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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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"Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln
Grund und Boden, Gruben und Bergwerken, Rohstoffen, Werkzeugen, Maschinen,
Verkehrsmitteln -- in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der
Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebne
Produktion" schmackhaft zu machen versucht wird. Um über den wahren
Sinn dieser Formel in den eignen Reihen keinen Zweifel aufkommen zu lassen,
wird denn auch immer wieder von der parlamentarischen Tribüne herab, in
der Presse, in den Versammlungen der "revolutionäre" Charakter der Sozial¬
demokratie betont. Es ist nur eine erzwungne Verbeugung vor dem Staats¬
anwalt, wenn dabei vorsichtigerweise von der "Revolutionirung der Geister"
gesprochen wird. Die Auguren unter sich wissen genau, was sie meinen.

Ehrlicher klingt es, wenn man die Führer sagen Hort: man solle sie doch
nicht für so dumm halten, daß sie schon heute oder morgen die Massen gegen
den Staat und gegen den Besitz Sturm laufen ließen. Sie wüßten ebenso
gut, wie ihre Gegner, daß sie mit blutigen Köpfen heimgeschickt werden
würden und dann die rücksichtslose Unterdrückung aller bürgerlichen und Wirt"
schaftlichen Freiheit über sich ergehen lassen müßten. Wir glauben deshalb
gern, daß die Heerführer der sozialistischen Revolution nicht eher auf die
Barrikaden steigen werden, als sie nicht sicher zu sein glauben, auch mit der
Armee fertig zu werden. Da sie niemals hoffen dürfen, die Waffen mit den
Massen zu überwinden, so können sie nur rechnen, die Armee selbst oder doch
einen großen Teil auf ihre Seite zu bringen. Kein Satz des sozialistischen
Programms ist daher logischer und aufrichtiger gemeint als die Forderung:
Volkswehr an die Stelle der stehenden Heere. Denn solange die heutige
Heeresverfassung in Kraft bleibt, ist nicht zu befürchten, die Disziplin der
deutschen Armee werde jemals so gelockert werden, daß sie dem Kampfe auch
gegen den innern Feind nicht gewachsen wäre. Zweifellos dienen schon heute
im aktiven Heere nicht wenige, in der Reserve und Landwehr tausende und
abertausende von Sozialdemokraten. Sie pflegen in der Truppe nicht durch
irgendwelche Nachlässigkeit im Dieustbetrieb kenntlich zu werdeu. Im Gegen¬
teil, ihre Führung ist in der Regel musterhaft, ihre Intelligenz meist über¬
mittelmäßig. Eine gewisse verdrvßue Zurückhaltung ist das einzige Anzeichen,
wodurch sie sich verraten. Jeder, der eine Landwehrübung mitgemacht hat,
weiß aber auch, daß diese Stimmung gegen das Wiederaufleben soldatischer und
kameradschaftlicher Erinnerungen selten Stand hätt. So kann man wohl sagen,
daß, die Armee die sozialdemokratischen Elemente, die sie heute in sich birgt, ein¬
fach in sich erdrückt, ja daß sie die beste Schule ist, ihre dem roten Banner ver-
fallnen Glieder wieder zu deu alten Fahnen zurückzuführen. Die Hauptsache
ist, daß das Offizierkorps der Linie wie des Beurlaubtenstandes niemals auch
nur zum kleinsten Bruchteile der sozialistischen Propaganda anheimfallen wird.
Freilich drückt der Rückgang der ländlichen, die Zunahme der Fabrikbevölkerung


„Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln
Grund und Boden, Gruben und Bergwerken, Rohstoffen, Werkzeugen, Maschinen,
Verkehrsmitteln — in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der
Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebne
Produktion" schmackhaft zu machen versucht wird. Um über den wahren
Sinn dieser Formel in den eignen Reihen keinen Zweifel aufkommen zu lassen,
wird denn auch immer wieder von der parlamentarischen Tribüne herab, in
der Presse, in den Versammlungen der „revolutionäre" Charakter der Sozial¬
demokratie betont. Es ist nur eine erzwungne Verbeugung vor dem Staats¬
anwalt, wenn dabei vorsichtigerweise von der „Revolutionirung der Geister"
gesprochen wird. Die Auguren unter sich wissen genau, was sie meinen.

Ehrlicher klingt es, wenn man die Führer sagen Hort: man solle sie doch
nicht für so dumm halten, daß sie schon heute oder morgen die Massen gegen
den Staat und gegen den Besitz Sturm laufen ließen. Sie wüßten ebenso
gut, wie ihre Gegner, daß sie mit blutigen Köpfen heimgeschickt werden
würden und dann die rücksichtslose Unterdrückung aller bürgerlichen und Wirt"
schaftlichen Freiheit über sich ergehen lassen müßten. Wir glauben deshalb
gern, daß die Heerführer der sozialistischen Revolution nicht eher auf die
Barrikaden steigen werden, als sie nicht sicher zu sein glauben, auch mit der
Armee fertig zu werden. Da sie niemals hoffen dürfen, die Waffen mit den
Massen zu überwinden, so können sie nur rechnen, die Armee selbst oder doch
einen großen Teil auf ihre Seite zu bringen. Kein Satz des sozialistischen
Programms ist daher logischer und aufrichtiger gemeint als die Forderung:
Volkswehr an die Stelle der stehenden Heere. Denn solange die heutige
Heeresverfassung in Kraft bleibt, ist nicht zu befürchten, die Disziplin der
deutschen Armee werde jemals so gelockert werden, daß sie dem Kampfe auch
gegen den innern Feind nicht gewachsen wäre. Zweifellos dienen schon heute
im aktiven Heere nicht wenige, in der Reserve und Landwehr tausende und
abertausende von Sozialdemokraten. Sie pflegen in der Truppe nicht durch
irgendwelche Nachlässigkeit im Dieustbetrieb kenntlich zu werdeu. Im Gegen¬
teil, ihre Führung ist in der Regel musterhaft, ihre Intelligenz meist über¬
mittelmäßig. Eine gewisse verdrvßue Zurückhaltung ist das einzige Anzeichen,
wodurch sie sich verraten. Jeder, der eine Landwehrübung mitgemacht hat,
weiß aber auch, daß diese Stimmung gegen das Wiederaufleben soldatischer und
kameradschaftlicher Erinnerungen selten Stand hätt. So kann man wohl sagen,
daß, die Armee die sozialdemokratischen Elemente, die sie heute in sich birgt, ein¬
fach in sich erdrückt, ja daß sie die beste Schule ist, ihre dem roten Banner ver-
fallnen Glieder wieder zu deu alten Fahnen zurückzuführen. Die Hauptsache
ist, daß das Offizierkorps der Linie wie des Beurlaubtenstandes niemals auch
nur zum kleinsten Bruchteile der sozialistischen Propaganda anheimfallen wird.
Freilich drückt der Rückgang der ländlichen, die Zunahme der Fabrikbevölkerung


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[0394] „Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln Grund und Boden, Gruben und Bergwerken, Rohstoffen, Werkzeugen, Maschinen, Verkehrsmitteln — in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebne Produktion" schmackhaft zu machen versucht wird. Um über den wahren Sinn dieser Formel in den eignen Reihen keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wird denn auch immer wieder von der parlamentarischen Tribüne herab, in der Presse, in den Versammlungen der „revolutionäre" Charakter der Sozial¬ demokratie betont. Es ist nur eine erzwungne Verbeugung vor dem Staats¬ anwalt, wenn dabei vorsichtigerweise von der „Revolutionirung der Geister" gesprochen wird. Die Auguren unter sich wissen genau, was sie meinen. Ehrlicher klingt es, wenn man die Führer sagen Hort: man solle sie doch nicht für so dumm halten, daß sie schon heute oder morgen die Massen gegen den Staat und gegen den Besitz Sturm laufen ließen. Sie wüßten ebenso gut, wie ihre Gegner, daß sie mit blutigen Köpfen heimgeschickt werden würden und dann die rücksichtslose Unterdrückung aller bürgerlichen und Wirt" schaftlichen Freiheit über sich ergehen lassen müßten. Wir glauben deshalb gern, daß die Heerführer der sozialistischen Revolution nicht eher auf die Barrikaden steigen werden, als sie nicht sicher zu sein glauben, auch mit der Armee fertig zu werden. Da sie niemals hoffen dürfen, die Waffen mit den Massen zu überwinden, so können sie nur rechnen, die Armee selbst oder doch einen großen Teil auf ihre Seite zu bringen. Kein Satz des sozialistischen Programms ist daher logischer und aufrichtiger gemeint als die Forderung: Volkswehr an die Stelle der stehenden Heere. Denn solange die heutige Heeresverfassung in Kraft bleibt, ist nicht zu befürchten, die Disziplin der deutschen Armee werde jemals so gelockert werden, daß sie dem Kampfe auch gegen den innern Feind nicht gewachsen wäre. Zweifellos dienen schon heute im aktiven Heere nicht wenige, in der Reserve und Landwehr tausende und abertausende von Sozialdemokraten. Sie pflegen in der Truppe nicht durch irgendwelche Nachlässigkeit im Dieustbetrieb kenntlich zu werdeu. Im Gegen¬ teil, ihre Führung ist in der Regel musterhaft, ihre Intelligenz meist über¬ mittelmäßig. Eine gewisse verdrvßue Zurückhaltung ist das einzige Anzeichen, wodurch sie sich verraten. Jeder, der eine Landwehrübung mitgemacht hat, weiß aber auch, daß diese Stimmung gegen das Wiederaufleben soldatischer und kameradschaftlicher Erinnerungen selten Stand hätt. So kann man wohl sagen, daß, die Armee die sozialdemokratischen Elemente, die sie heute in sich birgt, ein¬ fach in sich erdrückt, ja daß sie die beste Schule ist, ihre dem roten Banner ver- fallnen Glieder wieder zu deu alten Fahnen zurückzuführen. Die Hauptsache ist, daß das Offizierkorps der Linie wie des Beurlaubtenstandes niemals auch nur zum kleinsten Bruchteile der sozialistischen Propaganda anheimfallen wird. Freilich drückt der Rückgang der ländlichen, die Zunahme der Fabrikbevölkerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/394>, abgerufen am 06.01.2025.