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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Meine erste Gesellschaft

so viel wie möglich mit einem mal abmachen! Diese kleinen "gemütlichen"
Abende machen eben so viel Umstände und Kosten und sind auch nichts netteres.
Eine große Abfütterung ist das allerbeste. Und nicht ohne Pathos setzte er
hinzu: Du mußt die Kulturerfahrungen, die die Menschheit schon gemacht hat,
dankbar hinnehmen und nicht immer alles uoch einmal selbständig durch-
experimentiren wollen!

Ich schwieg etwas kleinlaut und mußte ihm im Gründe Recht geben;
denu wir hatten uns in der That in den kleineren Gesellschaften mehr ge¬
langweilt. So wurde denn die "Schlacht" auf den übernächstem Freitag Abend
angesetzt.

Mein Mann hatte mir dringend geraten, einen Lohndiener zu nehmen;
aber solch ein befracktes Symbol der wohldressirtcn Steifheit und Langenweile
konnte ich nicht brauchen. Überdies wollte ich auch sparen und meinem Manne
zeigen, was ich aus Christinen, meiner "schwarzen Perle," zu machen verstünde;
langsam wollte ich ihr alles nach und nach beibringen. Als wir daher zu
Mittag gegessen hatten, rief ich sie mir herein, um ihr zunächst einen Begriff
vom Serviren zu geben. Sie sah mir freundlich lächelnd zu, indem sie sich
mit dem Rücken am Ofen scheuerte. Ich wollte ihr sagen, daß sich das nicht
schicke; aber da siel mir ein, daß sie doch ein ganzes Jahr älter sei als ich,
und so schwieg ich schüchtern. Ich zeigte ihr nun alles mehrere male aus¬
führlich. Haben Sie mich verstanden? fragte ich. Jo! sagte sie, indem sie
mich freundlich anlächelte. Und wenn es jemand nicht bemerkt, daß sie ihm
anbieten, so sagen Sie: Darf ich bitten? Christine sah mich ungläubig an:
Dus werdet sie scho merke, wemmer doch beim Esse isch! Aber man unter¬
hält sich doch auch! warf ich ein. Das schien sie uicht zu begreifen.

Mein Herz klopfte doch etwas bei dem Gedanken, wie alles vorübergehen
würde, besonders da ein paar sehr anspruchsvolle Kollegen kamen. Und gar
ein Geheimrat mit Frau! Mein Kopf schwindelte. Vor so etwas, hatte ich
immer besondre Angst; denn mein Murr behauptete, ich lernte nie einen Extra-
vrdincirinS von einem Geheimen Hofrat unterscheiden, ich hätte kein Organ
dafür. Wirklich hatte ich einmal zu einer sehr jung aussehenden Geheimrätin
"Frau Doktor" gesagt!

Ich entwarf mir nun einen Plan, was ich alles den andern Gesellschaften
gegenüber andern wollte. Vor allen Dingen das erwartungsvolle, hungrige
Herumstehen vor dein Essen, bei dem kein Mensch etwas wirkliches sagt, sondern
nur mit den Lippen spricht. Da sollte man auf die von blühenden Glheinien um¬
rankte Veranda hinaustreten; wenn dann von den nahen Bergen der frische
Walddnft herüberwehte und die Amseln aus der Ferne dazu sangen, so mußte
ja allen das Herz aufgehen, und die Gesellschaft war von vornherein in eine
schone Stimmung versetzt. Dann wollte ich die Wichtigkeit des Essens so viel
wie möglich verhüllen. Nichts war mir peinlicher, als wenn ich bei andern


Meine erste Gesellschaft

so viel wie möglich mit einem mal abmachen! Diese kleinen „gemütlichen"
Abende machen eben so viel Umstände und Kosten und sind auch nichts netteres.
Eine große Abfütterung ist das allerbeste. Und nicht ohne Pathos setzte er
hinzu: Du mußt die Kulturerfahrungen, die die Menschheit schon gemacht hat,
dankbar hinnehmen und nicht immer alles uoch einmal selbständig durch-
experimentiren wollen!

Ich schwieg etwas kleinlaut und mußte ihm im Gründe Recht geben;
denu wir hatten uns in der That in den kleineren Gesellschaften mehr ge¬
langweilt. So wurde denn die „Schlacht" auf den übernächstem Freitag Abend
angesetzt.

Mein Mann hatte mir dringend geraten, einen Lohndiener zu nehmen;
aber solch ein befracktes Symbol der wohldressirtcn Steifheit und Langenweile
konnte ich nicht brauchen. Überdies wollte ich auch sparen und meinem Manne
zeigen, was ich aus Christinen, meiner „schwarzen Perle," zu machen verstünde;
langsam wollte ich ihr alles nach und nach beibringen. Als wir daher zu
Mittag gegessen hatten, rief ich sie mir herein, um ihr zunächst einen Begriff
vom Serviren zu geben. Sie sah mir freundlich lächelnd zu, indem sie sich
mit dem Rücken am Ofen scheuerte. Ich wollte ihr sagen, daß sich das nicht
schicke; aber da siel mir ein, daß sie doch ein ganzes Jahr älter sei als ich,
und so schwieg ich schüchtern. Ich zeigte ihr nun alles mehrere male aus¬
führlich. Haben Sie mich verstanden? fragte ich. Jo! sagte sie, indem sie
mich freundlich anlächelte. Und wenn es jemand nicht bemerkt, daß sie ihm
anbieten, so sagen Sie: Darf ich bitten? Christine sah mich ungläubig an:
Dus werdet sie scho merke, wemmer doch beim Esse isch! Aber man unter¬
hält sich doch auch! warf ich ein. Das schien sie uicht zu begreifen.

Mein Herz klopfte doch etwas bei dem Gedanken, wie alles vorübergehen
würde, besonders da ein paar sehr anspruchsvolle Kollegen kamen. Und gar
ein Geheimrat mit Frau! Mein Kopf schwindelte. Vor so etwas, hatte ich
immer besondre Angst; denn mein Murr behauptete, ich lernte nie einen Extra-
vrdincirinS von einem Geheimen Hofrat unterscheiden, ich hätte kein Organ
dafür. Wirklich hatte ich einmal zu einer sehr jung aussehenden Geheimrätin
„Frau Doktor" gesagt!

Ich entwarf mir nun einen Plan, was ich alles den andern Gesellschaften
gegenüber andern wollte. Vor allen Dingen das erwartungsvolle, hungrige
Herumstehen vor dein Essen, bei dem kein Mensch etwas wirkliches sagt, sondern
nur mit den Lippen spricht. Da sollte man auf die von blühenden Glheinien um¬
rankte Veranda hinaustreten; wenn dann von den nahen Bergen der frische
Walddnft herüberwehte und die Amseln aus der Ferne dazu sangen, so mußte
ja allen das Herz aufgehen, und die Gesellschaft war von vornherein in eine
schone Stimmung versetzt. Dann wollte ich die Wichtigkeit des Essens so viel
wie möglich verhüllen. Nichts war mir peinlicher, als wenn ich bei andern


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[0327] Meine erste Gesellschaft so viel wie möglich mit einem mal abmachen! Diese kleinen „gemütlichen" Abende machen eben so viel Umstände und Kosten und sind auch nichts netteres. Eine große Abfütterung ist das allerbeste. Und nicht ohne Pathos setzte er hinzu: Du mußt die Kulturerfahrungen, die die Menschheit schon gemacht hat, dankbar hinnehmen und nicht immer alles uoch einmal selbständig durch- experimentiren wollen! Ich schwieg etwas kleinlaut und mußte ihm im Gründe Recht geben; denu wir hatten uns in der That in den kleineren Gesellschaften mehr ge¬ langweilt. So wurde denn die „Schlacht" auf den übernächstem Freitag Abend angesetzt. Mein Mann hatte mir dringend geraten, einen Lohndiener zu nehmen; aber solch ein befracktes Symbol der wohldressirtcn Steifheit und Langenweile konnte ich nicht brauchen. Überdies wollte ich auch sparen und meinem Manne zeigen, was ich aus Christinen, meiner „schwarzen Perle," zu machen verstünde; langsam wollte ich ihr alles nach und nach beibringen. Als wir daher zu Mittag gegessen hatten, rief ich sie mir herein, um ihr zunächst einen Begriff vom Serviren zu geben. Sie sah mir freundlich lächelnd zu, indem sie sich mit dem Rücken am Ofen scheuerte. Ich wollte ihr sagen, daß sich das nicht schicke; aber da siel mir ein, daß sie doch ein ganzes Jahr älter sei als ich, und so schwieg ich schüchtern. Ich zeigte ihr nun alles mehrere male aus¬ führlich. Haben Sie mich verstanden? fragte ich. Jo! sagte sie, indem sie mich freundlich anlächelte. Und wenn es jemand nicht bemerkt, daß sie ihm anbieten, so sagen Sie: Darf ich bitten? Christine sah mich ungläubig an: Dus werdet sie scho merke, wemmer doch beim Esse isch! Aber man unter¬ hält sich doch auch! warf ich ein. Das schien sie uicht zu begreifen. Mein Herz klopfte doch etwas bei dem Gedanken, wie alles vorübergehen würde, besonders da ein paar sehr anspruchsvolle Kollegen kamen. Und gar ein Geheimrat mit Frau! Mein Kopf schwindelte. Vor so etwas, hatte ich immer besondre Angst; denn mein Murr behauptete, ich lernte nie einen Extra- vrdincirinS von einem Geheimen Hofrat unterscheiden, ich hätte kein Organ dafür. Wirklich hatte ich einmal zu einer sehr jung aussehenden Geheimrätin „Frau Doktor" gesagt! Ich entwarf mir nun einen Plan, was ich alles den andern Gesellschaften gegenüber andern wollte. Vor allen Dingen das erwartungsvolle, hungrige Herumstehen vor dein Essen, bei dem kein Mensch etwas wirkliches sagt, sondern nur mit den Lippen spricht. Da sollte man auf die von blühenden Glheinien um¬ rankte Veranda hinaustreten; wenn dann von den nahen Bergen der frische Walddnft herüberwehte und die Amseln aus der Ferne dazu sangen, so mußte ja allen das Herz aufgehen, und die Gesellschaft war von vornherein in eine schone Stimmung versetzt. Dann wollte ich die Wichtigkeit des Essens so viel wie möglich verhüllen. Nichts war mir peinlicher, als wenn ich bei andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/327>, abgerufen am 06.01.2025.