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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Sonntagsruhe

bleibt ihm doch unbenommen, zu spekuliren, wie er das Gesetz fein umgehn
und so die Konkurrenz schädigen könne.

Trotz alledem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß mit dem
Gesetz etwas begonnen worden ist, was so nicht bleiben kann. Entweder muß
man weiter gehn und die Sonntagsruhe zu einer wirklichen Ruhe machen,
oder man muß zulassen, daß von ihr soviel abgebröckelt wird, daß nicht einmal
das mehr übrig bleibt, was man bisher hatte. In dem ersten Sinne lassen
sich die Organe des Zentrums vernehmen, in dem zweiten schreiben die liberalen
Zeitungen, die Kölnische mit einbegriffen.

Es ist eine seltsame Sache, ein Gesetz über die Sonntagsruhe, das be¬
stimmt, daß am Sonntagvormittag fünf Stunden gearbeitet und daß nach¬
mittags gefeiert werden soll. Als ob es darauf ankäme, dem notleidenden
Stande der Gastwirte auf die Beine zu helfen! Gleichsam in Parenthese wird
hinzugesetzt, während der Stunden des Gottesdienstes dürfe nicht gearbeitet
werden, und es müsse auch soviel Zeit gegeben werden, daß man sich zum
Gottesdienste ankleiden könne. Wir möchten aber wohl wissen, wieviel Leute
von der so gegebnen freien Zeit Gebrauch machen, daß sie zum Gottesdienst
gehn. Man stelle sich einen armen kleinen Ladendiener vor, der bis dreiviertel
neun Uhr hinter dem Ladentische steht, dann die guten Höschen anzieht, um
in die Kirche zu gehn, und gleich nach Schluß des Gottesdienstes zur Herings-
toune zurückkehren muß; man stelle sich den Spott vor, mit dem der Herr
Prinzipal und die Herren Kollegen, denen die Sonntagsruhe nur die Freiheit
ins Wirtshaus zu gehen bedeutet, deu armen Menschen behandeln. Für Leute,
die die Sonntagsruhe vormittags zur Sonntagsheiligung benutzen wollen,
wäre eine Bestimmung, uach der ein Sonntag um den andern völlig frei
bleiben müßte, günstiger gewesen, als die neuen gesetzlichen Bestimmungen.

Aber auf die kirchliche Sonntagsfeier ist ja die Novelle gar nicht gerichtet
gewesen, sondern auf eine Sonntagsruhe für unselbständige Leute, denen man
diese Ruhe aus denselben Gründen sichern wollte, aus denen die Sozial-
demokraten den freien Sonntag fordern. Die neuen Bestimmungen gehören
zur sozialen, nicht zur kirchlichen oder sittlichen Gesetzgebung. Dies war
wenigstens die ursprüngliche Form des Gesetzes; erst durch die christlich¬
konservative Mehrheit des Reichstags hat es eine Gestalt bekommen, dnrch
die es ein Gesetz für die Sonntagsruhe geworden ist. Es ist nämlich ein¬
gefügt worden, daß in den geschloßnen Stunden des Sonntags nicht bloß die
Angestellten frei sein müssen, sondern auch, daß die Laden zu schließen seien,
und daß überhaupt nicht gearbeitet werden dürfe. Durch diese Verschärfung
des Gesetzes hat man bewirken wollen, daß das Gesetz überhaupt wirksam
werde. Deal wenn doch weiter gekauft oder verkauft worden wäre, so hätte
der Angestellte keine wirkliche Freiheit erhalten. Man wollte wohl auch den
Geschäftsinhabern durch den Zwang eine Wohlthat erweisen. Aber man hat


Die Sonntagsruhe

bleibt ihm doch unbenommen, zu spekuliren, wie er das Gesetz fein umgehn
und so die Konkurrenz schädigen könne.

Trotz alledem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß mit dem
Gesetz etwas begonnen worden ist, was so nicht bleiben kann. Entweder muß
man weiter gehn und die Sonntagsruhe zu einer wirklichen Ruhe machen,
oder man muß zulassen, daß von ihr soviel abgebröckelt wird, daß nicht einmal
das mehr übrig bleibt, was man bisher hatte. In dem ersten Sinne lassen
sich die Organe des Zentrums vernehmen, in dem zweiten schreiben die liberalen
Zeitungen, die Kölnische mit einbegriffen.

Es ist eine seltsame Sache, ein Gesetz über die Sonntagsruhe, das be¬
stimmt, daß am Sonntagvormittag fünf Stunden gearbeitet und daß nach¬
mittags gefeiert werden soll. Als ob es darauf ankäme, dem notleidenden
Stande der Gastwirte auf die Beine zu helfen! Gleichsam in Parenthese wird
hinzugesetzt, während der Stunden des Gottesdienstes dürfe nicht gearbeitet
werden, und es müsse auch soviel Zeit gegeben werden, daß man sich zum
Gottesdienste ankleiden könne. Wir möchten aber wohl wissen, wieviel Leute
von der so gegebnen freien Zeit Gebrauch machen, daß sie zum Gottesdienst
gehn. Man stelle sich einen armen kleinen Ladendiener vor, der bis dreiviertel
neun Uhr hinter dem Ladentische steht, dann die guten Höschen anzieht, um
in die Kirche zu gehn, und gleich nach Schluß des Gottesdienstes zur Herings-
toune zurückkehren muß; man stelle sich den Spott vor, mit dem der Herr
Prinzipal und die Herren Kollegen, denen die Sonntagsruhe nur die Freiheit
ins Wirtshaus zu gehen bedeutet, deu armen Menschen behandeln. Für Leute,
die die Sonntagsruhe vormittags zur Sonntagsheiligung benutzen wollen,
wäre eine Bestimmung, uach der ein Sonntag um den andern völlig frei
bleiben müßte, günstiger gewesen, als die neuen gesetzlichen Bestimmungen.

Aber auf die kirchliche Sonntagsfeier ist ja die Novelle gar nicht gerichtet
gewesen, sondern auf eine Sonntagsruhe für unselbständige Leute, denen man
diese Ruhe aus denselben Gründen sichern wollte, aus denen die Sozial-
demokraten den freien Sonntag fordern. Die neuen Bestimmungen gehören
zur sozialen, nicht zur kirchlichen oder sittlichen Gesetzgebung. Dies war
wenigstens die ursprüngliche Form des Gesetzes; erst durch die christlich¬
konservative Mehrheit des Reichstags hat es eine Gestalt bekommen, dnrch
die es ein Gesetz für die Sonntagsruhe geworden ist. Es ist nämlich ein¬
gefügt worden, daß in den geschloßnen Stunden des Sonntags nicht bloß die
Angestellten frei sein müssen, sondern auch, daß die Laden zu schließen seien,
und daß überhaupt nicht gearbeitet werden dürfe. Durch diese Verschärfung
des Gesetzes hat man bewirken wollen, daß das Gesetz überhaupt wirksam
werde. Deal wenn doch weiter gekauft oder verkauft worden wäre, so hätte
der Angestellte keine wirkliche Freiheit erhalten. Man wollte wohl auch den
Geschäftsinhabern durch den Zwang eine Wohlthat erweisen. Aber man hat


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[0346] Die Sonntagsruhe bleibt ihm doch unbenommen, zu spekuliren, wie er das Gesetz fein umgehn und so die Konkurrenz schädigen könne. Trotz alledem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß mit dem Gesetz etwas begonnen worden ist, was so nicht bleiben kann. Entweder muß man weiter gehn und die Sonntagsruhe zu einer wirklichen Ruhe machen, oder man muß zulassen, daß von ihr soviel abgebröckelt wird, daß nicht einmal das mehr übrig bleibt, was man bisher hatte. In dem ersten Sinne lassen sich die Organe des Zentrums vernehmen, in dem zweiten schreiben die liberalen Zeitungen, die Kölnische mit einbegriffen. Es ist eine seltsame Sache, ein Gesetz über die Sonntagsruhe, das be¬ stimmt, daß am Sonntagvormittag fünf Stunden gearbeitet und daß nach¬ mittags gefeiert werden soll. Als ob es darauf ankäme, dem notleidenden Stande der Gastwirte auf die Beine zu helfen! Gleichsam in Parenthese wird hinzugesetzt, während der Stunden des Gottesdienstes dürfe nicht gearbeitet werden, und es müsse auch soviel Zeit gegeben werden, daß man sich zum Gottesdienste ankleiden könne. Wir möchten aber wohl wissen, wieviel Leute von der so gegebnen freien Zeit Gebrauch machen, daß sie zum Gottesdienst gehn. Man stelle sich einen armen kleinen Ladendiener vor, der bis dreiviertel neun Uhr hinter dem Ladentische steht, dann die guten Höschen anzieht, um in die Kirche zu gehn, und gleich nach Schluß des Gottesdienstes zur Herings- toune zurückkehren muß; man stelle sich den Spott vor, mit dem der Herr Prinzipal und die Herren Kollegen, denen die Sonntagsruhe nur die Freiheit ins Wirtshaus zu gehen bedeutet, deu armen Menschen behandeln. Für Leute, die die Sonntagsruhe vormittags zur Sonntagsheiligung benutzen wollen, wäre eine Bestimmung, uach der ein Sonntag um den andern völlig frei bleiben müßte, günstiger gewesen, als die neuen gesetzlichen Bestimmungen. Aber auf die kirchliche Sonntagsfeier ist ja die Novelle gar nicht gerichtet gewesen, sondern auf eine Sonntagsruhe für unselbständige Leute, denen man diese Ruhe aus denselben Gründen sichern wollte, aus denen die Sozial- demokraten den freien Sonntag fordern. Die neuen Bestimmungen gehören zur sozialen, nicht zur kirchlichen oder sittlichen Gesetzgebung. Dies war wenigstens die ursprüngliche Form des Gesetzes; erst durch die christlich¬ konservative Mehrheit des Reichstags hat es eine Gestalt bekommen, dnrch die es ein Gesetz für die Sonntagsruhe geworden ist. Es ist nämlich ein¬ gefügt worden, daß in den geschloßnen Stunden des Sonntags nicht bloß die Angestellten frei sein müssen, sondern auch, daß die Laden zu schließen seien, und daß überhaupt nicht gearbeitet werden dürfe. Durch diese Verschärfung des Gesetzes hat man bewirken wollen, daß das Gesetz überhaupt wirksam werde. Deal wenn doch weiter gekauft oder verkauft worden wäre, so hätte der Angestellte keine wirkliche Freiheit erhalten. Man wollte wohl auch den Geschäftsinhabern durch den Zwang eine Wohlthat erweisen. Aber man hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/346>, abgerufen am 06.01.2025.