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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

Während dieser Vorgänge schafften andre Soldaten, den Fluß durch¬
watend, Patronen ans jenseitige Ufer, wo hinter einer Kapelle und an den
Gartenzäunen und Straßenecken entlang ihre Kameraden lagen und sich um
die Mordgeschosse rissen wie Verhungernde um Brot. Zugleich fielen wieder
Schüsse, und aufmerksam gemacht, sah ich von den naheliegenden jenseitigen
Thalwanduugeu die württembergischen Truppen in großer Zahl aus den Seiten¬
thälern hervorrücken, in geschloßnen Kolonnen.

Die Dickköpfe haben noch nicht genug! hörte ich die hohe und schnei¬
dende Stimme eines preußischen Obersten rufen. Dann erschollen von allen
Seite" Kvmmandorufe, und aus den preußischen Zündnadelgewehren brach ein
so massenhaftes Schnellfeuer los und mit solchem Geknatter, daß die Luft zu
zittern schien. Ganze Reihen meiner Landsleute stürzten und schlugen platt
auf die Straße hin, daß es zum Erbarmen war.

Sie stutzten auch einen Augenblick, aber nicht länger. Todesmutig, mit
tausendfachem Hurra warfen sie sich auf den Feind unter dem unaufhör¬
lichen Donner von mehr als vierzig Grvbgeschützen. Ein Mordschauspiel that
sich vor mir auf, schanervoll, meine kühnsten Phantasien übertreffend.

Da -- eben unterscheide ich noch ein einzelnes preußisches Kommando: Zur
Attacke! Das Gewehr rechts! Füllt das Gewehr, marsch, marsch! -- da ge¬
schieht ein Klirren über mir, ein Krachen und Pfeifen, dann ein Knistern und
Prasseln, und wie wir in die Höhe sehn, steht das über unserm Heuschuppen
aufgebalkte Korn in lichterlohem Brand. Erstickender Rauch erfüllt die Scheuer,
und Funken fallen ins Heu, das sich nun ebenfalls entzündet.

Wir sprangen auf die Tenne hinunter und taumelten hinaus ins Freie.
Ich hatte den Kopf ganz verloren, besinnungslos eilte ich durch die Straße.
Grnnntstücke und Ziegelsteine fielen vor mir und hinter mir ans den Boden.

Plötzlich thut sich eine Hausthür auf, ein Arm greift heraus und zieht
mich hinein, zerrt mich durch einen dunkeln Gang und eine steinerne Treppe
hinunter, und da stehe ich vor hellem Lampenlicht in einem wohlversehenen
Keller unter Menschen jedes Geschlechts und Alters. Ich befand mich in dem
Keller des Bäckerhauses, wo Lienhard Neichenbühler in Quartier gelegen hatte,
und dessen Besitzer, da er mein Leben in Gefahr sah, mich menschenfreundlich
von der unheimlichen Straße weggenommen hatte.

Das ganze Haus hatte sich in dem unterirdischen Raume znsammcn-
gcflüchtet, außer der zahlreichen Familie des Bäckers zwei Mietfamilien, die
eines Gymnnsialprvfcssors und eine andre, arme Leute aus den Mansarden.
Das Ganze bot wahrlich keinen erfreulichen Anblick dar. Die Weiber und
Kinder heulten und jammerten oder beteten, was sich nicht viel davon unter¬
schied; die Männer wechselten Reden, wie sie die Gelegenheit gab. Mich
empfing man in einer Weise, die mich sehr überraschte. Die dicke Bäckerfrau
unterbrach ihre Jmnmertöne und Stoßgebete und fuhr mich an, ob wir


Weltgeschichte in Hinterwinkel

Während dieser Vorgänge schafften andre Soldaten, den Fluß durch¬
watend, Patronen ans jenseitige Ufer, wo hinter einer Kapelle und an den
Gartenzäunen und Straßenecken entlang ihre Kameraden lagen und sich um
die Mordgeschosse rissen wie Verhungernde um Brot. Zugleich fielen wieder
Schüsse, und aufmerksam gemacht, sah ich von den naheliegenden jenseitigen
Thalwanduugeu die württembergischen Truppen in großer Zahl aus den Seiten¬
thälern hervorrücken, in geschloßnen Kolonnen.

Die Dickköpfe haben noch nicht genug! hörte ich die hohe und schnei¬
dende Stimme eines preußischen Obersten rufen. Dann erschollen von allen
Seite» Kvmmandorufe, und aus den preußischen Zündnadelgewehren brach ein
so massenhaftes Schnellfeuer los und mit solchem Geknatter, daß die Luft zu
zittern schien. Ganze Reihen meiner Landsleute stürzten und schlugen platt
auf die Straße hin, daß es zum Erbarmen war.

Sie stutzten auch einen Augenblick, aber nicht länger. Todesmutig, mit
tausendfachem Hurra warfen sie sich auf den Feind unter dem unaufhör¬
lichen Donner von mehr als vierzig Grvbgeschützen. Ein Mordschauspiel that
sich vor mir auf, schanervoll, meine kühnsten Phantasien übertreffend.

Da — eben unterscheide ich noch ein einzelnes preußisches Kommando: Zur
Attacke! Das Gewehr rechts! Füllt das Gewehr, marsch, marsch! — da ge¬
schieht ein Klirren über mir, ein Krachen und Pfeifen, dann ein Knistern und
Prasseln, und wie wir in die Höhe sehn, steht das über unserm Heuschuppen
aufgebalkte Korn in lichterlohem Brand. Erstickender Rauch erfüllt die Scheuer,
und Funken fallen ins Heu, das sich nun ebenfalls entzündet.

Wir sprangen auf die Tenne hinunter und taumelten hinaus ins Freie.
Ich hatte den Kopf ganz verloren, besinnungslos eilte ich durch die Straße.
Grnnntstücke und Ziegelsteine fielen vor mir und hinter mir ans den Boden.

Plötzlich thut sich eine Hausthür auf, ein Arm greift heraus und zieht
mich hinein, zerrt mich durch einen dunkeln Gang und eine steinerne Treppe
hinunter, und da stehe ich vor hellem Lampenlicht in einem wohlversehenen
Keller unter Menschen jedes Geschlechts und Alters. Ich befand mich in dem
Keller des Bäckerhauses, wo Lienhard Neichenbühler in Quartier gelegen hatte,
und dessen Besitzer, da er mein Leben in Gefahr sah, mich menschenfreundlich
von der unheimlichen Straße weggenommen hatte.

Das ganze Haus hatte sich in dem unterirdischen Raume znsammcn-
gcflüchtet, außer der zahlreichen Familie des Bäckers zwei Mietfamilien, die
eines Gymnnsialprvfcssors und eine andre, arme Leute aus den Mansarden.
Das Ganze bot wahrlich keinen erfreulichen Anblick dar. Die Weiber und
Kinder heulten und jammerten oder beteten, was sich nicht viel davon unter¬
schied; die Männer wechselten Reden, wie sie die Gelegenheit gab. Mich
empfing man in einer Weise, die mich sehr überraschte. Die dicke Bäckerfrau
unterbrach ihre Jmnmertöne und Stoßgebete und fuhr mich an, ob wir


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[0322] Weltgeschichte in Hinterwinkel Während dieser Vorgänge schafften andre Soldaten, den Fluß durch¬ watend, Patronen ans jenseitige Ufer, wo hinter einer Kapelle und an den Gartenzäunen und Straßenecken entlang ihre Kameraden lagen und sich um die Mordgeschosse rissen wie Verhungernde um Brot. Zugleich fielen wieder Schüsse, und aufmerksam gemacht, sah ich von den naheliegenden jenseitigen Thalwanduugeu die württembergischen Truppen in großer Zahl aus den Seiten¬ thälern hervorrücken, in geschloßnen Kolonnen. Die Dickköpfe haben noch nicht genug! hörte ich die hohe und schnei¬ dende Stimme eines preußischen Obersten rufen. Dann erschollen von allen Seite» Kvmmandorufe, und aus den preußischen Zündnadelgewehren brach ein so massenhaftes Schnellfeuer los und mit solchem Geknatter, daß die Luft zu zittern schien. Ganze Reihen meiner Landsleute stürzten und schlugen platt auf die Straße hin, daß es zum Erbarmen war. Sie stutzten auch einen Augenblick, aber nicht länger. Todesmutig, mit tausendfachem Hurra warfen sie sich auf den Feind unter dem unaufhör¬ lichen Donner von mehr als vierzig Grvbgeschützen. Ein Mordschauspiel that sich vor mir auf, schanervoll, meine kühnsten Phantasien übertreffend. Da — eben unterscheide ich noch ein einzelnes preußisches Kommando: Zur Attacke! Das Gewehr rechts! Füllt das Gewehr, marsch, marsch! — da ge¬ schieht ein Klirren über mir, ein Krachen und Pfeifen, dann ein Knistern und Prasseln, und wie wir in die Höhe sehn, steht das über unserm Heuschuppen aufgebalkte Korn in lichterlohem Brand. Erstickender Rauch erfüllt die Scheuer, und Funken fallen ins Heu, das sich nun ebenfalls entzündet. Wir sprangen auf die Tenne hinunter und taumelten hinaus ins Freie. Ich hatte den Kopf ganz verloren, besinnungslos eilte ich durch die Straße. Grnnntstücke und Ziegelsteine fielen vor mir und hinter mir ans den Boden. Plötzlich thut sich eine Hausthür auf, ein Arm greift heraus und zieht mich hinein, zerrt mich durch einen dunkeln Gang und eine steinerne Treppe hinunter, und da stehe ich vor hellem Lampenlicht in einem wohlversehenen Keller unter Menschen jedes Geschlechts und Alters. Ich befand mich in dem Keller des Bäckerhauses, wo Lienhard Neichenbühler in Quartier gelegen hatte, und dessen Besitzer, da er mein Leben in Gefahr sah, mich menschenfreundlich von der unheimlichen Straße weggenommen hatte. Das ganze Haus hatte sich in dem unterirdischen Raume znsammcn- gcflüchtet, außer der zahlreichen Familie des Bäckers zwei Mietfamilien, die eines Gymnnsialprvfcssors und eine andre, arme Leute aus den Mansarden. Das Ganze bot wahrlich keinen erfreulichen Anblick dar. Die Weiber und Kinder heulten und jammerten oder beteten, was sich nicht viel davon unter¬ schied; die Männer wechselten Reden, wie sie die Gelegenheit gab. Mich empfing man in einer Weise, die mich sehr überraschte. Die dicke Bäckerfrau unterbrach ihre Jmnmertöne und Stoßgebete und fuhr mich an, ob wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/322>, abgerufen am 06.01.2025.