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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Eine eingehende Charakteristik der deutschen Soldaten und Offiziere hat
Zola nicht versucht. Seine "Dokumente" mögen ihn wohl dabei im Stich ge¬
lassen haben, obwohl er anscheinend die Übersetzungen deutscher Werke über
den Krieg, vor allem das Buch vou Busch: "Bismarck und seine Leute," studirt
hat. Die Deutschen erscheinen gewöhnlich in weiter Entfernung und sind dann
so groß "wie Bleisoldaten." Führt er sie dem Leser näher vor Augen, wie
die Baiern in den Häuserkämpfen vou Bazeilles, so sind es natürlich gemeine,
rohe, ungeschlachte Menschen, die weder Weib noch Kind schonen, den Wehr¬
losen niederstoßen und zur besondern Erquickung Seife fressen. Auch den König
Wilhelm und seinen Generalstab zeigt er uns in großer Entfernung, von dem
Dache eines Hauses in Sedan, während die Schlacht tobt, und das französische
Heer allmählich' von allen Seiten umzingelt wird. Alle erscheinen auf der
Höhe de la Marfve so klein wie Kinderspielzeug, so hoch wie die Hälfte eines
kleinen Fingers: "Der König von Preußen stand in seiner dunkeln Uniform
immer aufrecht da vor den andern Offizieren, die sich zum Teil ans dem
Rasen gelagert hatten, und deren Goldstickereien eigentümlich funkelten. Da
Waren fremde Offiziere, Adjutanten, Generäle, Hofmarschälle, Prinzen, alle
mit Ferngläsern versehen; vom frühen Morgen an verfolgten sie den Todes¬
kampf des französischen Heeres, wie bei einem Schauspiel. Und das furcht¬
bare Drama sollte bald zu Ende sein. König Wilhelm hatte soeben die
Vereinigung seiner Truppen erfahren. Die Lage war folgende: die dritte
Armee unter dem Befehl seines Sohnes, des Kronprinzen von Preußen, die
über Saint-Mengcs und Fleigneux vorgerückt war, besetzte die Hochfläche bei
Jlly, während die vierte Armee, die der Kronprinz von Sachsen befehligte,
über Dciignh und Givonne vordrang und den Wald von Garenne seitwärts
liegen ließ. Das elfte und das fünfte Korps reichten so dem zwölften und
der Garde die Hand. Die gewaltige Anstrengung, den Kreis zu durchbrechen
w dem Augenblick, wo er sich schloß, der ruhmvolle, aber nutzlose Angriff der
Division Margueritte hatte dein Könige von Preußen einen Ausruf der Be-
wundrung entrissen: O, die braven Leute! Jetzt war die mathematisch be¬
rechnete, unbarmherzige Anschließung fertig. Die Klammern der Zange hatten
sich zusammengethan! Mit einem Blick konnte er die ungeheure Kette von
Menschen und Kanonen durchfliegen. die das besiegte Heer zusammenpreßte.
Im Norden wurde der Druck immer mächtiger und schob die Flüchtlinge nach
Sedum hinein, unter dem furchtbaren Feuer der Batterien, die den Horizont
wie eine ununterbrochne Linie begrenzten---- König Wilhelm ließ ermüdet
das Fernglas einen Augenblick sinken und verfolgte die Vorgänge mit bloßem
Auge. Die Sonne sandte ihre schrägen Strahlen über den Wald und sank
immer tiefer an dem klaren, wolkenlosen Himmel. Die ganze weite Landschaft
leuchtete wie vergoldet; die Luft war so durchsichtig, daß selbst die kleinsten
Gegenstände in auffallender Klarheit erschienen. Er sah die Häuser von


Eine eingehende Charakteristik der deutschen Soldaten und Offiziere hat
Zola nicht versucht. Seine „Dokumente" mögen ihn wohl dabei im Stich ge¬
lassen haben, obwohl er anscheinend die Übersetzungen deutscher Werke über
den Krieg, vor allem das Buch vou Busch: „Bismarck und seine Leute," studirt
hat. Die Deutschen erscheinen gewöhnlich in weiter Entfernung und sind dann
so groß „wie Bleisoldaten." Führt er sie dem Leser näher vor Augen, wie
die Baiern in den Häuserkämpfen vou Bazeilles, so sind es natürlich gemeine,
rohe, ungeschlachte Menschen, die weder Weib noch Kind schonen, den Wehr¬
losen niederstoßen und zur besondern Erquickung Seife fressen. Auch den König
Wilhelm und seinen Generalstab zeigt er uns in großer Entfernung, von dem
Dache eines Hauses in Sedan, während die Schlacht tobt, und das französische
Heer allmählich' von allen Seiten umzingelt wird. Alle erscheinen auf der
Höhe de la Marfve so klein wie Kinderspielzeug, so hoch wie die Hälfte eines
kleinen Fingers: „Der König von Preußen stand in seiner dunkeln Uniform
immer aufrecht da vor den andern Offizieren, die sich zum Teil ans dem
Rasen gelagert hatten, und deren Goldstickereien eigentümlich funkelten. Da
Waren fremde Offiziere, Adjutanten, Generäle, Hofmarschälle, Prinzen, alle
mit Ferngläsern versehen; vom frühen Morgen an verfolgten sie den Todes¬
kampf des französischen Heeres, wie bei einem Schauspiel. Und das furcht¬
bare Drama sollte bald zu Ende sein. König Wilhelm hatte soeben die
Vereinigung seiner Truppen erfahren. Die Lage war folgende: die dritte
Armee unter dem Befehl seines Sohnes, des Kronprinzen von Preußen, die
über Saint-Mengcs und Fleigneux vorgerückt war, besetzte die Hochfläche bei
Jlly, während die vierte Armee, die der Kronprinz von Sachsen befehligte,
über Dciignh und Givonne vordrang und den Wald von Garenne seitwärts
liegen ließ. Das elfte und das fünfte Korps reichten so dem zwölften und
der Garde die Hand. Die gewaltige Anstrengung, den Kreis zu durchbrechen
w dem Augenblick, wo er sich schloß, der ruhmvolle, aber nutzlose Angriff der
Division Margueritte hatte dein Könige von Preußen einen Ausruf der Be-
wundrung entrissen: O, die braven Leute! Jetzt war die mathematisch be¬
rechnete, unbarmherzige Anschließung fertig. Die Klammern der Zange hatten
sich zusammengethan! Mit einem Blick konnte er die ungeheure Kette von
Menschen und Kanonen durchfliegen. die das besiegte Heer zusammenpreßte.
Im Norden wurde der Druck immer mächtiger und schob die Flüchtlinge nach
Sedum hinein, unter dem furchtbaren Feuer der Batterien, die den Horizont
wie eine ununterbrochne Linie begrenzten---- König Wilhelm ließ ermüdet
das Fernglas einen Augenblick sinken und verfolgte die Vorgänge mit bloßem
Auge. Die Sonne sandte ihre schrägen Strahlen über den Wald und sank
immer tiefer an dem klaren, wolkenlosen Himmel. Die ganze weite Landschaft
leuchtete wie vergoldet; die Luft war so durchsichtig, daß selbst die kleinsten
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[0367] Eine eingehende Charakteristik der deutschen Soldaten und Offiziere hat Zola nicht versucht. Seine „Dokumente" mögen ihn wohl dabei im Stich ge¬ lassen haben, obwohl er anscheinend die Übersetzungen deutscher Werke über den Krieg, vor allem das Buch vou Busch: „Bismarck und seine Leute," studirt hat. Die Deutschen erscheinen gewöhnlich in weiter Entfernung und sind dann so groß „wie Bleisoldaten." Führt er sie dem Leser näher vor Augen, wie die Baiern in den Häuserkämpfen vou Bazeilles, so sind es natürlich gemeine, rohe, ungeschlachte Menschen, die weder Weib noch Kind schonen, den Wehr¬ losen niederstoßen und zur besondern Erquickung Seife fressen. Auch den König Wilhelm und seinen Generalstab zeigt er uns in großer Entfernung, von dem Dache eines Hauses in Sedan, während die Schlacht tobt, und das französische Heer allmählich' von allen Seiten umzingelt wird. Alle erscheinen auf der Höhe de la Marfve so klein wie Kinderspielzeug, so hoch wie die Hälfte eines kleinen Fingers: „Der König von Preußen stand in seiner dunkeln Uniform immer aufrecht da vor den andern Offizieren, die sich zum Teil ans dem Rasen gelagert hatten, und deren Goldstickereien eigentümlich funkelten. Da Waren fremde Offiziere, Adjutanten, Generäle, Hofmarschälle, Prinzen, alle mit Ferngläsern versehen; vom frühen Morgen an verfolgten sie den Todes¬ kampf des französischen Heeres, wie bei einem Schauspiel. Und das furcht¬ bare Drama sollte bald zu Ende sein. König Wilhelm hatte soeben die Vereinigung seiner Truppen erfahren. Die Lage war folgende: die dritte Armee unter dem Befehl seines Sohnes, des Kronprinzen von Preußen, die über Saint-Mengcs und Fleigneux vorgerückt war, besetzte die Hochfläche bei Jlly, während die vierte Armee, die der Kronprinz von Sachsen befehligte, über Dciignh und Givonne vordrang und den Wald von Garenne seitwärts liegen ließ. Das elfte und das fünfte Korps reichten so dem zwölften und der Garde die Hand. Die gewaltige Anstrengung, den Kreis zu durchbrechen w dem Augenblick, wo er sich schloß, der ruhmvolle, aber nutzlose Angriff der Division Margueritte hatte dein Könige von Preußen einen Ausruf der Be- wundrung entrissen: O, die braven Leute! Jetzt war die mathematisch be¬ rechnete, unbarmherzige Anschließung fertig. Die Klammern der Zange hatten sich zusammengethan! Mit einem Blick konnte er die ungeheure Kette von Menschen und Kanonen durchfliegen. die das besiegte Heer zusammenpreßte. Im Norden wurde der Druck immer mächtiger und schob die Flüchtlinge nach Sedum hinein, unter dem furchtbaren Feuer der Batterien, die den Horizont wie eine ununterbrochne Linie begrenzten---- König Wilhelm ließ ermüdet das Fernglas einen Augenblick sinken und verfolgte die Vorgänge mit bloßem Auge. Die Sonne sandte ihre schrägen Strahlen über den Wald und sank immer tiefer an dem klaren, wolkenlosen Himmel. Die ganze weite Landschaft leuchtete wie vergoldet; die Luft war so durchsichtig, daß selbst die kleinsten Gegenstände in auffallender Klarheit erschienen. Er sah die Häuser von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/367>, abgerufen am 09.01.2025.