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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

Schwaben denn toll geworden wären, und ob das etwa ein neuer Schwaben¬
streich sein solle, die befreundete Stadt niederzuschießen, für nichts und wider
nichts, eine ganze Bürgerschaft unglücklich zu machen und das Kind in der
Wiege zu töten. Ich sollte ihr aus den Augen gehen, ich sollte mich schämen,
wir wären tausendmal garstiger als die Preußen. Wenn sie das gewußt
hätte! Drei Tage lang hätte man diese Krautschwaben gefüttert und ihnen die
besten Bissen zugesteckt, und zum Dank dafür schössen sie einem das Dach
über dem Kopfe zusammen. Tölpel warens, sonst thäten sie so was nicht.
Sie sollten doch auf die Pickelhauben zielen, aber Dächer freilich, die wären
leichter zu treffen. Man hätte ja auf die Preußen schießen können, ehe sie
in die Stadt gekommen wären. Wenns Kerle wären, diese Württemberger,
und keine Kraut- und Knöpfleschwaben, hätten sie die Preußen gar uicht ins
Land gelassen; sie hätten nur die Augen offen halten dürfen, die Schlafmützen.
Wenn sie aber nichts thun wollten, als badischen Landeskindern ihr Eigentum
verderben, Hütten sie zum bübischer Ländle drauß bleiben können.

Noch lange ergoß sich wie eine losgelaßne Schleuße der Strom ihrer
zornigen Rede über mich, der ich uicht wußte, ob sie Recht oder Unrecht hatte,
und in peinlicher Verlegenheit stumm vor ihr stand. Zugleich mußte ich daran
denken, daß ich erst vor wenigen Stunden an ihrem Tisch zu Mittag gegessen
hatte, und wie freundlich sie da gegen mich gewesen war.

Der Bäcker stimmte jedoch seiner Frau nicht bei. Er meinte, daß sie
übertreibe, daß die Stadt ja gar nicht zusammengeschossen würde, wenn auch
ein paar Ziegel zerbrochen würden; so genau könne mans im Kriege nicht
nehmen. Ein wenig vorsichtiger könnten sie ja schießen, aber schimpfen solle
man über die Württemberger nicht, wenigstens fürchteten sie sich nicht, und
den Preußen hätten sie heute Respekt eingeflößt; auf so hartnäckigen Wider¬
stand seien diese im ganzen Kriege noch nicht gestoßen. Die Badischen, die
hätten es freilich gut. die wichen immer auf die Seite. An den Soldaten
läge es nicht, die wären unzufrieden genng; aber ihr -- nun man wisse, was
darüber zu sagen sei.

Der Professor verwies dem Bueler diese Rede. Dem Schießen nach sei
das Thal hinunter heute ebenfalls ernst gekümpft worden, und dort stünde
doch die badische Division.

Mit dem Ernst würde es nicht weit her sein, erwiderte der Bueler
spöttisch.

Dann würf umso besser! rief der Professor erhitzt. Die Menschen¬
schlächterei heute habe keinen Sinn und keinen Zweck; man wisse, daß der
Krieg bereits entschieden sei, daß die paar süddeutschen Soldaten daran nichts
ändern könnten. Wenn mau sie nun doch ins Feuer führe, so sei das die
verbrecherischste Tollheit, wie sie noch nie dagewesen sei. Der Prinz von
Baden verdiene die höchste Anerkennung dafür, daß er seine Leute schone.


Weltgeschichte in Hinterwinkel

Schwaben denn toll geworden wären, und ob das etwa ein neuer Schwaben¬
streich sein solle, die befreundete Stadt niederzuschießen, für nichts und wider
nichts, eine ganze Bürgerschaft unglücklich zu machen und das Kind in der
Wiege zu töten. Ich sollte ihr aus den Augen gehen, ich sollte mich schämen,
wir wären tausendmal garstiger als die Preußen. Wenn sie das gewußt
hätte! Drei Tage lang hätte man diese Krautschwaben gefüttert und ihnen die
besten Bissen zugesteckt, und zum Dank dafür schössen sie einem das Dach
über dem Kopfe zusammen. Tölpel warens, sonst thäten sie so was nicht.
Sie sollten doch auf die Pickelhauben zielen, aber Dächer freilich, die wären
leichter zu treffen. Man hätte ja auf die Preußen schießen können, ehe sie
in die Stadt gekommen wären. Wenns Kerle wären, diese Württemberger,
und keine Kraut- und Knöpfleschwaben, hätten sie die Preußen gar uicht ins
Land gelassen; sie hätten nur die Augen offen halten dürfen, die Schlafmützen.
Wenn sie aber nichts thun wollten, als badischen Landeskindern ihr Eigentum
verderben, Hütten sie zum bübischer Ländle drauß bleiben können.

Noch lange ergoß sich wie eine losgelaßne Schleuße der Strom ihrer
zornigen Rede über mich, der ich uicht wußte, ob sie Recht oder Unrecht hatte,
und in peinlicher Verlegenheit stumm vor ihr stand. Zugleich mußte ich daran
denken, daß ich erst vor wenigen Stunden an ihrem Tisch zu Mittag gegessen
hatte, und wie freundlich sie da gegen mich gewesen war.

Der Bäcker stimmte jedoch seiner Frau nicht bei. Er meinte, daß sie
übertreibe, daß die Stadt ja gar nicht zusammengeschossen würde, wenn auch
ein paar Ziegel zerbrochen würden; so genau könne mans im Kriege nicht
nehmen. Ein wenig vorsichtiger könnten sie ja schießen, aber schimpfen solle
man über die Württemberger nicht, wenigstens fürchteten sie sich nicht, und
den Preußen hätten sie heute Respekt eingeflößt; auf so hartnäckigen Wider¬
stand seien diese im ganzen Kriege noch nicht gestoßen. Die Badischen, die
hätten es freilich gut. die wichen immer auf die Seite. An den Soldaten
läge es nicht, die wären unzufrieden genng; aber ihr — nun man wisse, was
darüber zu sagen sei.

Der Professor verwies dem Bueler diese Rede. Dem Schießen nach sei
das Thal hinunter heute ebenfalls ernst gekümpft worden, und dort stünde
doch die badische Division.

Mit dem Ernst würde es nicht weit her sein, erwiderte der Bueler
spöttisch.

Dann würf umso besser! rief der Professor erhitzt. Die Menschen¬
schlächterei heute habe keinen Sinn und keinen Zweck; man wisse, daß der
Krieg bereits entschieden sei, daß die paar süddeutschen Soldaten daran nichts
ändern könnten. Wenn mau sie nun doch ins Feuer führe, so sei das die
verbrecherischste Tollheit, wie sie noch nie dagewesen sei. Der Prinz von
Baden verdiene die höchste Anerkennung dafür, daß er seine Leute schone.


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[0323] Weltgeschichte in Hinterwinkel Schwaben denn toll geworden wären, und ob das etwa ein neuer Schwaben¬ streich sein solle, die befreundete Stadt niederzuschießen, für nichts und wider nichts, eine ganze Bürgerschaft unglücklich zu machen und das Kind in der Wiege zu töten. Ich sollte ihr aus den Augen gehen, ich sollte mich schämen, wir wären tausendmal garstiger als die Preußen. Wenn sie das gewußt hätte! Drei Tage lang hätte man diese Krautschwaben gefüttert und ihnen die besten Bissen zugesteckt, und zum Dank dafür schössen sie einem das Dach über dem Kopfe zusammen. Tölpel warens, sonst thäten sie so was nicht. Sie sollten doch auf die Pickelhauben zielen, aber Dächer freilich, die wären leichter zu treffen. Man hätte ja auf die Preußen schießen können, ehe sie in die Stadt gekommen wären. Wenns Kerle wären, diese Württemberger, und keine Kraut- und Knöpfleschwaben, hätten sie die Preußen gar uicht ins Land gelassen; sie hätten nur die Augen offen halten dürfen, die Schlafmützen. Wenn sie aber nichts thun wollten, als badischen Landeskindern ihr Eigentum verderben, Hütten sie zum bübischer Ländle drauß bleiben können. Noch lange ergoß sich wie eine losgelaßne Schleuße der Strom ihrer zornigen Rede über mich, der ich uicht wußte, ob sie Recht oder Unrecht hatte, und in peinlicher Verlegenheit stumm vor ihr stand. Zugleich mußte ich daran denken, daß ich erst vor wenigen Stunden an ihrem Tisch zu Mittag gegessen hatte, und wie freundlich sie da gegen mich gewesen war. Der Bäcker stimmte jedoch seiner Frau nicht bei. Er meinte, daß sie übertreibe, daß die Stadt ja gar nicht zusammengeschossen würde, wenn auch ein paar Ziegel zerbrochen würden; so genau könne mans im Kriege nicht nehmen. Ein wenig vorsichtiger könnten sie ja schießen, aber schimpfen solle man über die Württemberger nicht, wenigstens fürchteten sie sich nicht, und den Preußen hätten sie heute Respekt eingeflößt; auf so hartnäckigen Wider¬ stand seien diese im ganzen Kriege noch nicht gestoßen. Die Badischen, die hätten es freilich gut. die wichen immer auf die Seite. An den Soldaten läge es nicht, die wären unzufrieden genng; aber ihr — nun man wisse, was darüber zu sagen sei. Der Professor verwies dem Bueler diese Rede. Dem Schießen nach sei das Thal hinunter heute ebenfalls ernst gekümpft worden, und dort stünde doch die badische Division. Mit dem Ernst würde es nicht weit her sein, erwiderte der Bueler spöttisch. Dann würf umso besser! rief der Professor erhitzt. Die Menschen¬ schlächterei heute habe keinen Sinn und keinen Zweck; man wisse, daß der Krieg bereits entschieden sei, daß die paar süddeutschen Soldaten daran nichts ändern könnten. Wenn mau sie nun doch ins Feuer führe, so sei das die verbrecherischste Tollheit, wie sie noch nie dagewesen sei. Der Prinz von Baden verdiene die höchste Anerkennung dafür, daß er seine Leute schone.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/323>, abgerufen am 08.01.2025.