Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Meine erste Gesellschaft die Gesellschaft gemerkt, daß von Vorlesen die Rede war, und nun hieß es Inzwischen hatten sich schon ein paar Herren, mit dem Bier in der Hand, Die jungen Damen waren nun auch mit den Studenten ins Gespräch Aus dem Nebenzimmer drangen blaue Rauchwölkchen herein, und all¬ Unter langem Sträuben war endlich das Sofa von den zwei ältesten Meine erste Gesellschaft die Gesellschaft gemerkt, daß von Vorlesen die Rede war, und nun hieß es Inzwischen hatten sich schon ein paar Herren, mit dem Bier in der Hand, Die jungen Damen waren nun auch mit den Studenten ins Gespräch Aus dem Nebenzimmer drangen blaue Rauchwölkchen herein, und all¬ Unter langem Sträuben war endlich das Sofa von den zwei ältesten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212809"/> <fw type="header" place="top"> Meine erste Gesellschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_1114" prev="#ID_1113"> die Gesellschaft gemerkt, daß von Vorlesen die Rede war, und nun hieß es<lb/> überall: Ach ja! ach bitte! Aber schließlich las doch nicht Andrea vor, sondern<lb/> einer der Chemiker meines Mannes deklamirte ein kölnisches Gedicht im Frank¬<lb/> furter Dialekt, wobei er erklärte, eine Stelle auslassen zu müssen. Die Wir¬<lb/> kung war sehr gering, wenn auch manchmal gelacht wurde, und er seine Sache<lb/> an sich ganz gut machte. Nur Professor Lechler, der „Lautschieber," wie ihn<lb/> mein Mann immer nannte, stürzte sich auf den Studenten und ließ sich ein<lb/> Paar Worte wiederholen, um sich dann in ein eifriges grammatisches Gespräch<lb/> mit dem beglückten jungen Manne zu vertiefen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1115"> Inzwischen hatten sich schon ein paar Herren, mit dem Bier in der Hand,<lb/> das ich hatte herumreichen lassen, in meines Mannes Zimmer zurückgezogen.<lb/> Bring doch die Bilder von unserer Reise! flüsterte ich Werner zu. Er nickte,<lb/> bot aber erst den Herren trübe.n Cigarren an. Dann brachte er die Photo¬<lb/> graphien, und ich zeigte Frau Förstemmm ein Paar, über die ich mit ihr<lb/> vorher gesprochen hatte. Ein paar der ältern Damen sahen mit hinein, aber<lb/> mehr neugierig als aus Interesse. Frau Hofrat Marvth kannte alle, und zu<lb/> meiner großen Freude stimmten wir sehr in unsern Liebhabereien überein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1116"> Die jungen Damen waren nun auch mit den Studenten ins Gespräch<lb/> gekommen. Der jüngste, ein „nett" aussehender, aber etwas ungelenkiger<lb/> junger Mensch, der mit seinen langen Gliedmaßen nirgends zu bleiben wußte,<lb/> hing stumm an Elschens Zügen, die sich fein und regelmäßig, wie aus<lb/> Marmor gebildet, gegen die Lampe abhoben. Schuster unterhielt sich mit<lb/> Frau Professor Pfister über eine Reise nach London, die er zur Besichtigung<lb/> irgend welcher Anstalten auf Kosten der Negierung machen wollte. Ich reichte<lb/> ihm eines der Bilder, eines der schönsten von Luini; aber er legte es ziemlich<lb/> gleichgültig vor sich hin und ließ kurz darnach einen großen Viertropfen auf<lb/> das Brokatgewand der heiligen Katharina fallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1117"> Aus dem Nebenzimmer drangen blaue Rauchwölkchen herein, und all¬<lb/> mählich zog sich von den noch übrigen Herren einer nach dem andern hinüber.<lb/> Die gewandteren verabschiedeten sich leicht scherzend, die unbeholfeneren standen<lb/> erst Tantalusqualen aus. Ihre Nasen zogen den feinen Duft ein, aber ihre<lb/> Füße fanden sich nicht von der Stelle. Aber endlich waren anch sie wie kleine<lb/> Eisenstttckchen dem Magnet zugeflogen, und in beiden Zimmern trat tiefer<lb/> Friede ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1118" next="#ID_1119"> Unter langem Sträuben war endlich das Sofa von den zwei ältesten<lb/> Damen besetzt worden; die andern gruppirten sich nur den Tisch. Von den<lb/> Gewändern auf den Bildern ging das Gespräch auf die Kleider über. Darf<lb/> man fragen, wer Ihr reizendes Kleid gemacht hat, Frau Lechler? — Ach ja,<lb/> bitte! Ich wäre auch sehr dankbar für eine gute Schneiderin! Man bekommt<lb/> hier wirklich gar nichts ordentliches! ^- Ja, ich lasse auch sämtliche Kostüms<lb/> fertig aus Berlin kommen! — Aus Berlin? Lohnt sich dem: das? — Ja,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0333]
Meine erste Gesellschaft
die Gesellschaft gemerkt, daß von Vorlesen die Rede war, und nun hieß es
überall: Ach ja! ach bitte! Aber schließlich las doch nicht Andrea vor, sondern
einer der Chemiker meines Mannes deklamirte ein kölnisches Gedicht im Frank¬
furter Dialekt, wobei er erklärte, eine Stelle auslassen zu müssen. Die Wir¬
kung war sehr gering, wenn auch manchmal gelacht wurde, und er seine Sache
an sich ganz gut machte. Nur Professor Lechler, der „Lautschieber," wie ihn
mein Mann immer nannte, stürzte sich auf den Studenten und ließ sich ein
Paar Worte wiederholen, um sich dann in ein eifriges grammatisches Gespräch
mit dem beglückten jungen Manne zu vertiefen.
Inzwischen hatten sich schon ein paar Herren, mit dem Bier in der Hand,
das ich hatte herumreichen lassen, in meines Mannes Zimmer zurückgezogen.
Bring doch die Bilder von unserer Reise! flüsterte ich Werner zu. Er nickte,
bot aber erst den Herren trübe.n Cigarren an. Dann brachte er die Photo¬
graphien, und ich zeigte Frau Förstemmm ein Paar, über die ich mit ihr
vorher gesprochen hatte. Ein paar der ältern Damen sahen mit hinein, aber
mehr neugierig als aus Interesse. Frau Hofrat Marvth kannte alle, und zu
meiner großen Freude stimmten wir sehr in unsern Liebhabereien überein.
Die jungen Damen waren nun auch mit den Studenten ins Gespräch
gekommen. Der jüngste, ein „nett" aussehender, aber etwas ungelenkiger
junger Mensch, der mit seinen langen Gliedmaßen nirgends zu bleiben wußte,
hing stumm an Elschens Zügen, die sich fein und regelmäßig, wie aus
Marmor gebildet, gegen die Lampe abhoben. Schuster unterhielt sich mit
Frau Professor Pfister über eine Reise nach London, die er zur Besichtigung
irgend welcher Anstalten auf Kosten der Negierung machen wollte. Ich reichte
ihm eines der Bilder, eines der schönsten von Luini; aber er legte es ziemlich
gleichgültig vor sich hin und ließ kurz darnach einen großen Viertropfen auf
das Brokatgewand der heiligen Katharina fallen.
Aus dem Nebenzimmer drangen blaue Rauchwölkchen herein, und all¬
mählich zog sich von den noch übrigen Herren einer nach dem andern hinüber.
Die gewandteren verabschiedeten sich leicht scherzend, die unbeholfeneren standen
erst Tantalusqualen aus. Ihre Nasen zogen den feinen Duft ein, aber ihre
Füße fanden sich nicht von der Stelle. Aber endlich waren anch sie wie kleine
Eisenstttckchen dem Magnet zugeflogen, und in beiden Zimmern trat tiefer
Friede ein.
Unter langem Sträuben war endlich das Sofa von den zwei ältesten
Damen besetzt worden; die andern gruppirten sich nur den Tisch. Von den
Gewändern auf den Bildern ging das Gespräch auf die Kleider über. Darf
man fragen, wer Ihr reizendes Kleid gemacht hat, Frau Lechler? — Ach ja,
bitte! Ich wäre auch sehr dankbar für eine gute Schneiderin! Man bekommt
hier wirklich gar nichts ordentliches! ^- Ja, ich lasse auch sämtliche Kostüms
fertig aus Berlin kommen! — Aus Berlin? Lohnt sich dem: das? — Ja,
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