Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Mußte es so kommen? die Beschaffenheit des Truppcnersatzes nicht bloß körperlich, sondern auch sichrer als an die Flinte, die schießt, und an den Säbel, der haut, ist Mußte es so kommen? die Beschaffenheit des Truppcnersatzes nicht bloß körperlich, sondern auch sichrer als an die Flinte, die schießt, und an den Säbel, der haut, ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212871"/> <fw type="header" place="top"> Mußte es so kommen?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1334" prev="#ID_1333"> die Beschaffenheit des Truppcnersatzes nicht bloß körperlich, sondern auch<lb/> moralisch herab. Zugleich vermehrt die gesteigerte Schulbildung die Zahl der<lb/> intelligentern, aber auch schwieriger zu diszipliuirenden Soldaten. Immerhin<lb/> ist die Macht der Überlieferung, die Lust am Waffenhandwerk, der gute Geist<lb/> in der deutschen Armee noch so lebendig, die Disziplin so sehr Fleisch und<lb/> Blut des ganzen Organismus, daß diesen Kräften eine längere Dauer pro¬<lb/> phezeit werden darf, als sie politische und soziale Bewegungen selbst der tief¬<lb/> gehendsten Art auszuweisen pflegen. Überall, wo die Armee gegen den innern<lb/> Feind versagt hat, war von oben her, durch Schwäche und Unentschlossenheit<lb/> der Befehlshaber, gesündigt worden. Daß in dieser Beziehung vorläufig nichts<lb/> zu besorgen ist, wissen Vebel und Liebknecht ganz genau.</p><lb/> <p xml:id="ID_1335" next="#ID_1336"> sichrer als an die Flinte, die schießt, und an den Säbel, der haut, ist<lb/> an die mehr moralischen Machtmittel des modernen Staates, um seine Gesetze<lb/> und ihre Vollstrecker, die Obrigkeiten, hinanzukommen. Sie gleichen den Noten,<lb/> die der Staat an Stelle des gemünzten Geldes in Verkehr bringt. Sind sie<lb/> dnrch ein starkes Heer, die ultima ratio re^um, genügend gedeckt, so gelten sie<lb/> wie Gold und Silber. An dem Tage, wo die Macht nicht mehr hinter dem<lb/> Recht steht, sind die Gesetze wertlose Assignaten, die Behörden bankrotte Ver¬<lb/> walter eines bankrotten Geschäfts. Im geordneten Staatswesen können aber,<lb/> wie seine Noten auch ohne Zwangsknrs gern genommen werden, auch die<lb/> Obrigkeiten ihre Aufgaben schon mit Hilfe des Kredits erfüllen, den ihnen der<lb/> Sinn des Volks für Gesetzlichkeit verschafft. Ja sie überstehn damit, allen¬<lb/> falls noch mit der Scheidemünze der Polizeimacht, auch kleinere Krisen, ohne<lb/> die Goldreserve angreifen zu müssen. Daß es der Sozialdemokratie in weitem<lb/> Umfange gelungen ist, jenen gesetzlichen Sinn zu zerstören, ist gewiß. Doch<lb/> wäre es kaum gerecht, diese Zerstörungen nur auf ihr Schuldkvnto zu bringen.<lb/> Eine der zersetzendsten Säuren, den vielbeklagten Materialismus unsrer Tage,<lb/> hat sie bereits vor- und in voller Arbeit gefunden. Die Verbreitung der<lb/> allgemeinen Bildung, das Erwachen der nationalen und politischen Empfin¬<lb/> dungen, die Einführung der konstitutionellen Regierungsform und der Selbst¬<lb/> verwaltung in allen Zweigen des Staatslebens haben die mannichfaltigsten<lb/> Kräfte zur thätige» Mitwirkung an den staatlichen Aufgaben berufen, dadurch<lb/> die Leistungsfähigkeit des Ganzen ungeheuer gehoben, aber auch das Selbst¬<lb/> bewußtsein bis zur Selbstsucht und Selbstüberhebung gesteigert. An Stelle<lb/> der alten vertrauensvollen, patriarchalischen Verhältnisse sind im Staats- und<lb/> Privatleben sorgfältig abgezirkelte, wohlparagraphirte und doch stets uinstrittnc<lb/> Rechts- und Pflichtenkreise getreten, die Bequemlichkeit des Regierens hat<lb/> aufgehört, die Bureaukratie muß, wenn sie die Führung noch behalten will,<lb/> neuen Wein in die alten Schläuche füllen, selbst die Träger der Krone sind<lb/> mit einem Tropfen demokratischen Oich gesalbt. Mag man nun die heutige<lb/> Politische Entwicklung als glückverheißende Errungenschaft des Jahrhunderts</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0395]
Mußte es so kommen?
die Beschaffenheit des Truppcnersatzes nicht bloß körperlich, sondern auch
moralisch herab. Zugleich vermehrt die gesteigerte Schulbildung die Zahl der
intelligentern, aber auch schwieriger zu diszipliuirenden Soldaten. Immerhin
ist die Macht der Überlieferung, die Lust am Waffenhandwerk, der gute Geist
in der deutschen Armee noch so lebendig, die Disziplin so sehr Fleisch und
Blut des ganzen Organismus, daß diesen Kräften eine längere Dauer pro¬
phezeit werden darf, als sie politische und soziale Bewegungen selbst der tief¬
gehendsten Art auszuweisen pflegen. Überall, wo die Armee gegen den innern
Feind versagt hat, war von oben her, durch Schwäche und Unentschlossenheit
der Befehlshaber, gesündigt worden. Daß in dieser Beziehung vorläufig nichts
zu besorgen ist, wissen Vebel und Liebknecht ganz genau.
sichrer als an die Flinte, die schießt, und an den Säbel, der haut, ist
an die mehr moralischen Machtmittel des modernen Staates, um seine Gesetze
und ihre Vollstrecker, die Obrigkeiten, hinanzukommen. Sie gleichen den Noten,
die der Staat an Stelle des gemünzten Geldes in Verkehr bringt. Sind sie
dnrch ein starkes Heer, die ultima ratio re^um, genügend gedeckt, so gelten sie
wie Gold und Silber. An dem Tage, wo die Macht nicht mehr hinter dem
Recht steht, sind die Gesetze wertlose Assignaten, die Behörden bankrotte Ver¬
walter eines bankrotten Geschäfts. Im geordneten Staatswesen können aber,
wie seine Noten auch ohne Zwangsknrs gern genommen werden, auch die
Obrigkeiten ihre Aufgaben schon mit Hilfe des Kredits erfüllen, den ihnen der
Sinn des Volks für Gesetzlichkeit verschafft. Ja sie überstehn damit, allen¬
falls noch mit der Scheidemünze der Polizeimacht, auch kleinere Krisen, ohne
die Goldreserve angreifen zu müssen. Daß es der Sozialdemokratie in weitem
Umfange gelungen ist, jenen gesetzlichen Sinn zu zerstören, ist gewiß. Doch
wäre es kaum gerecht, diese Zerstörungen nur auf ihr Schuldkvnto zu bringen.
Eine der zersetzendsten Säuren, den vielbeklagten Materialismus unsrer Tage,
hat sie bereits vor- und in voller Arbeit gefunden. Die Verbreitung der
allgemeinen Bildung, das Erwachen der nationalen und politischen Empfin¬
dungen, die Einführung der konstitutionellen Regierungsform und der Selbst¬
verwaltung in allen Zweigen des Staatslebens haben die mannichfaltigsten
Kräfte zur thätige» Mitwirkung an den staatlichen Aufgaben berufen, dadurch
die Leistungsfähigkeit des Ganzen ungeheuer gehoben, aber auch das Selbst¬
bewußtsein bis zur Selbstsucht und Selbstüberhebung gesteigert. An Stelle
der alten vertrauensvollen, patriarchalischen Verhältnisse sind im Staats- und
Privatleben sorgfältig abgezirkelte, wohlparagraphirte und doch stets uinstrittnc
Rechts- und Pflichtenkreise getreten, die Bequemlichkeit des Regierens hat
aufgehört, die Bureaukratie muß, wenn sie die Führung noch behalten will,
neuen Wein in die alten Schläuche füllen, selbst die Träger der Krone sind
mit einem Tropfen demokratischen Oich gesalbt. Mag man nun die heutige
Politische Entwicklung als glückverheißende Errungenschaft des Jahrhunderts
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