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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts

in der laufenden Session wurde keine der beiden Bills Gesetz, und mich dem
Siege der Republikaner bei der Präsideutschaftswahl gelang es den Schntz-
zöllnern, die wiedereingebrachte Senatsbill unter dem weltbekannten Namen
Mac Kinlehbill durchzudrücken; am 1. Oktober 1890 erlangte dieser berüchtigte
Tarif Gesetzeskraft. Seine Neuerungen können in fünf Klassen geschieden
werden. 1. Herabsetzung der Zölle auf Zucker und einige Waren zur
Verminderung des Überschusses. 2. Erhöhung der Zolle auf Wolle, Woll-
wareu, Baumwollenwaren, Glas- und Töpferwaren u. f. w. zum Schutze
der betreffenden Industrien. 3. Herabsetzung der Zölle in solchen In¬
dustrien, die, wie die Eisen- und Stahlindustrie, keine Konkurrenz mehr zu
fürchten haben. 4. Zollerhöhungen zu dem Zweck, neue Industrie" ins Leben
zu rufen; dahin gehört z. B. der Zoll auf Zinngeschirr. 5. Zollerhöhungen
aus politischen Rücksichten; damit sind die Zölle auf die landwirtschaftlichen
Erzeugnisse und auf Tabak gemeint. Die Farmer der nördlichen Staaten
stimmen zwar, wie die Bevölkerung des Nordens im allgemeinen, meist re¬
publikanisch, aber sie fangen doch schon an, über die Verteuerung aller
Gebrauchsgegenstände, die sie kaufen müssen, zu klagen und behaupten, daß
die Gesetzgebungsmaschine im einseitigen Interesse der Großindustriellen und
sonstigen Kapitalisten arbeite. Zu ihrer Beschwichtigung wurden in den Tarif
auch agrarische Zölle aufgenommen, die selbstverständlich in einem getreide¬
ausführenden Lande wenig zu bedeuten haben. Nur die Farmer an der Grenze,
denen die kanadischen Gutsbesitzer Konkurrenz machen, haben einen kleinen
Vorteil davon. Und um sich die schwankenden Wähler von Connecticut zu
sichern, hat man den dortigen Tabakbaueru einen Zoll bewilligt, der den
amerikanischen Raucher zwingt, Cigarren mit dem schlechten Connectieutdeckblatt
zu rauchen, während er früher Cigarren mit Sumatradeckblatt bekam.

Die Verfasser schließen ihre geschichtliche Übersicht der Entwicklung der
nordamerikanischen Zollpolitik mit der Bemerkung: "Der Tarif ist ein Werk
der herrschenden Republikancrpartei, die fester als je an den Schutzzoll glaubt.
Mit Stolz weist sie auf das fabelhafte Wachstum der amerikanischen Industrie
hin und behauptet, nur bei fortdauernden Zollschutz könne der hohe Ztg-ni-M
ok lito des amerikanischen Arbeiters aufrecht erhalten werden und könne die
amerikanische Nation ihre offenbare Bestimmung erfüllen. Eine Änderung
wird, wenn überhaupt, nnr sehr allmählich und stückweise vor sich gehen."

Ein zweiter Teil stellt die "allgemeine Handelspolitik der Bereinigten
Staaten" dar, ihr Verhalten in Beziehung auf Handelsverträge (die Union
ist solchen grundsätzlich abgeneigt), auf Zollverwaltung, Einwanderung, Ab¬
zahlung der Staatsschulden u. s. w. Über die Silberfrage wird gesagt, die
Träger der Bewegung für freie Silberprüguug seien einerseits die Silberminen¬
besitzer und andrerseits die stark verschuldeten Farmer der West- und Süd-
staaten, die (wie unsre deutschen Agrarier) ihre Grundschulden gern in Silber


Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts

in der laufenden Session wurde keine der beiden Bills Gesetz, und mich dem
Siege der Republikaner bei der Präsideutschaftswahl gelang es den Schntz-
zöllnern, die wiedereingebrachte Senatsbill unter dem weltbekannten Namen
Mac Kinlehbill durchzudrücken; am 1. Oktober 1890 erlangte dieser berüchtigte
Tarif Gesetzeskraft. Seine Neuerungen können in fünf Klassen geschieden
werden. 1. Herabsetzung der Zölle auf Zucker und einige Waren zur
Verminderung des Überschusses. 2. Erhöhung der Zolle auf Wolle, Woll-
wareu, Baumwollenwaren, Glas- und Töpferwaren u. f. w. zum Schutze
der betreffenden Industrien. 3. Herabsetzung der Zölle in solchen In¬
dustrien, die, wie die Eisen- und Stahlindustrie, keine Konkurrenz mehr zu
fürchten haben. 4. Zollerhöhungen zu dem Zweck, neue Industrie» ins Leben
zu rufen; dahin gehört z. B. der Zoll auf Zinngeschirr. 5. Zollerhöhungen
aus politischen Rücksichten; damit sind die Zölle auf die landwirtschaftlichen
Erzeugnisse und auf Tabak gemeint. Die Farmer der nördlichen Staaten
stimmen zwar, wie die Bevölkerung des Nordens im allgemeinen, meist re¬
publikanisch, aber sie fangen doch schon an, über die Verteuerung aller
Gebrauchsgegenstände, die sie kaufen müssen, zu klagen und behaupten, daß
die Gesetzgebungsmaschine im einseitigen Interesse der Großindustriellen und
sonstigen Kapitalisten arbeite. Zu ihrer Beschwichtigung wurden in den Tarif
auch agrarische Zölle aufgenommen, die selbstverständlich in einem getreide¬
ausführenden Lande wenig zu bedeuten haben. Nur die Farmer an der Grenze,
denen die kanadischen Gutsbesitzer Konkurrenz machen, haben einen kleinen
Vorteil davon. Und um sich die schwankenden Wähler von Connecticut zu
sichern, hat man den dortigen Tabakbaueru einen Zoll bewilligt, der den
amerikanischen Raucher zwingt, Cigarren mit dem schlechten Connectieutdeckblatt
zu rauchen, während er früher Cigarren mit Sumatradeckblatt bekam.

Die Verfasser schließen ihre geschichtliche Übersicht der Entwicklung der
nordamerikanischen Zollpolitik mit der Bemerkung: „Der Tarif ist ein Werk
der herrschenden Republikancrpartei, die fester als je an den Schutzzoll glaubt.
Mit Stolz weist sie auf das fabelhafte Wachstum der amerikanischen Industrie
hin und behauptet, nur bei fortdauernden Zollschutz könne der hohe Ztg-ni-M
ok lito des amerikanischen Arbeiters aufrecht erhalten werden und könne die
amerikanische Nation ihre offenbare Bestimmung erfüllen. Eine Änderung
wird, wenn überhaupt, nnr sehr allmählich und stückweise vor sich gehen."

Ein zweiter Teil stellt die „allgemeine Handelspolitik der Bereinigten
Staaten" dar, ihr Verhalten in Beziehung auf Handelsverträge (die Union
ist solchen grundsätzlich abgeneigt), auf Zollverwaltung, Einwanderung, Ab¬
zahlung der Staatsschulden u. s. w. Über die Silberfrage wird gesagt, die
Träger der Bewegung für freie Silberprüguug seien einerseits die Silberminen¬
besitzer und andrerseits die stark verschuldeten Farmer der West- und Süd-
staaten, die (wie unsre deutschen Agrarier) ihre Grundschulden gern in Silber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/357>, abgerufen am 08.01.2025.