Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Sonntagsruhe durch die Verschärfung des Gesetzes auch den in ihm liegenden innern Wider¬ Nicht alle Klagen über das Gesetz sind berechtigt. Man sagt: es ist ein Aber die Beschwerde wird sofort berechtigt, wenn man sich beklagt: Wir Die Sonntagsruhe durch die Verschärfung des Gesetzes auch den in ihm liegenden innern Wider¬ Nicht alle Klagen über das Gesetz sind berechtigt. Man sagt: es ist ein Aber die Beschwerde wird sofort berechtigt, wenn man sich beklagt: Wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212823"/> <fw type="header" place="top"> Die Sonntagsruhe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1167" prev="#ID_1166"> durch die Verschärfung des Gesetzes auch den in ihm liegenden innern Wider¬<lb/> spruch verschärft, man ist wieder bei dem alten Gegensatze einer liberalen und<lb/> einer autoritativen Anschauung angekommen. Bismarck steht in der Sonntags¬<lb/> frage auf liberaler Seite; er hat von jeher den Gedanken vertreten, es müsse<lb/> jedem freistehn, wenn er nicht andre stört, am Sonntage zu arbeiten. Die<lb/> Partei des neuen Kurses will, daß der Mensch in gewissen Dingen und gerade<lb/> hier dnrch den Zwang des Gesetzes vor sich selbst geschützt werde, daß also<lb/> von oben herunter befohlen werde, wenn es von unten her zu einem ver¬<lb/> ständigen und notwendigen Entschlusse nicht kommen will. Das richtige dürfte<lb/> Wohl in der Mitte liegen. Oder anders ausgedrückt: ist mau der Überzeugung,<lb/> daß man in der Sonntagsfrage die Bevölkerung dnrch Gesetze bevormunden<lb/> müsse, so muß es wenigstens in einer Weise geschehn, daß berechtigte Inter¬<lb/> essen geschont werden, das Gesetz darf nicht einseitig und ungerecht vorgehn.<lb/> Ist aber die rechte Mittellinie nicht getroffen, so muß das Gesetz entweder<lb/> erweitert oder verengert werden. Und diese Notwendigkeit scheint bei dem<lb/> Sonntagsgesetze vorzuliegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1168"> Nicht alle Klagen über das Gesetz sind berechtigt. Man sagt: es ist ein<lb/> Unsinn, dem jungen Manne soviel freie Zeit zu geben. Was soll er damit<lb/> anfangen? Er geht ins Wirtshaus. Dafür reicht sein Gehalt nicht aus,<lb/> und das Ende ist, daß er die Kasse angreift. Sollte aber der junge Manu<lb/> seine freie Zeit wirklich nur mit Kneipen ausfüllen können? Sollte er nichts<lb/> besseres und nötigeres zu thun haben? Oder mau fragt: Wo soll sich der<lb/> junge Mann in seiner Freizeit aufhalten? Man hat ihm ein Loch zum Schlafen<lb/> angewiesen, sein eigentlicher Anfenthalt ist der Laden. Nun gut, wenn das<lb/> so ist, ist es dann nicht zu loben, wenn das Sountngsgesetz solche Mißstände<lb/> aufdeckt und ihre Besserung fordert? Und vollends wenn die Verkäufer von<lb/> allerhand Kram und Plunder, wenn die „edelsten Glieder der Nation" mit<lb/> ihrem Hausirkasten in dem unveräußerlichen Menschenrechte, jedes schöne Fleckchen<lb/> Erde in einen Trödelmarkt zu verwandeln und jeden zu belästigen, der sich<lb/> des stillen Sonntags freuen möchte, gestört werden, so ist das doch nur zu<lb/> billigen. Ebenso wenig gerechtfertigt ist es, wenn sich Cigarrenhändler be¬<lb/> klagen, daß ihnen verwehrt werde, ihre Bude Sonntags nachmittags bis<lb/> tief in die Nacht hinein offen zu halten, um ein paar Dutzend Cigarren an<lb/> Leute zu verkaufen, die sich ihren Bedarf ebenso gut hätten einstecken können.<lb/> Geraucht wird doch; man wird künftig nnr weniger am Sonntag kaufen und<lb/> weniger einzeln kaufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1169" next="#ID_1170"> Aber die Beschwerde wird sofort berechtigt, wenn man sich beklagt: Wir<lb/> dürfen nicht verkaufen, aber der Wirt darf es; mau entzieht uns einen Ver¬<lb/> dienst, um ihn dem Wirte zuzuwenden. In derselben Lage sind der Bäcker<lb/> und der Fleischer, sie müssen ihre Laden schließen und zusehen, wie ihre<lb/> Kunden zum Gastwirt gehen. Man hat diese Ungerechtigkeit dadurch mildern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0347]
Die Sonntagsruhe
durch die Verschärfung des Gesetzes auch den in ihm liegenden innern Wider¬
spruch verschärft, man ist wieder bei dem alten Gegensatze einer liberalen und
einer autoritativen Anschauung angekommen. Bismarck steht in der Sonntags¬
frage auf liberaler Seite; er hat von jeher den Gedanken vertreten, es müsse
jedem freistehn, wenn er nicht andre stört, am Sonntage zu arbeiten. Die
Partei des neuen Kurses will, daß der Mensch in gewissen Dingen und gerade
hier dnrch den Zwang des Gesetzes vor sich selbst geschützt werde, daß also
von oben herunter befohlen werde, wenn es von unten her zu einem ver¬
ständigen und notwendigen Entschlusse nicht kommen will. Das richtige dürfte
Wohl in der Mitte liegen. Oder anders ausgedrückt: ist mau der Überzeugung,
daß man in der Sonntagsfrage die Bevölkerung dnrch Gesetze bevormunden
müsse, so muß es wenigstens in einer Weise geschehn, daß berechtigte Inter¬
essen geschont werden, das Gesetz darf nicht einseitig und ungerecht vorgehn.
Ist aber die rechte Mittellinie nicht getroffen, so muß das Gesetz entweder
erweitert oder verengert werden. Und diese Notwendigkeit scheint bei dem
Sonntagsgesetze vorzuliegen.
Nicht alle Klagen über das Gesetz sind berechtigt. Man sagt: es ist ein
Unsinn, dem jungen Manne soviel freie Zeit zu geben. Was soll er damit
anfangen? Er geht ins Wirtshaus. Dafür reicht sein Gehalt nicht aus,
und das Ende ist, daß er die Kasse angreift. Sollte aber der junge Manu
seine freie Zeit wirklich nur mit Kneipen ausfüllen können? Sollte er nichts
besseres und nötigeres zu thun haben? Oder mau fragt: Wo soll sich der
junge Mann in seiner Freizeit aufhalten? Man hat ihm ein Loch zum Schlafen
angewiesen, sein eigentlicher Anfenthalt ist der Laden. Nun gut, wenn das
so ist, ist es dann nicht zu loben, wenn das Sountngsgesetz solche Mißstände
aufdeckt und ihre Besserung fordert? Und vollends wenn die Verkäufer von
allerhand Kram und Plunder, wenn die „edelsten Glieder der Nation" mit
ihrem Hausirkasten in dem unveräußerlichen Menschenrechte, jedes schöne Fleckchen
Erde in einen Trödelmarkt zu verwandeln und jeden zu belästigen, der sich
des stillen Sonntags freuen möchte, gestört werden, so ist das doch nur zu
billigen. Ebenso wenig gerechtfertigt ist es, wenn sich Cigarrenhändler be¬
klagen, daß ihnen verwehrt werde, ihre Bude Sonntags nachmittags bis
tief in die Nacht hinein offen zu halten, um ein paar Dutzend Cigarren an
Leute zu verkaufen, die sich ihren Bedarf ebenso gut hätten einstecken können.
Geraucht wird doch; man wird künftig nnr weniger am Sonntag kaufen und
weniger einzeln kaufen.
Aber die Beschwerde wird sofort berechtigt, wenn man sich beklagt: Wir
dürfen nicht verkaufen, aber der Wirt darf es; mau entzieht uns einen Ver¬
dienst, um ihn dem Wirte zuzuwenden. In derselben Lage sind der Bäcker
und der Fleischer, sie müssen ihre Laden schließen und zusehen, wie ihre
Kunden zum Gastwirt gehen. Man hat diese Ungerechtigkeit dadurch mildern
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