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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Von Staats wegen reichlich vergütet werden würden. Man machte darum
Wohl auf die Melodie der Hornsignale cynische, den Preußenhaß zum Aus¬
druck bringende Neimverse; aber seinen Gästen selbst sagte man so viel Schmeiche¬
leien, als sie hören wollten.

Und nicht unverdientermaßen. Denn die fremden Soldaten zeigten ein
rührendes Entgegenkommen; die meisten gingen mit ins Feld und halfen bei
der Arbeit, als ob sie im Tagelohn stünden. Da gab es dann ein fortgesetztes
gegenseitiges Stannen über die fremde Art und Sprache.

Am höchsten stieg die Hinterwinkler Begeisterung am 15. August, am
Tage von Maria Himmelfahrt. Nicht nnr daß schon vorher die aus¬
gezeichnete Kapelle des Regiments auf den Wiesen bei der Haselbrücke
jeden Tag stundenlang die herrlichste Musik gemacht hatte für jedermann,
der zuhören wollte: an diesem Himmelfahrtstage, dem Lieblingsfeste der
Hinterwinkler, erbot sich der Kapellmeister, in der Kirche beim Hochamt ich
weiß nicht was für eine berühmte Messe zu spielen. Und so geschah es
auch wirklich. Während von der Orgelbühne herunter eine Musik erklang,
wie in den Mauern der Hinterwinkler Kirche noch nie gehört worden war,
standen vorn im Chor um den Hochaltar sechs Trommelschläger und die
ganze erste Kompagnie des Regiments, mit schwarzen Roßschweifen auf den
Pickelhauben, und beim Segen mit dem Allerheiligsten, beim srZo
saeraw6ut.nur und Leos xs.mis WKsloruin, beim Offertorium, bei der Wandlung
und der Kommunion schlüge" die Trommeln einen Wirbel, lind die Soldaten
prnsentirten das Gewehr, daß es nnr so rasselte. Da war eine große heilige
Freude und Seligkeit.

Am Nachmittag aber setzte sich die Frende ins Weltliche fort. Dieselbe
Musik spielte jetzt in der Krone zum Tanz auf. Das hätte zwar der Pfarrer
gern verboten, denu es war nicht Sitte, am Himmelfahrtstag zu tanzen. Aber
da er, ein Freund von Musik und feierlichem Gepränge, die gottesdienstliche
Teilnahme des Regiments angenommen hatte, mußte er nnn schon ein Ange
zudrücken und zu dem bösen weltlichen Spiel gute Miene machen.

Eine noch beßre machten die Hinterwinkler Mädchen. Mit den hübschesten
unter ihnen tanzten sogar die Offiziere, und sie thaten dabei, als ob sie im
Leben kein höheres Vergnügen gehabt hätten, und als ob es keine größere
Ehre für sie gäbe, als mit einer traiter Schwabendirne so herumzuwälzen.
Und nicht nur die Mädchen gewannen sie durch solche Liebenswürdigkeit; auch
die jungen Burschen machten sie kirre. Im Anfang standen diese verdutzt in
den Ecken herum oder getrauten sich auch gar nicht den Tanzsaal zu betreten.
Aber die Offiziere wurden nicht müde, die Trutzigen zum Tanz zu ermuntern
und ihnen vorzureden, daß der Ball nnr für sie und ihre Schätze veranstaltet
sei, daß Soldaten und Offiziere sich als Gäste betrachteten und sich nur mit
gütiger Erlaubnis der Herren von Hinterwinkel am Tanz beteiligten.


Von Staats wegen reichlich vergütet werden würden. Man machte darum
Wohl auf die Melodie der Hornsignale cynische, den Preußenhaß zum Aus¬
druck bringende Neimverse; aber seinen Gästen selbst sagte man so viel Schmeiche¬
leien, als sie hören wollten.

Und nicht unverdientermaßen. Denn die fremden Soldaten zeigten ein
rührendes Entgegenkommen; die meisten gingen mit ins Feld und halfen bei
der Arbeit, als ob sie im Tagelohn stünden. Da gab es dann ein fortgesetztes
gegenseitiges Stannen über die fremde Art und Sprache.

Am höchsten stieg die Hinterwinkler Begeisterung am 15. August, am
Tage von Maria Himmelfahrt. Nicht nnr daß schon vorher die aus¬
gezeichnete Kapelle des Regiments auf den Wiesen bei der Haselbrücke
jeden Tag stundenlang die herrlichste Musik gemacht hatte für jedermann,
der zuhören wollte: an diesem Himmelfahrtstage, dem Lieblingsfeste der
Hinterwinkler, erbot sich der Kapellmeister, in der Kirche beim Hochamt ich
weiß nicht was für eine berühmte Messe zu spielen. Und so geschah es
auch wirklich. Während von der Orgelbühne herunter eine Musik erklang,
wie in den Mauern der Hinterwinkler Kirche noch nie gehört worden war,
standen vorn im Chor um den Hochaltar sechs Trommelschläger und die
ganze erste Kompagnie des Regiments, mit schwarzen Roßschweifen auf den
Pickelhauben, und beim Segen mit dem Allerheiligsten, beim srZo
saeraw6ut.nur und Leos xs.mis WKsloruin, beim Offertorium, bei der Wandlung
und der Kommunion schlüge» die Trommeln einen Wirbel, lind die Soldaten
prnsentirten das Gewehr, daß es nnr so rasselte. Da war eine große heilige
Freude und Seligkeit.

Am Nachmittag aber setzte sich die Frende ins Weltliche fort. Dieselbe
Musik spielte jetzt in der Krone zum Tanz auf. Das hätte zwar der Pfarrer
gern verboten, denu es war nicht Sitte, am Himmelfahrtstag zu tanzen. Aber
da er, ein Freund von Musik und feierlichem Gepränge, die gottesdienstliche
Teilnahme des Regiments angenommen hatte, mußte er nnn schon ein Ange
zudrücken und zu dem bösen weltlichen Spiel gute Miene machen.

Eine noch beßre machten die Hinterwinkler Mädchen. Mit den hübschesten
unter ihnen tanzten sogar die Offiziere, und sie thaten dabei, als ob sie im
Leben kein höheres Vergnügen gehabt hätten, und als ob es keine größere
Ehre für sie gäbe, als mit einer traiter Schwabendirne so herumzuwälzen.
Und nicht nur die Mädchen gewannen sie durch solche Liebenswürdigkeit; auch
die jungen Burschen machten sie kirre. Im Anfang standen diese verdutzt in
den Ecken herum oder getrauten sich auch gar nicht den Tanzsaal zu betreten.
Aber die Offiziere wurden nicht müde, die Trutzigen zum Tanz zu ermuntern
und ihnen vorzureden, daß der Ball nnr für sie und ihre Schätze veranstaltet
sei, daß Soldaten und Offiziere sich als Gäste betrachteten und sich nur mit
gütiger Erlaubnis der Herren von Hinterwinkel am Tanz beteiligten.


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[0427] Von Staats wegen reichlich vergütet werden würden. Man machte darum Wohl auf die Melodie der Hornsignale cynische, den Preußenhaß zum Aus¬ druck bringende Neimverse; aber seinen Gästen selbst sagte man so viel Schmeiche¬ leien, als sie hören wollten. Und nicht unverdientermaßen. Denn die fremden Soldaten zeigten ein rührendes Entgegenkommen; die meisten gingen mit ins Feld und halfen bei der Arbeit, als ob sie im Tagelohn stünden. Da gab es dann ein fortgesetztes gegenseitiges Stannen über die fremde Art und Sprache. Am höchsten stieg die Hinterwinkler Begeisterung am 15. August, am Tage von Maria Himmelfahrt. Nicht nnr daß schon vorher die aus¬ gezeichnete Kapelle des Regiments auf den Wiesen bei der Haselbrücke jeden Tag stundenlang die herrlichste Musik gemacht hatte für jedermann, der zuhören wollte: an diesem Himmelfahrtstage, dem Lieblingsfeste der Hinterwinkler, erbot sich der Kapellmeister, in der Kirche beim Hochamt ich weiß nicht was für eine berühmte Messe zu spielen. Und so geschah es auch wirklich. Während von der Orgelbühne herunter eine Musik erklang, wie in den Mauern der Hinterwinkler Kirche noch nie gehört worden war, standen vorn im Chor um den Hochaltar sechs Trommelschläger und die ganze erste Kompagnie des Regiments, mit schwarzen Roßschweifen auf den Pickelhauben, und beim Segen mit dem Allerheiligsten, beim srZo saeraw6ut.nur und Leos xs.mis WKsloruin, beim Offertorium, bei der Wandlung und der Kommunion schlüge» die Trommeln einen Wirbel, lind die Soldaten prnsentirten das Gewehr, daß es nnr so rasselte. Da war eine große heilige Freude und Seligkeit. Am Nachmittag aber setzte sich die Frende ins Weltliche fort. Dieselbe Musik spielte jetzt in der Krone zum Tanz auf. Das hätte zwar der Pfarrer gern verboten, denu es war nicht Sitte, am Himmelfahrtstag zu tanzen. Aber da er, ein Freund von Musik und feierlichem Gepränge, die gottesdienstliche Teilnahme des Regiments angenommen hatte, mußte er nnn schon ein Ange zudrücken und zu dem bösen weltlichen Spiel gute Miene machen. Eine noch beßre machten die Hinterwinkler Mädchen. Mit den hübschesten unter ihnen tanzten sogar die Offiziere, und sie thaten dabei, als ob sie im Leben kein höheres Vergnügen gehabt hätten, und als ob es keine größere Ehre für sie gäbe, als mit einer traiter Schwabendirne so herumzuwälzen. Und nicht nur die Mädchen gewannen sie durch solche Liebenswürdigkeit; auch die jungen Burschen machten sie kirre. Im Anfang standen diese verdutzt in den Ecken herum oder getrauten sich auch gar nicht den Tanzsaal zu betreten. Aber die Offiziere wurden nicht müde, die Trutzigen zum Tanz zu ermuntern und ihnen vorzureden, daß der Ball nnr für sie und ihre Schätze veranstaltet sei, daß Soldaten und Offiziere sich als Gäste betrachteten und sich nur mit gütiger Erlaubnis der Herren von Hinterwinkel am Tanz beteiligten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/427>, abgerufen am 06.01.2025.