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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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könnten. Daß die Rassenmischung nicht ausbleibt, dafür sorgen die Zigeune¬
rinnen. Schmutzig blondes Haar auf so einem Zigeunerschädel wirkt hoch¬
komisch. Am Vetteln beteiligt sich übrigens die blonde Rasse ebenso ausgiebig,
wie die schwarze. Doch wird es durchaus gesondert besorgt. Die Bauern¬
kinder haben ihren Anger, und die Zigeunerkinder kriechen unter den Treppen
und Einfahrten der Herberge herum. Auch bei Schlägereien bleibt man unter
sich, was gewiß die freundlichste Gestaltung der Rassenabsonderung bedeutet.

Die stolzeste Erscheinung in diesen Dörfern sind die jungen Burschen,
eine Art Szlachta und freie Adelsgenosscnschaft, die in der Herberge repräsentirt,
faul herumsteht, raucht, trinkt, schwatzt und spielt. Kräftige, kühne Gestalten
mit einer Art Rest von einem Panzer um Brust und Hüften, einem Gurt¬
gehänge, das in vier, fünf Reihen mit ringsherum laufenden Messingplatten
beschlagen ist. Einen andern Zweck, als martialisches Aussehn zu befördern,
scheint die Sache nicht zu haben. Die Burschen scheinen harmloser, als unsre
Oberbaiern. Einer Rauferei habe ich nicht beigewohnt. Fürs Boxen wäre
jener Gurtpanzer gewiß ein trefflicher Schutz der zumeist bedrohten edlern
Teile. Die einzige thätliche Auseinandersetzung, deren ich ansichtig wurde,
lief sehr zahm ab, als nämlich die Herbergswirtin einen der Dorfelegauts, der
sich allzu nahe an ihrem Holzverschlag, dem Berschleißorte ihrer Cigarren und
Spirituosen, zu schassen machte, mit einem energischen Ruck zur Seite abwarf.
Der junge Ritter taumelte, fiel unter dem unbändigen Gelächter seiner Genossen
und stand mit einem slawischen Kosewort, das sich nicht gut wiedergeben läßt,
wieder auf. Ju Pasing wäre dies das Zeichen zu einer ungeheuern Kellerei
gewesen.

Die Holzverschläge sind stehend in den großen Herbergsstuben. Sogar
die Küche, die sich auch darin befindet, hat einen solchen. Das Holz ist überall
in mächtigen Bohlen aufgeschichtet. Von kolossaler Größe sind auch die an
den Wänden hängenden Steingutgefäße. Der Eindruck des Urzeitmäßigen,
Prähistorischen wird in diesen Blockhütten vollständig. Neben den Herbergen
befindet sich ein Holzschober, Schuppen oder Stadel, dessen ganze Querwand
aus beweglichen Flügeln besteht. Er dient, soviel ich sehn konnte, lediglich
der Unterkunft der Fuhrwerke, die mit Sack und Pack, auch mit den Fnhr-
güsten, wem: sie es nicht vorziehn, auszusteigen, hier einfahren und angeschirrt
stehen bleiben. Viel Rast brauchen diese Bergpferde nicht. Es ist zu ver¬
wundern, wie sie die halsbrecherischen Kehren bei jeder einigermaßen erträg¬
lichen Steigung im Trab und bergab im Karriere zurücklegen. Zwei schief¬
geschlitzte Fenster über der Einfahrt, die an Mongolenaugen erinnern, habe
ich bei diesen Stationen stehend vorgefunden.

Die hohe Tatra, schon ganz allgemein als Vergland betrachtet, kann sich
wohl mit den schönsten Partien der besuchtesten Gebirgsländer messen. Den
Ostdeutschen bietet sie in verhältnismäßiger Nähe und bei dem großen Ent-


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könnten. Daß die Rassenmischung nicht ausbleibt, dafür sorgen die Zigeune¬
rinnen. Schmutzig blondes Haar auf so einem Zigeunerschädel wirkt hoch¬
komisch. Am Vetteln beteiligt sich übrigens die blonde Rasse ebenso ausgiebig,
wie die schwarze. Doch wird es durchaus gesondert besorgt. Die Bauern¬
kinder haben ihren Anger, und die Zigeunerkinder kriechen unter den Treppen
und Einfahrten der Herberge herum. Auch bei Schlägereien bleibt man unter
sich, was gewiß die freundlichste Gestaltung der Rassenabsonderung bedeutet.

Die stolzeste Erscheinung in diesen Dörfern sind die jungen Burschen,
eine Art Szlachta und freie Adelsgenosscnschaft, die in der Herberge repräsentirt,
faul herumsteht, raucht, trinkt, schwatzt und spielt. Kräftige, kühne Gestalten
mit einer Art Rest von einem Panzer um Brust und Hüften, einem Gurt¬
gehänge, das in vier, fünf Reihen mit ringsherum laufenden Messingplatten
beschlagen ist. Einen andern Zweck, als martialisches Aussehn zu befördern,
scheint die Sache nicht zu haben. Die Burschen scheinen harmloser, als unsre
Oberbaiern. Einer Rauferei habe ich nicht beigewohnt. Fürs Boxen wäre
jener Gurtpanzer gewiß ein trefflicher Schutz der zumeist bedrohten edlern
Teile. Die einzige thätliche Auseinandersetzung, deren ich ansichtig wurde,
lief sehr zahm ab, als nämlich die Herbergswirtin einen der Dorfelegauts, der
sich allzu nahe an ihrem Holzverschlag, dem Berschleißorte ihrer Cigarren und
Spirituosen, zu schassen machte, mit einem energischen Ruck zur Seite abwarf.
Der junge Ritter taumelte, fiel unter dem unbändigen Gelächter seiner Genossen
und stand mit einem slawischen Kosewort, das sich nicht gut wiedergeben läßt,
wieder auf. Ju Pasing wäre dies das Zeichen zu einer ungeheuern Kellerei
gewesen.

Die Holzverschläge sind stehend in den großen Herbergsstuben. Sogar
die Küche, die sich auch darin befindet, hat einen solchen. Das Holz ist überall
in mächtigen Bohlen aufgeschichtet. Von kolossaler Größe sind auch die an
den Wänden hängenden Steingutgefäße. Der Eindruck des Urzeitmäßigen,
Prähistorischen wird in diesen Blockhütten vollständig. Neben den Herbergen
befindet sich ein Holzschober, Schuppen oder Stadel, dessen ganze Querwand
aus beweglichen Flügeln besteht. Er dient, soviel ich sehn konnte, lediglich
der Unterkunft der Fuhrwerke, die mit Sack und Pack, auch mit den Fnhr-
güsten, wem: sie es nicht vorziehn, auszusteigen, hier einfahren und angeschirrt
stehen bleiben. Viel Rast brauchen diese Bergpferde nicht. Es ist zu ver¬
wundern, wie sie die halsbrecherischen Kehren bei jeder einigermaßen erträg¬
lichen Steigung im Trab und bergab im Karriere zurücklegen. Zwei schief¬
geschlitzte Fenster über der Einfahrt, die an Mongolenaugen erinnern, habe
ich bei diesen Stationen stehend vorgefunden.

Die hohe Tatra, schon ganz allgemein als Vergland betrachtet, kann sich
wohl mit den schönsten Partien der besuchtesten Gebirgsländer messen. Den
Ostdeutschen bietet sie in verhältnismäßiger Nähe und bei dem großen Ent-


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[0288] Pannoiiische Bilder könnten. Daß die Rassenmischung nicht ausbleibt, dafür sorgen die Zigeune¬ rinnen. Schmutzig blondes Haar auf so einem Zigeunerschädel wirkt hoch¬ komisch. Am Vetteln beteiligt sich übrigens die blonde Rasse ebenso ausgiebig, wie die schwarze. Doch wird es durchaus gesondert besorgt. Die Bauern¬ kinder haben ihren Anger, und die Zigeunerkinder kriechen unter den Treppen und Einfahrten der Herberge herum. Auch bei Schlägereien bleibt man unter sich, was gewiß die freundlichste Gestaltung der Rassenabsonderung bedeutet. Die stolzeste Erscheinung in diesen Dörfern sind die jungen Burschen, eine Art Szlachta und freie Adelsgenosscnschaft, die in der Herberge repräsentirt, faul herumsteht, raucht, trinkt, schwatzt und spielt. Kräftige, kühne Gestalten mit einer Art Rest von einem Panzer um Brust und Hüften, einem Gurt¬ gehänge, das in vier, fünf Reihen mit ringsherum laufenden Messingplatten beschlagen ist. Einen andern Zweck, als martialisches Aussehn zu befördern, scheint die Sache nicht zu haben. Die Burschen scheinen harmloser, als unsre Oberbaiern. Einer Rauferei habe ich nicht beigewohnt. Fürs Boxen wäre jener Gurtpanzer gewiß ein trefflicher Schutz der zumeist bedrohten edlern Teile. Die einzige thätliche Auseinandersetzung, deren ich ansichtig wurde, lief sehr zahm ab, als nämlich die Herbergswirtin einen der Dorfelegauts, der sich allzu nahe an ihrem Holzverschlag, dem Berschleißorte ihrer Cigarren und Spirituosen, zu schassen machte, mit einem energischen Ruck zur Seite abwarf. Der junge Ritter taumelte, fiel unter dem unbändigen Gelächter seiner Genossen und stand mit einem slawischen Kosewort, das sich nicht gut wiedergeben läßt, wieder auf. Ju Pasing wäre dies das Zeichen zu einer ungeheuern Kellerei gewesen. Die Holzverschläge sind stehend in den großen Herbergsstuben. Sogar die Küche, die sich auch darin befindet, hat einen solchen. Das Holz ist überall in mächtigen Bohlen aufgeschichtet. Von kolossaler Größe sind auch die an den Wänden hängenden Steingutgefäße. Der Eindruck des Urzeitmäßigen, Prähistorischen wird in diesen Blockhütten vollständig. Neben den Herbergen befindet sich ein Holzschober, Schuppen oder Stadel, dessen ganze Querwand aus beweglichen Flügeln besteht. Er dient, soviel ich sehn konnte, lediglich der Unterkunft der Fuhrwerke, die mit Sack und Pack, auch mit den Fnhr- güsten, wem: sie es nicht vorziehn, auszusteigen, hier einfahren und angeschirrt stehen bleiben. Viel Rast brauchen diese Bergpferde nicht. Es ist zu ver¬ wundern, wie sie die halsbrecherischen Kehren bei jeder einigermaßen erträg¬ lichen Steigung im Trab und bergab im Karriere zurücklegen. Zwei schief¬ geschlitzte Fenster über der Einfahrt, die an Mongolenaugen erinnern, habe ich bei diesen Stationen stehend vorgefunden. Die hohe Tatra, schon ganz allgemein als Vergland betrachtet, kann sich wohl mit den schönsten Partien der besuchtesten Gebirgsländer messen. Den Ostdeutschen bietet sie in verhältnismäßiger Nähe und bei dem großen Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/288>, abgerufen am 08.01.2025.