Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Luna mit silbernem Schein Guckel zum Fenster herein. Schlafe beim silbernen Schein, Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein! Auch in dem Schlosse schon liegt Alles in Schlummer gewiegt; Regel kein Mäuschen sich mehr, Keller und Küche sind leer. Nur in der Zofe Gemach Tönet ein schmelzendes Ach. Was für ein Ach mag das sein? Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein. Wer ist beglückter als du? Nichts als Vergnügen und Ruh! Spielwerk und Zucker vollauf, Und noch Karessen im Kauf! Alles besorgt und bereit, Daß nur mein Prinzchen nicht schreit! Was Ivird das künftig erst sein? Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.*) Friedländer schließt nun so: Mozart starb 1791, Gollers Esther wurde erst Die Echtheit des Liedchens wird aber auch aus andern Gründen zweifelhaft. ") Vielleicht entschließen sich die Sängerinnen, die, trotz der zweifelhaft gewordnen Echt¬ heit, das Liedchen nicht preisgeben wollen, 'in Zukunft wenigstens den hier mitgeteilten echten Text zu singen statt des jetzt verbreiteten, worin solcher Unsinn vorkommt, wie in der dritten Strophe: Karossen im Lauf, statt: Karessen im Kauf. Als ob man ein schreiendes Prinzchen durch laufende Karossen einschläferte! Es ist klar, wie die Verballhornung ent¬ standen ist. Irgend ein Abschreiber verstand nicht die Worte im Kauf, die so viel bedeuten wie als Zugabe, obendrein (vergl. mit in Kauf nehmen), und so änderte er im Hinblick auf die gleichzeitig falsch gelesenen Karossen das Kauf in Lauf um. "* ) In dem Bündchen Schauspiele, das Götter 1795 veröffentlichte, stehen anßer der
Esther noch die stolze Vasthi, eine Art Vorspiel zur Esther, und die beiden Basen. Maßgebliches und Unmaßgebliches Luna mit silbernem Schein Guckel zum Fenster herein. Schlafe beim silbernen Schein, Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein! Auch in dem Schlosse schon liegt Alles in Schlummer gewiegt; Regel kein Mäuschen sich mehr, Keller und Küche sind leer. Nur in der Zofe Gemach Tönet ein schmelzendes Ach. Was für ein Ach mag das sein? Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein. Wer ist beglückter als du? Nichts als Vergnügen und Ruh! Spielwerk und Zucker vollauf, Und noch Karessen im Kauf! Alles besorgt und bereit, Daß nur mein Prinzchen nicht schreit! Was Ivird das künftig erst sein? Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.*) Friedländer schließt nun so: Mozart starb 1791, Gollers Esther wurde erst Die Echtheit des Liedchens wird aber auch aus andern Gründen zweifelhaft. ") Vielleicht entschließen sich die Sängerinnen, die, trotz der zweifelhaft gewordnen Echt¬ heit, das Liedchen nicht preisgeben wollen, 'in Zukunft wenigstens den hier mitgeteilten echten Text zu singen statt des jetzt verbreiteten, worin solcher Unsinn vorkommt, wie in der dritten Strophe: Karossen im Lauf, statt: Karessen im Kauf. Als ob man ein schreiendes Prinzchen durch laufende Karossen einschläferte! Es ist klar, wie die Verballhornung ent¬ standen ist. Irgend ein Abschreiber verstand nicht die Worte im Kauf, die so viel bedeuten wie als Zugabe, obendrein (vergl. mit in Kauf nehmen), und so änderte er im Hinblick auf die gleichzeitig falsch gelesenen Karossen das Kauf in Lauf um. "* ) In dem Bündchen Schauspiele, das Götter 1795 veröffentlichte, stehen anßer der
Esther noch die stolze Vasthi, eine Art Vorspiel zur Esther, und die beiden Basen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212864"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_11" type="poem"> <l> Luna mit silbernem Schein<lb/> Guckel zum Fenster herein.<lb/> Schlafe beim silbernen Schein,<lb/> Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein!<lb/></l> <l> Auch in dem Schlosse schon liegt<lb/> Alles in Schlummer gewiegt;<lb/> Regel kein Mäuschen sich mehr,<lb/> Keller und Küche sind leer.<lb/> Nur in der Zofe Gemach<lb/> Tönet ein schmelzendes Ach.<lb/> Was für ein Ach mag das sein?<lb/> Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.<lb/></l> <l> Wer ist beglückter als du?<lb/> Nichts als Vergnügen und Ruh!<lb/> Spielwerk und Zucker vollauf,<lb/> Und noch Karessen im Kauf!<lb/> Alles besorgt und bereit,<lb/> Daß nur mein Prinzchen nicht schreit!<lb/> Was Ivird das künftig erst sein?<lb/> Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.*)<lb/></l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1311"> Friedländer schließt nun so: Mozart starb 1791, Gollers Esther wurde erst<lb/> 1795 veröffentlicht. Die Möglichkeit also, daß Mozart der Komponist des Lied¬<lb/> chens sei, würde nur dann vorliegen, wenn man annehme» dürfte, entweder: daß<lb/> Götter seine Esther schon vor 1791 gedichtet und das Wiegenliedchen Mozart zur<lb/> Komposition geschickt habe, oder: daß das Liedchen allein vielleicht schon vor 1791<lb/> von Götter irgendwo veröffentlicht, oder daß es vielleicht gar nicht von Götter<lb/> selbst gedichtet, sondern nur als Einlage von ihm benutzt, oder endlich daß es von<lb/> Götter einer bereits vorhandnen Mozartischen Melodie untergelegt worden sei. Alle<lb/> diese Annahmen sind ausgeschlossen bis auf eine: es steht in der That fest, daß<lb/> die Esther schon 1789 gedichtet war. Denn Karoline Böhmer schreibt-schon im<lb/> Oktober 1789 in einem Briefe an F. L. W. Meyer: „Götter hat eine stolze<lb/> Vastha (so!) und eine demütige Esther gemacht, die er in Weimar vorlas.""")</p><lb/> <p xml:id="ID_1312" next="#ID_1313"> Die Echtheit des Liedchens wird aber auch aus andern Gründen zweifelhaft.<lb/> Bis 1828 hat niemand etwas von dem Liede gewußt. Erst da — also 37 Jahre<lb/> nach Mozarts Tode! — wurde es zum erstenmale gedruckt als musikalische Bei¬<lb/> lage zu der Biographie Mozarts von Nissen. Dieser Nissen war der zweite Mann<lb/> von Mozarts Witwe Konstanze; sein Buch wurde nach seinem Tode von Mozarts<lb/> und nunmehr auch Nissens Witwe herausgegeben. So wie das Lied aber dort<lb/> gedruckt ist, zeigt es ein paar auffällige Fehler, namentlich einen groben Verstoß<lb/> gegen die Deklamation, der Mozart schlechterdings nicht zuzutrauen ist, und einen<lb/> gegen die musikalische Grammatik. Übrigens hat nachweislich Nissen und seiner</p><lb/> <note xml:id="FID_34" place="foot"> ") Vielleicht entschließen sich die Sängerinnen, die, trotz der zweifelhaft gewordnen Echt¬<lb/> heit, das Liedchen nicht preisgeben wollen, 'in Zukunft wenigstens den hier mitgeteilten echten<lb/> Text zu singen statt des jetzt verbreiteten, worin solcher Unsinn vorkommt, wie in der dritten<lb/> Strophe: Karossen im Lauf, statt: Karessen im Kauf. Als ob man ein schreiendes<lb/> Prinzchen durch laufende Karossen einschläferte! Es ist klar, wie die Verballhornung ent¬<lb/> standen ist. Irgend ein Abschreiber verstand nicht die Worte im Kauf, die so viel bedeuten<lb/> wie als Zugabe, obendrein (vergl. mit in Kauf nehmen), und so änderte er im Hinblick<lb/> auf die gleichzeitig falsch gelesenen Karossen das Kauf in Lauf um.<lb/> "*</note><lb/> <note xml:id="FID_35" place="foot"> ) In dem Bündchen Schauspiele, das Götter 1795 veröffentlichte, stehen anßer der<lb/> Esther noch die stolze Vasthi, eine Art Vorspiel zur Esther, und die beiden Basen.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0388]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Luna mit silbernem Schein
Guckel zum Fenster herein.
Schlafe beim silbernen Schein,
Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein!
Auch in dem Schlosse schon liegt
Alles in Schlummer gewiegt;
Regel kein Mäuschen sich mehr,
Keller und Küche sind leer.
Nur in der Zofe Gemach
Tönet ein schmelzendes Ach.
Was für ein Ach mag das sein?
Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.
Wer ist beglückter als du?
Nichts als Vergnügen und Ruh!
Spielwerk und Zucker vollauf,
Und noch Karessen im Kauf!
Alles besorgt und bereit,
Daß nur mein Prinzchen nicht schreit!
Was Ivird das künftig erst sein?
Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.*)
Friedländer schließt nun so: Mozart starb 1791, Gollers Esther wurde erst
1795 veröffentlicht. Die Möglichkeit also, daß Mozart der Komponist des Lied¬
chens sei, würde nur dann vorliegen, wenn man annehme» dürfte, entweder: daß
Götter seine Esther schon vor 1791 gedichtet und das Wiegenliedchen Mozart zur
Komposition geschickt habe, oder: daß das Liedchen allein vielleicht schon vor 1791
von Götter irgendwo veröffentlicht, oder daß es vielleicht gar nicht von Götter
selbst gedichtet, sondern nur als Einlage von ihm benutzt, oder endlich daß es von
Götter einer bereits vorhandnen Mozartischen Melodie untergelegt worden sei. Alle
diese Annahmen sind ausgeschlossen bis auf eine: es steht in der That fest, daß
die Esther schon 1789 gedichtet war. Denn Karoline Böhmer schreibt-schon im
Oktober 1789 in einem Briefe an F. L. W. Meyer: „Götter hat eine stolze
Vastha (so!) und eine demütige Esther gemacht, die er in Weimar vorlas.""")
Die Echtheit des Liedchens wird aber auch aus andern Gründen zweifelhaft.
Bis 1828 hat niemand etwas von dem Liede gewußt. Erst da — also 37 Jahre
nach Mozarts Tode! — wurde es zum erstenmale gedruckt als musikalische Bei¬
lage zu der Biographie Mozarts von Nissen. Dieser Nissen war der zweite Mann
von Mozarts Witwe Konstanze; sein Buch wurde nach seinem Tode von Mozarts
und nunmehr auch Nissens Witwe herausgegeben. So wie das Lied aber dort
gedruckt ist, zeigt es ein paar auffällige Fehler, namentlich einen groben Verstoß
gegen die Deklamation, der Mozart schlechterdings nicht zuzutrauen ist, und einen
gegen die musikalische Grammatik. Übrigens hat nachweislich Nissen und seiner
") Vielleicht entschließen sich die Sängerinnen, die, trotz der zweifelhaft gewordnen Echt¬
heit, das Liedchen nicht preisgeben wollen, 'in Zukunft wenigstens den hier mitgeteilten echten
Text zu singen statt des jetzt verbreiteten, worin solcher Unsinn vorkommt, wie in der dritten
Strophe: Karossen im Lauf, statt: Karessen im Kauf. Als ob man ein schreiendes
Prinzchen durch laufende Karossen einschläferte! Es ist klar, wie die Verballhornung ent¬
standen ist. Irgend ein Abschreiber verstand nicht die Worte im Kauf, die so viel bedeuten
wie als Zugabe, obendrein (vergl. mit in Kauf nehmen), und so änderte er im Hinblick
auf die gleichzeitig falsch gelesenen Karossen das Kauf in Lauf um.
"*
) In dem Bündchen Schauspiele, das Götter 1795 veröffentlichte, stehen anßer der
Esther noch die stolze Vasthi, eine Art Vorspiel zur Esther, und die beiden Basen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |