Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Mußte es so kommen? heute klingt, wenn auch gedämpft und viel bespöttelt, das Wort vom "Arbeiter- Einstweilen ist es eine Anforderung weniger an die Gesiunungsgröße, als Noch einmal ist die Gelegenheit günstig. Der auf dem Hallischen Partei- Mußte es so kommen? heute klingt, wenn auch gedämpft und viel bespöttelt, das Wort vom „Arbeiter- Einstweilen ist es eine Anforderung weniger an die Gesiunungsgröße, als Noch einmal ist die Gelegenheit günstig. Der auf dem Hallischen Partei- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212879"/> <fw type="header" place="top"> Mußte es so kommen?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1352" prev="#ID_1351"> heute klingt, wenn auch gedämpft und viel bespöttelt, das Wort vom „Arbeiter-<lb/> kaiser" in der sozialdemokratischen Presse nach. Erst kürzlich bei der Beratung<lb/> des Berggesetzentwurfs im preußischen Abgeordnetenhause konnte man beobachten,<lb/> daß sie die arbeiterfreundlichen Vorschläge der Regierung Wohl zu würdigen<lb/> wußte und ihren Mißerfolg nur dem Druck der sogenannten kapitalistischen<lb/> Klassen zuschrieb.</p><lb/> <p xml:id="ID_1353"> Einstweilen ist es eine Anforderung weniger an die Gesiunungsgröße, als<lb/> an die politische Klugheit, den Kampf gegen die Sozialdemokratie seiner Be¬<lb/> deutung als Kampf zweier Weltanschauungen entsprechend wenigstens nicht mit<lb/> kleinlichen Mitteln zu führen.. Volle Koalitionsfreiheit für Arbeiter wie Ar¬<lb/> beitgeber wird als eines der erprobtesten Mittel, den unvermeidlichen Krieg<lb/> beider in geordneten Formen auszutragen, von der nationalökonomischen Wissen¬<lb/> schaft heute nahezu einstimmig gefordert. Vereins- und Versammlungswesen<lb/> wie die Presse sind niemals mehr niedergehalten worden, als nach den Karls¬<lb/> bader Beschlüssen. Und doch ist damit den revolutionären Ideen nicht ein<lb/> Fußbreit Laudes abgewonnen oder ihrem endlichen Siegeszuge auch nur einen<lb/> Augenblick länger Widerstand geleistet worden. Eine wohlwollende, gerechte<lb/> Staatsgewalt, die innerhalb des Rahmens der allgemeinen Strafgesetze un¬<lb/> reifen Meinungen Raum läßt auszutoben, von der mau aber weiß, daß sie<lb/> den ersten Versuch des Aufruhrs mit der Aufforderung zum Auseinandergehn,<lb/> dreimaligem Trommelwirbel und schließlich einer erbarmungslosen Salve der<lb/> kleinkalibrigen Gewehre in den dichtesten Haufen hinein begegnet, hat von einer<lb/> freimütiger, selbst gehässigen Presse oder von der abendlichen Erhitzung der<lb/> Gemüter durch Bier, unsinnigen Redeschwall und Tabaksaualm nichts zu be¬<lb/> fürchten. Wohl aber darf sie hoffen, daß der unvernünftige Teil der sozia-<lb/> Wischen Bestrebungen um so früher an seinem eignen Widersinn zu Grunde<lb/> Hehn werde. Dem vernünftigen Kern zum Siege zu helfen, und er ist nur<lb/> vernünftig, soweit dies ohne Beeinträchtigung andrer berechtigter Interessen<lb/> Möglich ist, ist ohnedies die Schuldigkeit der Staatsgewalt. Rechtzeitige Re¬<lb/> formen sind allezeit die besten Vorbeugungsmaßregeln gegen Revolutionen ge¬<lb/> wesen. Von der Seisachtheia unter Solon, der die Dike zu seiner Göttin er¬<lb/> wühlt hatte, rühmt Jäger, daß sie eine dauernde Heilung gewesen, und daß<lb/> Hr zu danken sei, wenn die Ruhe des attischen Landes, wie so manches<lb/> andern, durch ökonomische Wirren nicht wieder gestört worden sei. Re¬<lb/> formen gelingen aber am sichersten, wenn sie von der thätigen Mitwirkung<lb/> der Klassen getragen werden, denen sie zu gute gehen sollten. Die Regierungen<lb/> sowohl als die ganze bürgerliche Gesellschaft sollten deshalb jede Bereitschaft<lb/> der Sozialdemokratie zur Mitarbeit an den positiven Aufgaben des Staats<lb/> und der Gemeinde willkommen heißen, statt sie mit Mißtraue» oder gar mit<lb/> höhnenden Worten zurückzuweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1354" next="#ID_1355"> Noch einmal ist die Gelegenheit günstig. Der auf dem Hallischen Partei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0403]
Mußte es so kommen?
heute klingt, wenn auch gedämpft und viel bespöttelt, das Wort vom „Arbeiter-
kaiser" in der sozialdemokratischen Presse nach. Erst kürzlich bei der Beratung
des Berggesetzentwurfs im preußischen Abgeordnetenhause konnte man beobachten,
daß sie die arbeiterfreundlichen Vorschläge der Regierung Wohl zu würdigen
wußte und ihren Mißerfolg nur dem Druck der sogenannten kapitalistischen
Klassen zuschrieb.
Einstweilen ist es eine Anforderung weniger an die Gesiunungsgröße, als
an die politische Klugheit, den Kampf gegen die Sozialdemokratie seiner Be¬
deutung als Kampf zweier Weltanschauungen entsprechend wenigstens nicht mit
kleinlichen Mitteln zu führen.. Volle Koalitionsfreiheit für Arbeiter wie Ar¬
beitgeber wird als eines der erprobtesten Mittel, den unvermeidlichen Krieg
beider in geordneten Formen auszutragen, von der nationalökonomischen Wissen¬
schaft heute nahezu einstimmig gefordert. Vereins- und Versammlungswesen
wie die Presse sind niemals mehr niedergehalten worden, als nach den Karls¬
bader Beschlüssen. Und doch ist damit den revolutionären Ideen nicht ein
Fußbreit Laudes abgewonnen oder ihrem endlichen Siegeszuge auch nur einen
Augenblick länger Widerstand geleistet worden. Eine wohlwollende, gerechte
Staatsgewalt, die innerhalb des Rahmens der allgemeinen Strafgesetze un¬
reifen Meinungen Raum läßt auszutoben, von der mau aber weiß, daß sie
den ersten Versuch des Aufruhrs mit der Aufforderung zum Auseinandergehn,
dreimaligem Trommelwirbel und schließlich einer erbarmungslosen Salve der
kleinkalibrigen Gewehre in den dichtesten Haufen hinein begegnet, hat von einer
freimütiger, selbst gehässigen Presse oder von der abendlichen Erhitzung der
Gemüter durch Bier, unsinnigen Redeschwall und Tabaksaualm nichts zu be¬
fürchten. Wohl aber darf sie hoffen, daß der unvernünftige Teil der sozia-
Wischen Bestrebungen um so früher an seinem eignen Widersinn zu Grunde
Hehn werde. Dem vernünftigen Kern zum Siege zu helfen, und er ist nur
vernünftig, soweit dies ohne Beeinträchtigung andrer berechtigter Interessen
Möglich ist, ist ohnedies die Schuldigkeit der Staatsgewalt. Rechtzeitige Re¬
formen sind allezeit die besten Vorbeugungsmaßregeln gegen Revolutionen ge¬
wesen. Von der Seisachtheia unter Solon, der die Dike zu seiner Göttin er¬
wühlt hatte, rühmt Jäger, daß sie eine dauernde Heilung gewesen, und daß
Hr zu danken sei, wenn die Ruhe des attischen Landes, wie so manches
andern, durch ökonomische Wirren nicht wieder gestört worden sei. Re¬
formen gelingen aber am sichersten, wenn sie von der thätigen Mitwirkung
der Klassen getragen werden, denen sie zu gute gehen sollten. Die Regierungen
sowohl als die ganze bürgerliche Gesellschaft sollten deshalb jede Bereitschaft
der Sozialdemokratie zur Mitarbeit an den positiven Aufgaben des Staats
und der Gemeinde willkommen heißen, statt sie mit Mißtraue» oder gar mit
höhnenden Worten zurückzuweisen.
Noch einmal ist die Gelegenheit günstig. Der auf dem Hallischen Partei-
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