihrer Väter wirklich treu anhängen, trifft gewöhn¬ lich im Geschäftsleben nicht der geringste Vorwurf. Und wenn ich gesagt habe, daß die christlichen Kaufleute durchschnittlich ehrlicher seien als die jüdischen, so kann ich hier die Gründe dafür angeben: sie ernennen eine posi¬ tive Religion an und fühlen sich eins mit der Nation, derev-Kprache sie reden. Das ist bei dem jüdischen Bankier oder Journalisten nur ausnahmsweise der Fall. Er setzt seinen Stolz darein, der ganzen Welt anzugehören, und dekla- mirt mit Vorliebe von Humanität und Verbrüderung der Völker aus dem¬ selben Grunde, aus dem er sich für den Kampf gegen das Privatkapital er¬ klärt hat. Die weitesten Ziele, die weltstürmendsten Ideale sind ihm die liebsten, weil sie den Vorzug haben, nie oder erst in fernster Zukunft erreicht zu werden. ^.pr<Z8 nous le clöluAö! ist sein Wahlspruch, und nachdem er im Klub oder in seiner Zeitung einige geistreiche Bemerkungen gegen das Kapital und den Chauvinismus oder für den ewigen Frieden vom Stapel gelassen hat, setzt er ans der Börse den ewigen Krieg gegen das fremde Kapital unermüd¬ lich in der Absicht fort, am meisten davon für sich zu erobern, und benutzt jedes Mißverständnis zwischen Regierungen, ja jedes an sich gleichgültige Er¬ eignis, wenn es nur in der Presse entsprechend ausgelegt werden kann, je nach seinem Vorrat von Papieren des betreffenden Staates zu Minen und Kontreminen. Der fromme Jude kehrt sich nicht an veraltete Talmudsatzungen, wenn sie auch irgendwo vorhanden sind und er sie kennt; er weiß, sie sind in einer andern Zeit entstanden und waren gegen andre Menschen, gegen die Ver¬ folger seiner Vorfahren gerichtet. Der Jude, der sich der Nation angeschlossen -hat, unter der er lebt, sühlt Teilnahme für seine Mitbrüder, kümmert sich um ihr Wohl und Wehe, fühlt sich eins mit ihnen, und es wäre ihm unmöglich, andre zu übervorteilen. Wer Religion und Nationalität besitzt, findet an ihnen den Halt, dessen der Mensch überhaupt bedarf. Die Konfessionslosigkeit, die von dem Materialismus als moderne Re¬ ligion proklamirt wurde, wonach man das Gute um des Guten willen thun, das Böse um des Bösen willen meiden solle — ohne Hoffnung auf Lohn oder Strafe, ohne Glauben an Gewissen und göttliche Gerechtigkeit —, dieses philosophische Glaubensbekenntnis hat im modernen Judentum seinen größten Triumph gefeiert, aber auch seinen schmählichsten Schiffbruch gelitten. Das Experiment ist gelungen: an der Brust einer kurzsichtigen mecha¬ nischen Weltanschauung hat man Menschen anferzogett, die den positiven

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/460>, abgerufen am 06.01.2025.