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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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pamwnische Bilder

härtesten Panzer und durchschnitten die festeste Kette, kein Arm ermüdete, der
solch ein Schwert führte, und am Abend des Tages färbten Ströme von Blut
die grünen Flächen, und darauf blinkten hell und rein und ohne Flecken die
glänzenden Schwerter der Freiheit.

Kann ein Viehhändler ein Symbolist sein? Und ist ein Schlachthof wohl
das geeignete milieu zum Ausspinnen so tiefsinniger Bilder für das Höchste
und Heiligste, was Menschenbrust bewegt? Ihr aufregenden Farben des
Ungarnbauners, wie beruhigend erscheint ihr mir, seit ich diese unbewußte
Deutung eures etwas stark allgegenwärtigen Zaubers kenne! Und das edle
Volk, das mit dem lieben Vieh zu thun hat, bis herab zum schmutzigsten
Schweinetreiber im Bnkouyiwalde von weiland König David angefangen, der
sich bekanntlich auch beim lieben Vieh auf die Befreiung seines Volks vor¬
bereitete -- wie geistig groß und erhaben erscheint es bei seiner irdisch ange-
dufteten animalischen Beschäftigung! Es ist kein Kompliment für die Regenten,
daß sie bei den Menschen nur die Tyrannei lernen und "vou den Herden"
weggenommen werden müssen, um im Notfall was zu taugen. Ach, alle gute
und edle Frucht auf dieser irdischen Erde braucht recht hundsgemeinen Dünger.
So gedeihen denn auch die beiden edelsten Blüten des Menschengeistes, die
Freiheit und die Poesie, mir "in einem Thal bei armen Hirten," und im Stalle
ward seine heilige Frucht zur Welt gebracht, die alles umfassende Liebe und
göttliche Gerechtigkeit.

Unter dem männlichen Landvolk, das sich in seinen Weißen Wvllkitteln
und hufähulichen schwarzen Sandalen, den unförmigen, schweren schwarzen
Klumpenhut auf dem haarumflatterten, bartlosen Haupte um die Eisenbahu-
zllge herumtreibt, verladen wie sein liebes Vieh zu schwerer, schlecht bezahlter
Hölzer- und Flößerarbeit, unter diesen Halbmenschen und Ganzkerlen findet
sich manches höchst merkwürdige Gesicht. Jedem fällt das auf, der durch diese
Gegenden reist. Es sind Gestalten wie aus den Bildern der alten deutschen
und niederländische!, Meister, die sich um deu gekreuzigten Christus, den auf¬
erweckten Lcizarus oder sonst irgend eine aufregende Szene der biblischen und
evangelischen Geschichte drängen. Tiefernste, kühne, auch trotzige, selbstherrliche
Gesichter von einer ganz eignen, schwer faßlichen und noch schwerer zu er¬
klärenden gebändigten Wildheit. In einzelnen dieser Köpfe erreicht der ab¬
sonderliche Typus eine wunderliche Höhe von uicderschmetterndem, beherrschen¬
den Kraftbewußtsein. Große, geschloßne Bewegungen, unerschütterte Haltung,
starr angespannter, stetiger Ausdruck, das Pathos der Entbehrungssähigkeit
und des Todesmuth. Sie bedürfen nichts. Sie spinnen sich ihren Wollkittel
und ihr grobes Leinenhemd allein, zimmern sich selbst ihre Blockhütte und
schroten selbst den Mais für ihr kärgliches Mahl. Dafür setzen sie ihr Leben
aufs Spiel. Der aufgeregte Fluß rafft sie im Frühjahr zu Scharen dahin
und fordert seine Opfer vollzählig durch das ganze Jahr. Aber sie sind zu-


Gienzboten III 1892 35
pamwnische Bilder

härtesten Panzer und durchschnitten die festeste Kette, kein Arm ermüdete, der
solch ein Schwert führte, und am Abend des Tages färbten Ströme von Blut
die grünen Flächen, und darauf blinkten hell und rein und ohne Flecken die
glänzenden Schwerter der Freiheit.

Kann ein Viehhändler ein Symbolist sein? Und ist ein Schlachthof wohl
das geeignete milieu zum Ausspinnen so tiefsinniger Bilder für das Höchste
und Heiligste, was Menschenbrust bewegt? Ihr aufregenden Farben des
Ungarnbauners, wie beruhigend erscheint ihr mir, seit ich diese unbewußte
Deutung eures etwas stark allgegenwärtigen Zaubers kenne! Und das edle
Volk, das mit dem lieben Vieh zu thun hat, bis herab zum schmutzigsten
Schweinetreiber im Bnkouyiwalde von weiland König David angefangen, der
sich bekanntlich auch beim lieben Vieh auf die Befreiung seines Volks vor¬
bereitete — wie geistig groß und erhaben erscheint es bei seiner irdisch ange-
dufteten animalischen Beschäftigung! Es ist kein Kompliment für die Regenten,
daß sie bei den Menschen nur die Tyrannei lernen und „vou den Herden"
weggenommen werden müssen, um im Notfall was zu taugen. Ach, alle gute
und edle Frucht auf dieser irdischen Erde braucht recht hundsgemeinen Dünger.
So gedeihen denn auch die beiden edelsten Blüten des Menschengeistes, die
Freiheit und die Poesie, mir „in einem Thal bei armen Hirten," und im Stalle
ward seine heilige Frucht zur Welt gebracht, die alles umfassende Liebe und
göttliche Gerechtigkeit.

Unter dem männlichen Landvolk, das sich in seinen Weißen Wvllkitteln
und hufähulichen schwarzen Sandalen, den unförmigen, schweren schwarzen
Klumpenhut auf dem haarumflatterten, bartlosen Haupte um die Eisenbahu-
zllge herumtreibt, verladen wie sein liebes Vieh zu schwerer, schlecht bezahlter
Hölzer- und Flößerarbeit, unter diesen Halbmenschen und Ganzkerlen findet
sich manches höchst merkwürdige Gesicht. Jedem fällt das auf, der durch diese
Gegenden reist. Es sind Gestalten wie aus den Bildern der alten deutschen
und niederländische!, Meister, die sich um deu gekreuzigten Christus, den auf¬
erweckten Lcizarus oder sonst irgend eine aufregende Szene der biblischen und
evangelischen Geschichte drängen. Tiefernste, kühne, auch trotzige, selbstherrliche
Gesichter von einer ganz eignen, schwer faßlichen und noch schwerer zu er¬
klärenden gebändigten Wildheit. In einzelnen dieser Köpfe erreicht der ab¬
sonderliche Typus eine wunderliche Höhe von uicderschmetterndem, beherrschen¬
den Kraftbewußtsein. Große, geschloßne Bewegungen, unerschütterte Haltung,
starr angespannter, stetiger Ausdruck, das Pathos der Entbehrungssähigkeit
und des Todesmuth. Sie bedürfen nichts. Sie spinnen sich ihren Wollkittel
und ihr grobes Leinenhemd allein, zimmern sich selbst ihre Blockhütte und
schroten selbst den Mais für ihr kärgliches Mahl. Dafür setzen sie ihr Leben
aufs Spiel. Der aufgeregte Fluß rafft sie im Frühjahr zu Scharen dahin
und fordert seine Opfer vollzählig durch das ganze Jahr. Aber sie sind zu-


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[0281] pamwnische Bilder härtesten Panzer und durchschnitten die festeste Kette, kein Arm ermüdete, der solch ein Schwert führte, und am Abend des Tages färbten Ströme von Blut die grünen Flächen, und darauf blinkten hell und rein und ohne Flecken die glänzenden Schwerter der Freiheit. Kann ein Viehhändler ein Symbolist sein? Und ist ein Schlachthof wohl das geeignete milieu zum Ausspinnen so tiefsinniger Bilder für das Höchste und Heiligste, was Menschenbrust bewegt? Ihr aufregenden Farben des Ungarnbauners, wie beruhigend erscheint ihr mir, seit ich diese unbewußte Deutung eures etwas stark allgegenwärtigen Zaubers kenne! Und das edle Volk, das mit dem lieben Vieh zu thun hat, bis herab zum schmutzigsten Schweinetreiber im Bnkouyiwalde von weiland König David angefangen, der sich bekanntlich auch beim lieben Vieh auf die Befreiung seines Volks vor¬ bereitete — wie geistig groß und erhaben erscheint es bei seiner irdisch ange- dufteten animalischen Beschäftigung! Es ist kein Kompliment für die Regenten, daß sie bei den Menschen nur die Tyrannei lernen und „vou den Herden" weggenommen werden müssen, um im Notfall was zu taugen. Ach, alle gute und edle Frucht auf dieser irdischen Erde braucht recht hundsgemeinen Dünger. So gedeihen denn auch die beiden edelsten Blüten des Menschengeistes, die Freiheit und die Poesie, mir „in einem Thal bei armen Hirten," und im Stalle ward seine heilige Frucht zur Welt gebracht, die alles umfassende Liebe und göttliche Gerechtigkeit. Unter dem männlichen Landvolk, das sich in seinen Weißen Wvllkitteln und hufähulichen schwarzen Sandalen, den unförmigen, schweren schwarzen Klumpenhut auf dem haarumflatterten, bartlosen Haupte um die Eisenbahu- zllge herumtreibt, verladen wie sein liebes Vieh zu schwerer, schlecht bezahlter Hölzer- und Flößerarbeit, unter diesen Halbmenschen und Ganzkerlen findet sich manches höchst merkwürdige Gesicht. Jedem fällt das auf, der durch diese Gegenden reist. Es sind Gestalten wie aus den Bildern der alten deutschen und niederländische!, Meister, die sich um deu gekreuzigten Christus, den auf¬ erweckten Lcizarus oder sonst irgend eine aufregende Szene der biblischen und evangelischen Geschichte drängen. Tiefernste, kühne, auch trotzige, selbstherrliche Gesichter von einer ganz eignen, schwer faßlichen und noch schwerer zu er¬ klärenden gebändigten Wildheit. In einzelnen dieser Köpfe erreicht der ab¬ sonderliche Typus eine wunderliche Höhe von uicderschmetterndem, beherrschen¬ den Kraftbewußtsein. Große, geschloßne Bewegungen, unerschütterte Haltung, starr angespannter, stetiger Ausdruck, das Pathos der Entbehrungssähigkeit und des Todesmuth. Sie bedürfen nichts. Sie spinnen sich ihren Wollkittel und ihr grobes Leinenhemd allein, zimmern sich selbst ihre Blockhütte und schroten selbst den Mais für ihr kärgliches Mahl. Dafür setzen sie ihr Leben aufs Spiel. Der aufgeregte Fluß rafft sie im Frühjahr zu Scharen dahin und fordert seine Opfer vollzählig durch das ganze Jahr. Aber sie sind zu- Gienzboten III 1892 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/281>, abgerufen am 08.01.2025.