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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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pannonische Bilder

gegenkommen der ungarischen Bahnen für billiges Reisegeld ein Alpenland
von gewaltigen: und eigenartigem Charakter. Was sie hier besonders aus¬
zeichnet, ist das nahe Veisammenliegeu der wesentlichen Punkte, sodaß ein
dreitägiger Aufenthalt an Ort und Stelle schon in ausgiebigster Weise lohnt.
Man macht die drei Tatrabäder (Tntra-Furet, Uj und Also-Tatra-Furet),
die der Deutsche unter dem Gesamtbegriff Schmecks kennt, zum Ausgangspunkt.
Dann steigt man gewöhnlich in dem Gehänge und deu Zwischenthälern der
großen Spitzen herum, die sich hier zu mächtigen Abstürzen nach Süden
sammeln, während sie sich nach Norden in einem weiten Bvrbergland ver¬
lieren. Von Osten nach Westen sind es die Lomnitzer, die Schlagendorfer,
die Gersdorfer und die Tatraspitze. Man schließt mit dem See von Czorba,
dem größten und am weitesten ins Thal vorgeschobnen der unzähligen Alpen¬
seen, die die Tatra bedecken, und die man dort wunderlicherweise, so völlig vom
Meere abgelegen, im Volksmunde "Meeraugeu" nennt. An den Spitzen hat sich
der Fürwitz des Sports noch nicht viel gerieben. Sie geben keine angemeßnen
Höhen zum Einschneiden in die Bergstöcke, welcher Bergfex würde sich mit
der Höhe der Zugspitze zufrieden geben? sind aber zum "Abstürzen" äußerst
bequem eingerichtet und werden jedenfalls seltener "genommen" als die großen
Alpenfirnen. Gemsen und Edelweiß fehlen nicht. Die Staffage ist da, es
fehlen nur die Katastrophen. Immer rauf, meine Herrschaften vom deutsch-
österreichischen Alpenverein!

Schön gesagt, wenn es ginge! Was ich mir vorläufig mit Gefahr meines
Lebens oben geholt habe, sind Zahnschmerzen und nasse Füße. Nebenan im
Spielsaal wird auf ungarisch Billard gespielt und dicht neben mir auf slo¬
wakisch die L^vallörm rustiv-um. Es ist noch gar nichts gegen das, was ich
gestern Abend in Poprad im Nu-i erlebte, wo ein großes militärisches
Blechorchcster die Wände eines "Kursaals" von der Größe eines geräumigen
Taubenschlags von ungarischen Rhapsodien erdröhnen ließ. Und die Ungarn
überdrvhnten es noch mit Eljen und Händeklatschen. Gesegnete pannonische
Nerven! Wenn ich euch mitnehmen konnte ins "schwäbische" Land! Und die
pannonischen Magen, deren Tüchtigkeit man nach der Größe der Portion
Liptauer bemessen mag, die einem hier vorgesetzt wird. Ach, bei uns giebt
es menschlich und nicht bloß ungarisch lesbare Zeitungen, Bücher, Klaviere
und noch feiner gestimmte Nerven. Alles Dinge, von denen in Tatra-Furet
keine Rede ist. Aber wo findet man Fraihait nngorisches, pannonische Nerven
und pannonische Magen!

Keine Hütte ist hier so -- klein kann man nicht sagen -- aber so dreckig,
in der uns nicht ein durchaus veraltetes Herrenmodebild an die Auslage eines
stark rückschrittlich gesinnten Schneiders gemahnte. Man erwartet in den
Unterschriften die üblichen geheimnisvollen Aufschlüsse über "elegante lange
Herrenröcke aus ig, Bukskin, neueste Herbstmode" (von 1840) oder "eng-


Grenzboten III 1892 Z6
pannonische Bilder

gegenkommen der ungarischen Bahnen für billiges Reisegeld ein Alpenland
von gewaltigen: und eigenartigem Charakter. Was sie hier besonders aus¬
zeichnet, ist das nahe Veisammenliegeu der wesentlichen Punkte, sodaß ein
dreitägiger Aufenthalt an Ort und Stelle schon in ausgiebigster Weise lohnt.
Man macht die drei Tatrabäder (Tntra-Furet, Uj und Also-Tatra-Furet),
die der Deutsche unter dem Gesamtbegriff Schmecks kennt, zum Ausgangspunkt.
Dann steigt man gewöhnlich in dem Gehänge und deu Zwischenthälern der
großen Spitzen herum, die sich hier zu mächtigen Abstürzen nach Süden
sammeln, während sie sich nach Norden in einem weiten Bvrbergland ver¬
lieren. Von Osten nach Westen sind es die Lomnitzer, die Schlagendorfer,
die Gersdorfer und die Tatraspitze. Man schließt mit dem See von Czorba,
dem größten und am weitesten ins Thal vorgeschobnen der unzähligen Alpen¬
seen, die die Tatra bedecken, und die man dort wunderlicherweise, so völlig vom
Meere abgelegen, im Volksmunde „Meeraugeu" nennt. An den Spitzen hat sich
der Fürwitz des Sports noch nicht viel gerieben. Sie geben keine angemeßnen
Höhen zum Einschneiden in die Bergstöcke, welcher Bergfex würde sich mit
der Höhe der Zugspitze zufrieden geben? sind aber zum „Abstürzen" äußerst
bequem eingerichtet und werden jedenfalls seltener „genommen" als die großen
Alpenfirnen. Gemsen und Edelweiß fehlen nicht. Die Staffage ist da, es
fehlen nur die Katastrophen. Immer rauf, meine Herrschaften vom deutsch-
österreichischen Alpenverein!

Schön gesagt, wenn es ginge! Was ich mir vorläufig mit Gefahr meines
Lebens oben geholt habe, sind Zahnschmerzen und nasse Füße. Nebenan im
Spielsaal wird auf ungarisch Billard gespielt und dicht neben mir auf slo¬
wakisch die L^vallörm rustiv-um. Es ist noch gar nichts gegen das, was ich
gestern Abend in Poprad im Nu-i erlebte, wo ein großes militärisches
Blechorchcster die Wände eines „Kursaals" von der Größe eines geräumigen
Taubenschlags von ungarischen Rhapsodien erdröhnen ließ. Und die Ungarn
überdrvhnten es noch mit Eljen und Händeklatschen. Gesegnete pannonische
Nerven! Wenn ich euch mitnehmen konnte ins „schwäbische" Land! Und die
pannonischen Magen, deren Tüchtigkeit man nach der Größe der Portion
Liptauer bemessen mag, die einem hier vorgesetzt wird. Ach, bei uns giebt
es menschlich und nicht bloß ungarisch lesbare Zeitungen, Bücher, Klaviere
und noch feiner gestimmte Nerven. Alles Dinge, von denen in Tatra-Furet
keine Rede ist. Aber wo findet man Fraihait nngorisches, pannonische Nerven
und pannonische Magen!

Keine Hütte ist hier so — klein kann man nicht sagen — aber so dreckig,
in der uns nicht ein durchaus veraltetes Herrenmodebild an die Auslage eines
stark rückschrittlich gesinnten Schneiders gemahnte. Man erwartet in den
Unterschriften die üblichen geheimnisvollen Aufschlüsse über „elegante lange
Herrenröcke aus ig, Bukskin, neueste Herbstmode" (von 1840) oder „eng-


Grenzboten III 1892 Z6
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[0289] pannonische Bilder gegenkommen der ungarischen Bahnen für billiges Reisegeld ein Alpenland von gewaltigen: und eigenartigem Charakter. Was sie hier besonders aus¬ zeichnet, ist das nahe Veisammenliegeu der wesentlichen Punkte, sodaß ein dreitägiger Aufenthalt an Ort und Stelle schon in ausgiebigster Weise lohnt. Man macht die drei Tatrabäder (Tntra-Furet, Uj und Also-Tatra-Furet), die der Deutsche unter dem Gesamtbegriff Schmecks kennt, zum Ausgangspunkt. Dann steigt man gewöhnlich in dem Gehänge und deu Zwischenthälern der großen Spitzen herum, die sich hier zu mächtigen Abstürzen nach Süden sammeln, während sie sich nach Norden in einem weiten Bvrbergland ver¬ lieren. Von Osten nach Westen sind es die Lomnitzer, die Schlagendorfer, die Gersdorfer und die Tatraspitze. Man schließt mit dem See von Czorba, dem größten und am weitesten ins Thal vorgeschobnen der unzähligen Alpen¬ seen, die die Tatra bedecken, und die man dort wunderlicherweise, so völlig vom Meere abgelegen, im Volksmunde „Meeraugeu" nennt. An den Spitzen hat sich der Fürwitz des Sports noch nicht viel gerieben. Sie geben keine angemeßnen Höhen zum Einschneiden in die Bergstöcke, welcher Bergfex würde sich mit der Höhe der Zugspitze zufrieden geben? sind aber zum „Abstürzen" äußerst bequem eingerichtet und werden jedenfalls seltener „genommen" als die großen Alpenfirnen. Gemsen und Edelweiß fehlen nicht. Die Staffage ist da, es fehlen nur die Katastrophen. Immer rauf, meine Herrschaften vom deutsch- österreichischen Alpenverein! Schön gesagt, wenn es ginge! Was ich mir vorläufig mit Gefahr meines Lebens oben geholt habe, sind Zahnschmerzen und nasse Füße. Nebenan im Spielsaal wird auf ungarisch Billard gespielt und dicht neben mir auf slo¬ wakisch die L^vallörm rustiv-um. Es ist noch gar nichts gegen das, was ich gestern Abend in Poprad im Nu-i erlebte, wo ein großes militärisches Blechorchcster die Wände eines „Kursaals" von der Größe eines geräumigen Taubenschlags von ungarischen Rhapsodien erdröhnen ließ. Und die Ungarn überdrvhnten es noch mit Eljen und Händeklatschen. Gesegnete pannonische Nerven! Wenn ich euch mitnehmen konnte ins „schwäbische" Land! Und die pannonischen Magen, deren Tüchtigkeit man nach der Größe der Portion Liptauer bemessen mag, die einem hier vorgesetzt wird. Ach, bei uns giebt es menschlich und nicht bloß ungarisch lesbare Zeitungen, Bücher, Klaviere und noch feiner gestimmte Nerven. Alles Dinge, von denen in Tatra-Furet keine Rede ist. Aber wo findet man Fraihait nngorisches, pannonische Nerven und pannonische Magen! Keine Hütte ist hier so — klein kann man nicht sagen — aber so dreckig, in der uns nicht ein durchaus veraltetes Herrenmodebild an die Auslage eines stark rückschrittlich gesinnten Schneiders gemahnte. Man erwartet in den Unterschriften die üblichen geheimnisvollen Aufschlüsse über „elegante lange Herrenröcke aus ig, Bukskin, neueste Herbstmode" (von 1840) oder „eng- Grenzboten III 1892 Z6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/289>, abgerufen am 06.01.2025.