Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Sonntagsruhe auf Anordnung des Herrn Regierungspräsidenten von jetzt an neun bis elf Also die Polizei schreibt vor, wann Gottesdienst gehalten werden soll Gesetze zu lesen ist nicht jedermanns Sache, besonders ist es nicht die Nun wandte sich der Herr Oberpräsident an das königliche Konsistorium: Der Wagen ist also glücklich festgefahren. Daß ein besondrer Schade Die Sonntagsruhe auf Anordnung des Herrn Regierungspräsidenten von jetzt an neun bis elf Also die Polizei schreibt vor, wann Gottesdienst gehalten werden soll Gesetze zu lesen ist nicht jedermanns Sache, besonders ist es nicht die Nun wandte sich der Herr Oberpräsident an das königliche Konsistorium: Der Wagen ist also glücklich festgefahren. Daß ein besondrer Schade <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212827"/> <fw type="header" place="top"> Die Sonntagsruhe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1184" prev="#ID_1183"> auf Anordnung des Herrn Regierungspräsidenten von jetzt an neun bis elf<lb/> Uhr vormittags und zwei bis drei Uhr nachmittags.</p><lb/> <p xml:id="ID_1185"> Also die Polizei schreibt vor, wann Gottesdienst gehalten werden soll<lb/> und wann nicht! Das ist eine so kuriose Geschichte, daß wir sie Herrn Fritz<lb/> Anders zur Bearbeitung in einer seiner nächsten „Skizzen" empfehlen möchten,<lb/> sie erinnert lebhaft an die nach unten hin immer schneidiger werdende Aus¬<lb/> führung eines Korpsbefehls.</p><lb/> <p xml:id="ID_1186"> Gesetze zu lesen ist nicht jedermanns Sache, besonders ist es nicht die<lb/> Sache der Herren Pastoren. Es ist also nicht zu verwundern, daß sich viele<lb/> haben einschüchtern lassen. Andre erkannten die Gesetzwidrigkeit der Vorschriften,<lb/> erhoben Widerspruch und hielten ihre Gottesdienste ruhig zur alten Zeit weiter.<lb/> Noch andre befanden sich vor der handgreiflichen Unmöglichkeit, zu gehorchen.<lb/> Hier ein besonders schöner Fall. In A. befindet sich eine katholische und eine<lb/> evangelische Gemeinde. Der katholische Pfarrer hatte ohne weiteres vorschrifts¬<lb/> mäßig beschlossen, der evangelische hatte Protest erhoben. Das hatte zu einem<lb/> vorwurfsvollen Bericht Anlaß gegeben mit der Andeutung, wie viel bessere<lb/> Staatsbürger doch die Katholiken seien. Aber man hatte merkwürdigerweise<lb/> übersehn, daß in A. beide Gemeinden, die katholische und die evangelische, die¬<lb/> selbe Kirche benutzen, und zwar die eine von neun bis elf Uhr, die andre von<lb/> elf bis ein Uhr. Da konnte freilich der evangelische Pastor einer burenukra-<lb/> tischen Liebhaberei zu Gefallen nicht nachgeben. Derartiger Fälle, wo es ganz<lb/> unmöglich ist, die Gottesdienste auf die angeordneten Stunden zu legen, giebt<lb/> es aber auf dem Lande unzählige. Man hatte sie vom grünen Tische aus<lb/> nicht bemerkt und eigentlich nur an die Städte gedacht. In den Städten<lb/> haben sich auch die Dinge ziemlich leicht geordnet. Nur in Berlin ist man<lb/> so schlau gewesen, zu verlangen, daß die Gottesdienstzeiten des lieben Ge¬<lb/> schäfts wegen auf eine ganz unmögliche Stunde gelegt werden, wogegen die<lb/> Synode Widerspruch erhoben hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1187"> Nun wandte sich der Herr Oberpräsident an das königliche Konsistorium:<lb/> königliches Konsistorium wolle die Geistlichen anweisen, die von den Behörden<lb/> vorgeschriebnen Stunden für ihre Gottesdienste anzunehmen. Aber das Kon¬<lb/> sistorium, dem doch wahrlich nicht der Vorwurf der Staatsfeindlichleit gemacht<lb/> werden kann, antwortete: es bedaure, nicht dienen zu können, da es unmög¬<lb/> lich sei, daß Geistliche, die, wie es bei der Mehrzahl der Fall ist, Filialen zu<lb/> bedienen haben, von neun bis elf Uhr an verschiednen Orten Gottesdienst halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1188" next="#ID_1189"> Der Wagen ist also glücklich festgefahren. Daß ein besondrer Schade<lb/> dadurch entstanden sei, soll nnn zwar nicht behauptet werden; man hat einige<lb/> Konfusion angerichtet, und schließlich wird alles beim alten bleiben. Aber man<lb/> hat die kirchlichen Kreise, auf deren Hilfe man so großen Wert legt, verletzt.<lb/> Man hat mit Polizeiverfttgungeu in die Interim der Kirche eingegriffen. Und<lb/> dies zur Zeit des „neuen Kurses"! Die bevorstehenden Kreissynvden werden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0351]
Die Sonntagsruhe
auf Anordnung des Herrn Regierungspräsidenten von jetzt an neun bis elf
Uhr vormittags und zwei bis drei Uhr nachmittags.
Also die Polizei schreibt vor, wann Gottesdienst gehalten werden soll
und wann nicht! Das ist eine so kuriose Geschichte, daß wir sie Herrn Fritz
Anders zur Bearbeitung in einer seiner nächsten „Skizzen" empfehlen möchten,
sie erinnert lebhaft an die nach unten hin immer schneidiger werdende Aus¬
führung eines Korpsbefehls.
Gesetze zu lesen ist nicht jedermanns Sache, besonders ist es nicht die
Sache der Herren Pastoren. Es ist also nicht zu verwundern, daß sich viele
haben einschüchtern lassen. Andre erkannten die Gesetzwidrigkeit der Vorschriften,
erhoben Widerspruch und hielten ihre Gottesdienste ruhig zur alten Zeit weiter.
Noch andre befanden sich vor der handgreiflichen Unmöglichkeit, zu gehorchen.
Hier ein besonders schöner Fall. In A. befindet sich eine katholische und eine
evangelische Gemeinde. Der katholische Pfarrer hatte ohne weiteres vorschrifts¬
mäßig beschlossen, der evangelische hatte Protest erhoben. Das hatte zu einem
vorwurfsvollen Bericht Anlaß gegeben mit der Andeutung, wie viel bessere
Staatsbürger doch die Katholiken seien. Aber man hatte merkwürdigerweise
übersehn, daß in A. beide Gemeinden, die katholische und die evangelische, die¬
selbe Kirche benutzen, und zwar die eine von neun bis elf Uhr, die andre von
elf bis ein Uhr. Da konnte freilich der evangelische Pastor einer burenukra-
tischen Liebhaberei zu Gefallen nicht nachgeben. Derartiger Fälle, wo es ganz
unmöglich ist, die Gottesdienste auf die angeordneten Stunden zu legen, giebt
es aber auf dem Lande unzählige. Man hatte sie vom grünen Tische aus
nicht bemerkt und eigentlich nur an die Städte gedacht. In den Städten
haben sich auch die Dinge ziemlich leicht geordnet. Nur in Berlin ist man
so schlau gewesen, zu verlangen, daß die Gottesdienstzeiten des lieben Ge¬
schäfts wegen auf eine ganz unmögliche Stunde gelegt werden, wogegen die
Synode Widerspruch erhoben hat.
Nun wandte sich der Herr Oberpräsident an das königliche Konsistorium:
königliches Konsistorium wolle die Geistlichen anweisen, die von den Behörden
vorgeschriebnen Stunden für ihre Gottesdienste anzunehmen. Aber das Kon¬
sistorium, dem doch wahrlich nicht der Vorwurf der Staatsfeindlichleit gemacht
werden kann, antwortete: es bedaure, nicht dienen zu können, da es unmög¬
lich sei, daß Geistliche, die, wie es bei der Mehrzahl der Fall ist, Filialen zu
bedienen haben, von neun bis elf Uhr an verschiednen Orten Gottesdienst halten.
Der Wagen ist also glücklich festgefahren. Daß ein besondrer Schade
dadurch entstanden sei, soll nnn zwar nicht behauptet werden; man hat einige
Konfusion angerichtet, und schließlich wird alles beim alten bleiben. Aber man
hat die kirchlichen Kreise, auf deren Hilfe man so großen Wert legt, verletzt.
Man hat mit Polizeiverfttgungeu in die Interim der Kirche eingegriffen. Und
dies zur Zeit des „neuen Kurses"! Die bevorstehenden Kreissynvden werden
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