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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Antwort auf die Lciprivischen Erlasse

er seiner Überzeugung Allsdruck giebt, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn,
daß der greise Staatsmann uoch derselbe ist, der er von jeher gewesen ist, daß
geistige Kraft und sittlicher Mut so ungebrochen in dem siebenundstebzig-
jährigen Greise leben, wie in dem reifen Manne. Niemals ist die Bedeutung
seiner Persönlichkeit energischer und wuchtiger hervorgetreten, als in diesen
denkwürdigen Wochen, niemals hat er dem Herzen des deutschen Volkes näher
gestanden als jetzt!

Und diesen Mann mit dieser Vergangenheit und mit diesem Rückhalt im
Volke hat der "neue Kurs" sich zum geschwornen Feind gemacht! Das ist ein
schlechthin unerträgliches Verhältnis. Das deutsche Reich kann weiter regiert
werden nur in dem Geiste seiner Begründer, d. h. mit den Parteien, die es
aufgebaut haben; eine Regierung, die sich auf das Zentrum und die Polen
stützt, ist, so wenig wir geneigt sind, die Bedeutung und die Rechte der katho¬
lischen Deutschen zu verkennen oder zu bekämpfen, auf die Dauer unmöglich.
Und ebenso unmöglich wäre es, daß absolutistische Neigungen einen persön¬
lichen Herrscherwillen in dauernden Gegensatz zu deu Überzeugungen jener
Parteien brächten. Fürst Bismarck hat noch in Jena erklärt, er sei wie immer
gut monarchisch gesinnt, aber er unterscheide zwischen dem Kaiser und seinen
Ministern. Er hat damit abermals Tausenden aus der Seele gesprochen und
den Weg zum Frieden gezeigt.

Woher soll die Lösung dieser verhängnisvollen Krisis kommen, die ohne
den schwersten Schaden nicht lange mehr dauern kann? Nur einer kann sie
bringen: der Kaiser. Wir appelliren von dem schlecht unterrichteten Kaiser an
den besser zu unterrichtenden. Er hat ohne Zögern den charakterfester Grafen
Zedlitz entlassen, als er sah, daß dessen Volksschulgesetzentwurf den heftigsten
Widerstand der Mittelparteien herausforderte; wenn er jetzt nach langer Ab¬
wesenheit aus dem Norden zurückkehrt, wohin das Tosen der Brandung, die
seit Wochen dnrch Deutschland geht, nur in schwachem Nachhall gedrungen
!ein kauu, so wird sein scharfes Auge vielleicht unbefangner, als wenn er da¬
heim geblieben wäre, die verhängnisvolle Lage überblicken, die während seiner
Abwesenheit geschaffen worden ist, und ein Ruf des Jubels wird durch das
^mit gehen, wenn er den Millionen treuer Herzen, die es nimmer glauben
können und glauben wollen, daß zwischen deu Hohenzollern und dem Schmiede
ihrer Kaiserkrone ein unausgleichbarer Gegensatz bestehe, die Sicherheit giebt,
daß die Gegenwart die große Vergangenheit fortführen wolle. Niemand denkt
daran, daß Fürst Bismarck ins Amt zurückkehren werde oder auch nur wolle,
aber sein Nachfolger darf nicht Graf Caprivi bleiben. Denn niemals wird
es diesem die Nation verzeihen, daß er den Versuch gemacht hat, den Bau¬
meister ihrer Einheit vor den Allgen der gebildeten Welt als einen unznfriednen
Nörgler hinzustellen, der nicht wisse, was er wolle und sage.




Grenzboten lit 18!)2 42
Die Antwort auf die Lciprivischen Erlasse

er seiner Überzeugung Allsdruck giebt, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn,
daß der greise Staatsmann uoch derselbe ist, der er von jeher gewesen ist, daß
geistige Kraft und sittlicher Mut so ungebrochen in dem siebenundstebzig-
jährigen Greise leben, wie in dem reifen Manne. Niemals ist die Bedeutung
seiner Persönlichkeit energischer und wuchtiger hervorgetreten, als in diesen
denkwürdigen Wochen, niemals hat er dem Herzen des deutschen Volkes näher
gestanden als jetzt!

Und diesen Mann mit dieser Vergangenheit und mit diesem Rückhalt im
Volke hat der „neue Kurs" sich zum geschwornen Feind gemacht! Das ist ein
schlechthin unerträgliches Verhältnis. Das deutsche Reich kann weiter regiert
werden nur in dem Geiste seiner Begründer, d. h. mit den Parteien, die es
aufgebaut haben; eine Regierung, die sich auf das Zentrum und die Polen
stützt, ist, so wenig wir geneigt sind, die Bedeutung und die Rechte der katho¬
lischen Deutschen zu verkennen oder zu bekämpfen, auf die Dauer unmöglich.
Und ebenso unmöglich wäre es, daß absolutistische Neigungen einen persön¬
lichen Herrscherwillen in dauernden Gegensatz zu deu Überzeugungen jener
Parteien brächten. Fürst Bismarck hat noch in Jena erklärt, er sei wie immer
gut monarchisch gesinnt, aber er unterscheide zwischen dem Kaiser und seinen
Ministern. Er hat damit abermals Tausenden aus der Seele gesprochen und
den Weg zum Frieden gezeigt.

Woher soll die Lösung dieser verhängnisvollen Krisis kommen, die ohne
den schwersten Schaden nicht lange mehr dauern kann? Nur einer kann sie
bringen: der Kaiser. Wir appelliren von dem schlecht unterrichteten Kaiser an
den besser zu unterrichtenden. Er hat ohne Zögern den charakterfester Grafen
Zedlitz entlassen, als er sah, daß dessen Volksschulgesetzentwurf den heftigsten
Widerstand der Mittelparteien herausforderte; wenn er jetzt nach langer Ab¬
wesenheit aus dem Norden zurückkehrt, wohin das Tosen der Brandung, die
seit Wochen dnrch Deutschland geht, nur in schwachem Nachhall gedrungen
!ein kauu, so wird sein scharfes Auge vielleicht unbefangner, als wenn er da¬
heim geblieben wäre, die verhängnisvolle Lage überblicken, die während seiner
Abwesenheit geschaffen worden ist, und ein Ruf des Jubels wird durch das
^mit gehen, wenn er den Millionen treuer Herzen, die es nimmer glauben
können und glauben wollen, daß zwischen deu Hohenzollern und dem Schmiede
ihrer Kaiserkrone ein unausgleichbarer Gegensatz bestehe, die Sicherheit giebt,
daß die Gegenwart die große Vergangenheit fortführen wolle. Niemand denkt
daran, daß Fürst Bismarck ins Amt zurückkehren werde oder auch nur wolle,
aber sein Nachfolger darf nicht Graf Caprivi bleiben. Denn niemals wird
es diesem die Nation verzeihen, daß er den Versuch gemacht hat, den Bau¬
meister ihrer Einheit vor den Allgen der gebildeten Welt als einen unznfriednen
Nörgler hinzustellen, der nicht wisse, was er wolle und sage.




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[0337] Die Antwort auf die Lciprivischen Erlasse er seiner Überzeugung Allsdruck giebt, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn, daß der greise Staatsmann uoch derselbe ist, der er von jeher gewesen ist, daß geistige Kraft und sittlicher Mut so ungebrochen in dem siebenundstebzig- jährigen Greise leben, wie in dem reifen Manne. Niemals ist die Bedeutung seiner Persönlichkeit energischer und wuchtiger hervorgetreten, als in diesen denkwürdigen Wochen, niemals hat er dem Herzen des deutschen Volkes näher gestanden als jetzt! Und diesen Mann mit dieser Vergangenheit und mit diesem Rückhalt im Volke hat der „neue Kurs" sich zum geschwornen Feind gemacht! Das ist ein schlechthin unerträgliches Verhältnis. Das deutsche Reich kann weiter regiert werden nur in dem Geiste seiner Begründer, d. h. mit den Parteien, die es aufgebaut haben; eine Regierung, die sich auf das Zentrum und die Polen stützt, ist, so wenig wir geneigt sind, die Bedeutung und die Rechte der katho¬ lischen Deutschen zu verkennen oder zu bekämpfen, auf die Dauer unmöglich. Und ebenso unmöglich wäre es, daß absolutistische Neigungen einen persön¬ lichen Herrscherwillen in dauernden Gegensatz zu deu Überzeugungen jener Parteien brächten. Fürst Bismarck hat noch in Jena erklärt, er sei wie immer gut monarchisch gesinnt, aber er unterscheide zwischen dem Kaiser und seinen Ministern. Er hat damit abermals Tausenden aus der Seele gesprochen und den Weg zum Frieden gezeigt. Woher soll die Lösung dieser verhängnisvollen Krisis kommen, die ohne den schwersten Schaden nicht lange mehr dauern kann? Nur einer kann sie bringen: der Kaiser. Wir appelliren von dem schlecht unterrichteten Kaiser an den besser zu unterrichtenden. Er hat ohne Zögern den charakterfester Grafen Zedlitz entlassen, als er sah, daß dessen Volksschulgesetzentwurf den heftigsten Widerstand der Mittelparteien herausforderte; wenn er jetzt nach langer Ab¬ wesenheit aus dem Norden zurückkehrt, wohin das Tosen der Brandung, die seit Wochen dnrch Deutschland geht, nur in schwachem Nachhall gedrungen !ein kauu, so wird sein scharfes Auge vielleicht unbefangner, als wenn er da¬ heim geblieben wäre, die verhängnisvolle Lage überblicken, die während seiner Abwesenheit geschaffen worden ist, und ein Ruf des Jubels wird durch das ^mit gehen, wenn er den Millionen treuer Herzen, die es nimmer glauben können und glauben wollen, daß zwischen deu Hohenzollern und dem Schmiede ihrer Kaiserkrone ein unausgleichbarer Gegensatz bestehe, die Sicherheit giebt, daß die Gegenwart die große Vergangenheit fortführen wolle. Niemand denkt daran, daß Fürst Bismarck ins Amt zurückkehren werde oder auch nur wolle, aber sein Nachfolger darf nicht Graf Caprivi bleiben. Denn niemals wird es diesem die Nation verzeihen, daß er den Versuch gemacht hat, den Bau¬ meister ihrer Einheit vor den Allgen der gebildeten Welt als einen unznfriednen Nörgler hinzustellen, der nicht wisse, was er wolle und sage. Grenzboten lit 18!)2 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/337>, abgerufen am 06.01.2025.