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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts

die Industriellen für die ihnen auferlegte Last zu entschädigen, mußten die
Eingangszölle abermals und zwar sehr bedeutend erhöht werden. So ging
auch diese zweite Schutzzollbewegung nicht aus Theorien und Grundsätzen
hervor, soudern wiederum zwangen äußere Umstände dazu, aber diesmal gingen
die im Drange der Not angenommnen schutzzöllnerischen Gewohnheiten dem
Volke in Fleisch und Blut über. So wenigstens stellen die Verfasser die
Sache dar. Sollte aber nicht doch am Ende kapitalistische Berechnung von
Anfang an mit im Spiele und die Zahl der Interessenten nur zu klein ge¬
wesen sein, sodaß sie ihre Absicht nicht hätten verwirklichen können, wenn
ihnen der Krieg nicht zu Hilfe gekommen wäre, und sollte dies nicht gerade
einer der Beweggründe zum Kriege gewesen sein?

Georg Hansen hat in seinein merkwürdigen Buche "Die drei Bevölkeruugs-
stufen" (vgl. Grenzboten von 1890. 2. Vierteljahr S. 331) folgende Ansicht
aufgestellt. Die Nordamerikaner würden noch lange Zeit ein Bauernvolk ge¬
blieben sein, wenn sich nicht die wenigen Städter der Regierung bemächtigt
und durch eine vom Standpunkte des Gemeinwohls aus kurzsichtige Gesetz¬
gebung eine großartige Industrie gewaltsam erzeugt hätten. "Das Interesse
des Landes erforderte, daß sich der Überschuß der ländlichen Bevölkerung so
gut wie die große Masse der Einwanderer auch ferner noch der Landwirtschaft
zuwandte. Im Interesse des Mittelstandes ^so nennt Hansen die wohlhabende
Stadtbevölkernngl dagegen lag es, durch künstliche Mittel einen Arbeiterstand
hervorzurufen, um sich mit Hilfe desselben durch Schaffung einer mächtigen
Industrie die Quelle zu neue-, Reichtümern zu eröffnen." Dieses Ziel sei
nun in der Weise erreicht worden, daß man einerseits durch Schutz- und Pro¬
hibitivzölle die Jndustriewaren verteuerte, hierdurch sich in den Stand setzte,
die Einwandrer durch hohe Löhne in die Fabriken zu locken, in den Städten
fest- und vom Landkauf abzuhalten, andrerseits durch großartige Landankünfe
und Laudverschleudcrung, wie die Schenkungen an die Eisenbahnkönige, den
Grund und Boden verteuerte und die Ansiedlung erschwerte. Daß dann,
nachdem das Land weggegeben und das arbeitende Volk auf die Fabriken an¬
gewiesen ist, die Arbeitslöhne fallen, versteht sich von selbst. Die Auffassung
Hansens ist umso wahrscheinlicher, als der Plan, der der innern Politik der
Vereinigten Staaten bewußt oder unbewußt zu Grunde liegt, schon zu der
Zeit, als Nordamerika noch englische Kolonie war, von dem Nationalökonomen
Wakefield, den Marx in seinem "Kapital" anführt, entwickelt worden ist.
Wakefield beklagt die "Kapitalzcrsplitteruug" in deu Kolonien als ein großes
Unglück. Man sinde dort keine andre Art Menschen als wohlgenährte, be¬
hübige Bauern, denen es gar nicht einfalle, ihre Selbständigkeit preiszugeben
und in die Fabrik zu gehen. Der Kapitalist sei dort wie verraten und ver¬
kauft. Einem Herrn, der Geld, Maschinen und Menschen mit nach Australien
genommen habe, um dort Fabriken anzulegen, seien gleich nach der Ankunft


Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts

die Industriellen für die ihnen auferlegte Last zu entschädigen, mußten die
Eingangszölle abermals und zwar sehr bedeutend erhöht werden. So ging
auch diese zweite Schutzzollbewegung nicht aus Theorien und Grundsätzen
hervor, soudern wiederum zwangen äußere Umstände dazu, aber diesmal gingen
die im Drange der Not angenommnen schutzzöllnerischen Gewohnheiten dem
Volke in Fleisch und Blut über. So wenigstens stellen die Verfasser die
Sache dar. Sollte aber nicht doch am Ende kapitalistische Berechnung von
Anfang an mit im Spiele und die Zahl der Interessenten nur zu klein ge¬
wesen sein, sodaß sie ihre Absicht nicht hätten verwirklichen können, wenn
ihnen der Krieg nicht zu Hilfe gekommen wäre, und sollte dies nicht gerade
einer der Beweggründe zum Kriege gewesen sein?

Georg Hansen hat in seinein merkwürdigen Buche „Die drei Bevölkeruugs-
stufen" (vgl. Grenzboten von 1890. 2. Vierteljahr S. 331) folgende Ansicht
aufgestellt. Die Nordamerikaner würden noch lange Zeit ein Bauernvolk ge¬
blieben sein, wenn sich nicht die wenigen Städter der Regierung bemächtigt
und durch eine vom Standpunkte des Gemeinwohls aus kurzsichtige Gesetz¬
gebung eine großartige Industrie gewaltsam erzeugt hätten. „Das Interesse
des Landes erforderte, daß sich der Überschuß der ländlichen Bevölkerung so
gut wie die große Masse der Einwanderer auch ferner noch der Landwirtschaft
zuwandte. Im Interesse des Mittelstandes ^so nennt Hansen die wohlhabende
Stadtbevölkernngl dagegen lag es, durch künstliche Mittel einen Arbeiterstand
hervorzurufen, um sich mit Hilfe desselben durch Schaffung einer mächtigen
Industrie die Quelle zu neue-, Reichtümern zu eröffnen." Dieses Ziel sei
nun in der Weise erreicht worden, daß man einerseits durch Schutz- und Pro¬
hibitivzölle die Jndustriewaren verteuerte, hierdurch sich in den Stand setzte,
die Einwandrer durch hohe Löhne in die Fabriken zu locken, in den Städten
fest- und vom Landkauf abzuhalten, andrerseits durch großartige Landankünfe
und Laudverschleudcrung, wie die Schenkungen an die Eisenbahnkönige, den
Grund und Boden verteuerte und die Ansiedlung erschwerte. Daß dann,
nachdem das Land weggegeben und das arbeitende Volk auf die Fabriken an¬
gewiesen ist, die Arbeitslöhne fallen, versteht sich von selbst. Die Auffassung
Hansens ist umso wahrscheinlicher, als der Plan, der der innern Politik der
Vereinigten Staaten bewußt oder unbewußt zu Grunde liegt, schon zu der
Zeit, als Nordamerika noch englische Kolonie war, von dem Nationalökonomen
Wakefield, den Marx in seinem „Kapital" anführt, entwickelt worden ist.
Wakefield beklagt die „Kapitalzcrsplitteruug" in deu Kolonien als ein großes
Unglück. Man sinde dort keine andre Art Menschen als wohlgenährte, be¬
hübige Bauern, denen es gar nicht einfalle, ihre Selbständigkeit preiszugeben
und in die Fabrik zu gehen. Der Kapitalist sei dort wie verraten und ver¬
kauft. Einem Herrn, der Geld, Maschinen und Menschen mit nach Australien
genommen habe, um dort Fabriken anzulegen, seien gleich nach der Ankunft


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[0355] Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts die Industriellen für die ihnen auferlegte Last zu entschädigen, mußten die Eingangszölle abermals und zwar sehr bedeutend erhöht werden. So ging auch diese zweite Schutzzollbewegung nicht aus Theorien und Grundsätzen hervor, soudern wiederum zwangen äußere Umstände dazu, aber diesmal gingen die im Drange der Not angenommnen schutzzöllnerischen Gewohnheiten dem Volke in Fleisch und Blut über. So wenigstens stellen die Verfasser die Sache dar. Sollte aber nicht doch am Ende kapitalistische Berechnung von Anfang an mit im Spiele und die Zahl der Interessenten nur zu klein ge¬ wesen sein, sodaß sie ihre Absicht nicht hätten verwirklichen können, wenn ihnen der Krieg nicht zu Hilfe gekommen wäre, und sollte dies nicht gerade einer der Beweggründe zum Kriege gewesen sein? Georg Hansen hat in seinein merkwürdigen Buche „Die drei Bevölkeruugs- stufen" (vgl. Grenzboten von 1890. 2. Vierteljahr S. 331) folgende Ansicht aufgestellt. Die Nordamerikaner würden noch lange Zeit ein Bauernvolk ge¬ blieben sein, wenn sich nicht die wenigen Städter der Regierung bemächtigt und durch eine vom Standpunkte des Gemeinwohls aus kurzsichtige Gesetz¬ gebung eine großartige Industrie gewaltsam erzeugt hätten. „Das Interesse des Landes erforderte, daß sich der Überschuß der ländlichen Bevölkerung so gut wie die große Masse der Einwanderer auch ferner noch der Landwirtschaft zuwandte. Im Interesse des Mittelstandes ^so nennt Hansen die wohlhabende Stadtbevölkernngl dagegen lag es, durch künstliche Mittel einen Arbeiterstand hervorzurufen, um sich mit Hilfe desselben durch Schaffung einer mächtigen Industrie die Quelle zu neue-, Reichtümern zu eröffnen." Dieses Ziel sei nun in der Weise erreicht worden, daß man einerseits durch Schutz- und Pro¬ hibitivzölle die Jndustriewaren verteuerte, hierdurch sich in den Stand setzte, die Einwandrer durch hohe Löhne in die Fabriken zu locken, in den Städten fest- und vom Landkauf abzuhalten, andrerseits durch großartige Landankünfe und Laudverschleudcrung, wie die Schenkungen an die Eisenbahnkönige, den Grund und Boden verteuerte und die Ansiedlung erschwerte. Daß dann, nachdem das Land weggegeben und das arbeitende Volk auf die Fabriken an¬ gewiesen ist, die Arbeitslöhne fallen, versteht sich von selbst. Die Auffassung Hansens ist umso wahrscheinlicher, als der Plan, der der innern Politik der Vereinigten Staaten bewußt oder unbewußt zu Grunde liegt, schon zu der Zeit, als Nordamerika noch englische Kolonie war, von dem Nationalökonomen Wakefield, den Marx in seinem „Kapital" anführt, entwickelt worden ist. Wakefield beklagt die „Kapitalzcrsplitteruug" in deu Kolonien als ein großes Unglück. Man sinde dort keine andre Art Menschen als wohlgenährte, be¬ hübige Bauern, denen es gar nicht einfalle, ihre Selbständigkeit preiszugeben und in die Fabrik zu gehen. Der Kapitalist sei dort wie verraten und ver¬ kauft. Einem Herrn, der Geld, Maschinen und Menschen mit nach Australien genommen habe, um dort Fabriken anzulegen, seien gleich nach der Ankunft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/355>, abgerufen am 08.01.2025.