Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Meine erste Gesellschaft Anscheinend sehr zufrieden, liebenswürdig plaudernd, führte jeder Herr Unterdessen hatte Christine ihre Runde begonnen, und die Unterhaltung Immer eifriger bethätigte sich Christine am Tische. Bald rasselte ein Löffel So ging es flott weiter und vorwärts. -- Er steht! flüsterte sie mir, Meine erste Gesellschaft Anscheinend sehr zufrieden, liebenswürdig plaudernd, führte jeder Herr Unterdessen hatte Christine ihre Runde begonnen, und die Unterhaltung Immer eifriger bethätigte sich Christine am Tische. Bald rasselte ein Löffel So ging es flott weiter und vorwärts. — Er steht! flüsterte sie mir, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212807"/> <fw type="header" place="top"> Meine erste Gesellschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_1105"> Anscheinend sehr zufrieden, liebenswürdig plaudernd, führte jeder Herr<lb/> seine Düne ins Nebenzimmer, das still und kühl des nahenden Getümmels<lb/> harrte. Die kleine Elfe Lorentz sah in ihrem einfachen, weißen Kleide, aus dem<lb/> ihr rosiges Kindergesicht wie ein Äpfelchen hervorblickte, entzückend aus,<lb/> Schuster hatte sie als Tischdame. Ich konnte nicht begreifen, daß das muntre<lb/> und gescheite Mädchen ihn nicht mehr interessirte. Auf seiner andern Seite<lb/> saß die reiche Frau Förstemann; sie war die Witwe eines berühmten Mediziners<lb/> und hatte zu Hause ein paar „Lenbachs," die zu sehen nicht jeder zugelassen<lb/> wurde. Frau Förstemann hätte sich zwar, wie mir schien, viel lieber mit<lb/> ihrem Tischherrn, dem Literarhistoriker, unterhalten, aber Schuster riß nicht<lb/> ab und war unerschöpflich in Kunstausstellungsnotizen. Ich sah, daß sich ein<lb/> leiser Schimmer der Enttäuschung auf Elses Gesichtchen legte, und nickte ihr<lb/> durch das Blumen- und Flaschcngcwirr zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1106"> Unterdessen hatte Christine ihre Runde begonnen, und die Unterhaltung<lb/> zog sich wie ein dünner Faden um den Tisch. Man sprach von der herrlichen<lb/> Umgebung der Stadt, von Reisen, von unserm kümmerlichen Theater und<lb/> natürlich! — vom Kaiser. Recht übel war der Professor Pfister daran;<lb/> seine Tischdame zeigte ihm fortwährend ihr zierlich mnlocktes Hinterköpfchen.<lb/> Sie war in ein Gespräch mit ihrem rechten Nachbar geraten, dem mehrere<lb/> Umhersitzende, die selbst nicht recht in Fluß kommen konnten, mit tiefstem<lb/> Interesse zuhörten. Zur Linken hatte er eine englische Freundin von uns,<lb/> die auf alles uur: Ul meinen Sie? oder On jäh! antwortete. Vergeblich be¬<lb/> mühte er sich, anderswo seinen Haken einzuschlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1107"> Immer eifriger bethätigte sich Christine am Tische. Bald rasselte ein Löffel<lb/> oder eine Gabel zu Boden, bald rückte eine Dame vor einem drohenden Saucen¬<lb/> guß zur Seite. Einmal sah ich, wie Frau Zeisig mit graziösen Griff ihrem<lb/> Nachbar einen Petersilienzweig, der aus der Fischschüssel gelegen hatte, lächelnd<lb/> von der Schulter nahm. Aber Christine ließ sich durch nichts verblüffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1108"> So ging es flott weiter und vorwärts. — Er steht! flüsterte sie mir,<lb/> beim Wegnehmen der Vratenteller, mit einem strahlenden Blick zu; und bald<lb/> darauf trug sie mit verklärtem Angesicht den Pudding herein. Ich streifte<lb/> ihn flüchtig mit den Augen, anscheinend mit dein gleichgültigsten Gesicht von<lb/> der Welt; aber mein Hausfrauenherz schwoll vor Freude. Braun und steif<lb/> ragte er aus der Platte empor. Rührend sah das Schaf herab, das mit ge¬<lb/> kreuzten Beinen auf seinem Gipfel lag. Christine hatte in ihrer Begeisterung<lb/> vergessen, einen Löffel dazu zu legen, und hielt stumm lächelnd die Platte der<lb/> ersten besten Dame hin; es war Mrs. Hughs. Zum erstenmale kam in ihr<lb/> unbewegliches Gesicht Ausdruck. Hilflos starrte sie auf das fromme Lamm,<lb/> und über ihre schmalen Lippen drang es fast unhörbar: Uoo? — Einen<lb/> Löffel, Christine! stammelte ich. — Jesses Mareie! rief sie und stürzte an<lb/> den Schrank.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
Meine erste Gesellschaft
Anscheinend sehr zufrieden, liebenswürdig plaudernd, führte jeder Herr
seine Düne ins Nebenzimmer, das still und kühl des nahenden Getümmels
harrte. Die kleine Elfe Lorentz sah in ihrem einfachen, weißen Kleide, aus dem
ihr rosiges Kindergesicht wie ein Äpfelchen hervorblickte, entzückend aus,
Schuster hatte sie als Tischdame. Ich konnte nicht begreifen, daß das muntre
und gescheite Mädchen ihn nicht mehr interessirte. Auf seiner andern Seite
saß die reiche Frau Förstemann; sie war die Witwe eines berühmten Mediziners
und hatte zu Hause ein paar „Lenbachs," die zu sehen nicht jeder zugelassen
wurde. Frau Förstemann hätte sich zwar, wie mir schien, viel lieber mit
ihrem Tischherrn, dem Literarhistoriker, unterhalten, aber Schuster riß nicht
ab und war unerschöpflich in Kunstausstellungsnotizen. Ich sah, daß sich ein
leiser Schimmer der Enttäuschung auf Elses Gesichtchen legte, und nickte ihr
durch das Blumen- und Flaschcngcwirr zu.
Unterdessen hatte Christine ihre Runde begonnen, und die Unterhaltung
zog sich wie ein dünner Faden um den Tisch. Man sprach von der herrlichen
Umgebung der Stadt, von Reisen, von unserm kümmerlichen Theater und
natürlich! — vom Kaiser. Recht übel war der Professor Pfister daran;
seine Tischdame zeigte ihm fortwährend ihr zierlich mnlocktes Hinterköpfchen.
Sie war in ein Gespräch mit ihrem rechten Nachbar geraten, dem mehrere
Umhersitzende, die selbst nicht recht in Fluß kommen konnten, mit tiefstem
Interesse zuhörten. Zur Linken hatte er eine englische Freundin von uns,
die auf alles uur: Ul meinen Sie? oder On jäh! antwortete. Vergeblich be¬
mühte er sich, anderswo seinen Haken einzuschlagen.
Immer eifriger bethätigte sich Christine am Tische. Bald rasselte ein Löffel
oder eine Gabel zu Boden, bald rückte eine Dame vor einem drohenden Saucen¬
guß zur Seite. Einmal sah ich, wie Frau Zeisig mit graziösen Griff ihrem
Nachbar einen Petersilienzweig, der aus der Fischschüssel gelegen hatte, lächelnd
von der Schulter nahm. Aber Christine ließ sich durch nichts verblüffen.
So ging es flott weiter und vorwärts. — Er steht! flüsterte sie mir,
beim Wegnehmen der Vratenteller, mit einem strahlenden Blick zu; und bald
darauf trug sie mit verklärtem Angesicht den Pudding herein. Ich streifte
ihn flüchtig mit den Augen, anscheinend mit dein gleichgültigsten Gesicht von
der Welt; aber mein Hausfrauenherz schwoll vor Freude. Braun und steif
ragte er aus der Platte empor. Rührend sah das Schaf herab, das mit ge¬
kreuzten Beinen auf seinem Gipfel lag. Christine hatte in ihrer Begeisterung
vergessen, einen Löffel dazu zu legen, und hielt stumm lächelnd die Platte der
ersten besten Dame hin; es war Mrs. Hughs. Zum erstenmale kam in ihr
unbewegliches Gesicht Ausdruck. Hilflos starrte sie auf das fromme Lamm,
und über ihre schmalen Lippen drang es fast unhörbar: Uoo? — Einen
Löffel, Christine! stammelte ich. — Jesses Mareie! rief sie und stürzte an
den Schrank.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |