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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

bis in unser Heu geworfen. Wir sahen einander bleich an; jeder dankte Gott,
daß er nicht getroffen worden war.

Doch ließen draußen die Schüsse schon wieder nach. Wir faßten uns des¬
halb ein Herz und näherten uns der zerrißnett Wand, durch deren Klaffnng
ein unheimlich rötliches Licht eindrang. Zwei brennende Häuser jenseits des
Flusses fielen uns zuerst auf. Dann gewahrten wir mit Schrecken, daß unsre
Scheune hart am Schauplatze des Gefechts lag, kaum zehn Schritte vom Flu߬
ufer, keine hundert von der Brücke entfernt, um die sich der Kampf drehte.
Um den Brückenkopf schien es sich hauptsächlich zu handeln. Wir sahen aber,
so weit das Gesicht reichte, nur Pickelhauben.

Im Augenblick fiel kein Schuß mehr; aber andre noch weniger erfreuliche
Laute trafen unser Ohr. Mark und Bein erschütterndes Winseln und Wim¬
mern, dumpfes Stöhnen und dazwischen einzelne wilde Schmerzensschreie, vor
denen mir das Haar zu Berge stand, drangen in unsern Schlupfwinkel. Die
Granate, vor der Scheune geplatzt, hatte zwei preußische Soldaten grüßlich
verstümmelt, dem einen den Leib aufgerissen und dem andern den Arm mit
samt dem Schulterblatt abgeschlagen. Wir sahen sie auf eine Bahre legen
und davontragen. Mein Leben lang werde ich den Anblick uicht vergessen.

So heftig sich meine Phantasie nach dem Schauspiel gesehnt hatte, so
genug hatte ich nun davon. Aber vergebens wünschte ich nun den .Kriegs¬
erlebnissen ein baldiges Ende. Ich hatte den Becher begehrt, freventlich, nur
meiner kindischen Laune folgend, hatte ich ihn an meine Lippen gerissen, nun
mußte ich ihn auch trinken bis zur Neige.

(Fortsetzung folgt)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Weltgeschichte in Hinterwinkel

bis in unser Heu geworfen. Wir sahen einander bleich an; jeder dankte Gott,
daß er nicht getroffen worden war.

Doch ließen draußen die Schüsse schon wieder nach. Wir faßten uns des¬
halb ein Herz und näherten uns der zerrißnett Wand, durch deren Klaffnng
ein unheimlich rötliches Licht eindrang. Zwei brennende Häuser jenseits des
Flusses fielen uns zuerst auf. Dann gewahrten wir mit Schrecken, daß unsre
Scheune hart am Schauplatze des Gefechts lag, kaum zehn Schritte vom Flu߬
ufer, keine hundert von der Brücke entfernt, um die sich der Kampf drehte.
Um den Brückenkopf schien es sich hauptsächlich zu handeln. Wir sahen aber,
so weit das Gesicht reichte, nur Pickelhauben.

Im Augenblick fiel kein Schuß mehr; aber andre noch weniger erfreuliche
Laute trafen unser Ohr. Mark und Bein erschütterndes Winseln und Wim¬
mern, dumpfes Stöhnen und dazwischen einzelne wilde Schmerzensschreie, vor
denen mir das Haar zu Berge stand, drangen in unsern Schlupfwinkel. Die
Granate, vor der Scheune geplatzt, hatte zwei preußische Soldaten grüßlich
verstümmelt, dem einen den Leib aufgerissen und dem andern den Arm mit
samt dem Schulterblatt abgeschlagen. Wir sahen sie auf eine Bahre legen
und davontragen. Mein Leben lang werde ich den Anblick uicht vergessen.

So heftig sich meine Phantasie nach dem Schauspiel gesehnt hatte, so
genug hatte ich nun davon. Aber vergebens wünschte ich nun den .Kriegs¬
erlebnissen ein baldiges Ende. Ich hatte den Becher begehrt, freventlich, nur
meiner kindischen Laune folgend, hatte ich ihn an meine Lippen gerissen, nun
mußte ich ihn auch trinken bis zur Neige.

(Fortsetzung folgt)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0296] Weltgeschichte in Hinterwinkel bis in unser Heu geworfen. Wir sahen einander bleich an; jeder dankte Gott, daß er nicht getroffen worden war. Doch ließen draußen die Schüsse schon wieder nach. Wir faßten uns des¬ halb ein Herz und näherten uns der zerrißnett Wand, durch deren Klaffnng ein unheimlich rötliches Licht eindrang. Zwei brennende Häuser jenseits des Flusses fielen uns zuerst auf. Dann gewahrten wir mit Schrecken, daß unsre Scheune hart am Schauplatze des Gefechts lag, kaum zehn Schritte vom Flu߬ ufer, keine hundert von der Brücke entfernt, um die sich der Kampf drehte. Um den Brückenkopf schien es sich hauptsächlich zu handeln. Wir sahen aber, so weit das Gesicht reichte, nur Pickelhauben. Im Augenblick fiel kein Schuß mehr; aber andre noch weniger erfreuliche Laute trafen unser Ohr. Mark und Bein erschütterndes Winseln und Wim¬ mern, dumpfes Stöhnen und dazwischen einzelne wilde Schmerzensschreie, vor denen mir das Haar zu Berge stand, drangen in unsern Schlupfwinkel. Die Granate, vor der Scheune geplatzt, hatte zwei preußische Soldaten grüßlich verstümmelt, dem einen den Leib aufgerissen und dem andern den Arm mit samt dem Schulterblatt abgeschlagen. Wir sahen sie auf eine Bahre legen und davontragen. Mein Leben lang werde ich den Anblick uicht vergessen. So heftig sich meine Phantasie nach dem Schauspiel gesehnt hatte, so genug hatte ich nun davon. Aber vergebens wünschte ich nun den .Kriegs¬ erlebnissen ein baldiges Ende. Ich hatte den Becher begehrt, freventlich, nur meiner kindischen Laune folgend, hatte ich ihn an meine Lippen gerissen, nun mußte ich ihn auch trinken bis zur Neige. (Fortsetzung folgt) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/296>, abgerufen am 06.01.2025.