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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

Nepomuk veranlaßte, ihm einen Teil meiner Geschichte zu erzählen, besonders
die von meinen musikalischen Studien und den Plänen des verstorbnen Steuer-
perüquators Heinzelmann, mich ausbilden zu lassen, die durch dessen Tod
und meine Mittellosigkeit vereitelt worden waren.

Herr Franke betrachtete mich mit großer Teilnahme, indem er den langen
gelben Schnurbart durch die Finger zog, und stellte allerlei Fragen an mich,
deren Beantwortung ihn überzeugen mußte, daß ich nichts lieber auf der Welt
treiben möchte als Musik. Über manches Wort von mir lächelte er, ohne
daß ich begriff warum, weswegen ich allemal tief errötete. Er wollte dann
wissen, was ich konnte, und prüfte mich. Er legte mir Noten vor, ich sollte
sie auf der Klarinette spielen. Auch auf der Flöte mußte ich ihm eine
Probe geben. Für mein Violin- und Klavierspiel interessirte er sich nicht.

Als ich zuerst die Klarinette in die Hand nahm, zitterte ich so stark, daß
ich alle Kraft aufwenden mußte, sie fest am Munde zu halten. Ich wußte
vor Aufregung nicht, ob ich gut oder schlecht spielte, und der Kapellmeister
richtete nur stumme, prüfende Blicke auf mich. Er redete mich auch mit Sie
an, was mir im Leben nie geschehen war.

Ungeheuer erschrak ich, als Herr Franke plötzlich erklärte, es hinge nur
vou mir ab, ob ich eines Tages Kapellmeister werden wollte, so wie er. In
meinem Alter habe er noch kein Instrument spielen können, und mit siebzehn
Jahren sei er auch noch Schneider gewesen, so wie ich jetzt. Er wolle mir
gern behilflich sein, ja er wolle mich gleich mit nach Hamburg nehmen; ich
sollte schon von Anfang an freie Montur, freie Station in der Kaserne und
die Löhnung des gemeinen Soldaten erhalten.

Mir wurde schwindlig, als ich solche Dinge hörte. Bangigkeit, die Angst
vor dem Unbekannten, und ein unbeschreiblicher innerer Jnbel mischten sich in
meiner Empfindung. Wie in einem Rausche eilte ich uach Hause.

Dort wurde ich schnell ernüchtert. Die Eltern machten bedenkliche Ge¬
sichter. Der Vater schwieg eine Zeit lang; oann erklärte er, für ein solches
Kasernenleben sei ich noch zu jung, ich liefe dabei zu große Gefahr. Bei
meiner schwächlichen Konstitution würde ich leicht den Anstrengungen erliegen
und mir eine Auszehrung an den Hals blasen. Auch sollte ich uur ein klein
wenig bedenken, ob ich mir denn wirklich getraute, in einer so großen fremden
Stadt zu leben, und noch dazu in einer Kaserne, ohne Möglichkeit zurückzu¬
kehren; ob ich nicht selber fürchtete, daß ich sterbenskrank werden würde vor
Heimweh und Verlassenheit.

Wenn aber mein Vater schon so sprach, so mag man sich erst die Mutter
vorstellen. Ihr fiel zu guter letzt noch ein, daß ich in Hamburg ja uuter
lauter Evangelische käme, wo ich sicher meine Religion verlieren würde. Ich
könnte da nie in eine katholische Kirche gehen, denn dort gebe es wohl gar
keine. Und dazu weinte sie.


Weltgeschichte in Hinterwinkel

Nepomuk veranlaßte, ihm einen Teil meiner Geschichte zu erzählen, besonders
die von meinen musikalischen Studien und den Plänen des verstorbnen Steuer-
perüquators Heinzelmann, mich ausbilden zu lassen, die durch dessen Tod
und meine Mittellosigkeit vereitelt worden waren.

Herr Franke betrachtete mich mit großer Teilnahme, indem er den langen
gelben Schnurbart durch die Finger zog, und stellte allerlei Fragen an mich,
deren Beantwortung ihn überzeugen mußte, daß ich nichts lieber auf der Welt
treiben möchte als Musik. Über manches Wort von mir lächelte er, ohne
daß ich begriff warum, weswegen ich allemal tief errötete. Er wollte dann
wissen, was ich konnte, und prüfte mich. Er legte mir Noten vor, ich sollte
sie auf der Klarinette spielen. Auch auf der Flöte mußte ich ihm eine
Probe geben. Für mein Violin- und Klavierspiel interessirte er sich nicht.

Als ich zuerst die Klarinette in die Hand nahm, zitterte ich so stark, daß
ich alle Kraft aufwenden mußte, sie fest am Munde zu halten. Ich wußte
vor Aufregung nicht, ob ich gut oder schlecht spielte, und der Kapellmeister
richtete nur stumme, prüfende Blicke auf mich. Er redete mich auch mit Sie
an, was mir im Leben nie geschehen war.

Ungeheuer erschrak ich, als Herr Franke plötzlich erklärte, es hinge nur
vou mir ab, ob ich eines Tages Kapellmeister werden wollte, so wie er. In
meinem Alter habe er noch kein Instrument spielen können, und mit siebzehn
Jahren sei er auch noch Schneider gewesen, so wie ich jetzt. Er wolle mir
gern behilflich sein, ja er wolle mich gleich mit nach Hamburg nehmen; ich
sollte schon von Anfang an freie Montur, freie Station in der Kaserne und
die Löhnung des gemeinen Soldaten erhalten.

Mir wurde schwindlig, als ich solche Dinge hörte. Bangigkeit, die Angst
vor dem Unbekannten, und ein unbeschreiblicher innerer Jnbel mischten sich in
meiner Empfindung. Wie in einem Rausche eilte ich uach Hause.

Dort wurde ich schnell ernüchtert. Die Eltern machten bedenkliche Ge¬
sichter. Der Vater schwieg eine Zeit lang; oann erklärte er, für ein solches
Kasernenleben sei ich noch zu jung, ich liefe dabei zu große Gefahr. Bei
meiner schwächlichen Konstitution würde ich leicht den Anstrengungen erliegen
und mir eine Auszehrung an den Hals blasen. Auch sollte ich uur ein klein
wenig bedenken, ob ich mir denn wirklich getraute, in einer so großen fremden
Stadt zu leben, und noch dazu in einer Kaserne, ohne Möglichkeit zurückzu¬
kehren; ob ich nicht selber fürchtete, daß ich sterbenskrank werden würde vor
Heimweh und Verlassenheit.

Wenn aber mein Vater schon so sprach, so mag man sich erst die Mutter
vorstellen. Ihr fiel zu guter letzt noch ein, daß ich in Hamburg ja uuter
lauter Evangelische käme, wo ich sicher meine Religion verlieren würde. Ich
könnte da nie in eine katholische Kirche gehen, denn dort gebe es wohl gar
keine. Und dazu weinte sie.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/432>, abgerufen am 07.01.2025.