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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Das ärztliche Studium der Frauen

Dann gilt es auf der Universität herzhafte Arbeit. Ich teile nicht die
Ansicht Stöckers, es habe etwas Abschreckendes, zu denken, daß Studentinnen
mit Studenten gemeinsam die Kollegien und Kliniken besuchten, gemeinsam am
Sezirtische stünden. Das junge Mädchen, das sich zum ärztlichen Studium
entschließt, muß sich darüber klar sein, daß sie damit die Pflichten einer öffent¬
lichen Stellung übernimmt, und bereit sein, auch die Unannehmlichkeiten der
Vorbereitung zu tragen. Die Ärztin muß nach Nerven und Willenskraft aus
einem festern Stoffe sein als der größere Teil ihrer Schwestern; was wir
Weiblichkeit nennen und als solche so hoch schätzen, braucht deswegen nicht
verloren zu gehen. Auf die Anfrage der Würzburger medizinischen Fakultät,
"ob und welche Anstünde sich bei der Zulassung von Personen weiblichen
Geschlechts und namentlich aus der Gemeinschaft mit männlichen Studi-
renden bei gewissen, für das weibliche Zartgefühl empfindlichen Vorlesungen
und Demonstrationen ergeben hätten," antwortete der akademische Senat der
Züricher Hochschule: "Die Anwesenheit der weiblichen Studirenden in den theo¬
retischen und praktischen Kursen giebt zu keinerlei Störungen Veranlassung.
Die Vorträge und Demonstrationen werden ohne Rücksicht auf die anwesenden
Damen gehalten, und auch bei den anatomischen Übungen und klinischen Vor¬
weisungen wird der Lehrstoff grundsätzlich so behandelt, wie wenn nur männ¬
liche Zuhörer anwesend wären. Trotzdem hat sich nie ein Anstand ergeben."

Mich dünkt, die Universitäten stellen der deutschen studirenden Jugend ein
unverdient schlechtes Zeugnis aus, wenn sie der Meinung sind, daß einem
Mädchen, das zu medizinischen Studien die Universität besucht, daraus irgend¬
welche Belästigung vonseiten der Studenten erwachsen werde. Unsre heutigen
Studenten, die, wie ihre Grußformen zeigen, vor einander selbst eine unbe¬
grenzte Hochachtung an den Tag legen, werden sich doch zwanzig- bis vierund-
zwanzigjührigen Damen gegenüber gewiß nicht ungeziemend verhalten. Eine
Dame wird freilich den Spötter oder Beleidiger, wenn sich ein solcher finden
sollte, nicht vor die Klinge oder die Pistolenmündnng fordern, aber vielleicht
werden es andre für sie thun; oder noch besser, das Universitätsgericht brauchte
nur einem unnützen Gesellen, der die Achtung vor einem wissenschaftlich stre¬
benden Weib außer Augen setzt, kurzerhand die Wege zu weisen. Aber es
wird schwerlich nötig sein, denn edle Weiblichkeit, fester Wille und ernste Arbeit
wirken auch auf ein rohes Gemüt. Darum spricht sich Professor Vöhmert
zu Zürich nicht bloß entschieden gegen besondre Fraueufachschulen, sondern auch
gegen die Einrichtung besondrer Franenkurse an den bestehenden Universitäten
ans. Die Zahl studirender Frauen wird noch lange Zeit eine viel zu be¬
schränkte sein, als daß sie die Begründung besondrer Frauenkurse rechtfertigen
sollte, auch würde man von den Zöglingen eines Frauenkursus selbstver¬
ständlich geringere Leistungen erwarten. Der letzte Grund erscheint mir be¬
sonders durchschlagend^ uur die Ärztin, die denselben wissenschaftlichen Lehrgang


Grenzboten III 1832 33
Das ärztliche Studium der Frauen

Dann gilt es auf der Universität herzhafte Arbeit. Ich teile nicht die
Ansicht Stöckers, es habe etwas Abschreckendes, zu denken, daß Studentinnen
mit Studenten gemeinsam die Kollegien und Kliniken besuchten, gemeinsam am
Sezirtische stünden. Das junge Mädchen, das sich zum ärztlichen Studium
entschließt, muß sich darüber klar sein, daß sie damit die Pflichten einer öffent¬
lichen Stellung übernimmt, und bereit sein, auch die Unannehmlichkeiten der
Vorbereitung zu tragen. Die Ärztin muß nach Nerven und Willenskraft aus
einem festern Stoffe sein als der größere Teil ihrer Schwestern; was wir
Weiblichkeit nennen und als solche so hoch schätzen, braucht deswegen nicht
verloren zu gehen. Auf die Anfrage der Würzburger medizinischen Fakultät,
„ob und welche Anstünde sich bei der Zulassung von Personen weiblichen
Geschlechts und namentlich aus der Gemeinschaft mit männlichen Studi-
renden bei gewissen, für das weibliche Zartgefühl empfindlichen Vorlesungen
und Demonstrationen ergeben hätten," antwortete der akademische Senat der
Züricher Hochschule: „Die Anwesenheit der weiblichen Studirenden in den theo¬
retischen und praktischen Kursen giebt zu keinerlei Störungen Veranlassung.
Die Vorträge und Demonstrationen werden ohne Rücksicht auf die anwesenden
Damen gehalten, und auch bei den anatomischen Übungen und klinischen Vor¬
weisungen wird der Lehrstoff grundsätzlich so behandelt, wie wenn nur männ¬
liche Zuhörer anwesend wären. Trotzdem hat sich nie ein Anstand ergeben."

Mich dünkt, die Universitäten stellen der deutschen studirenden Jugend ein
unverdient schlechtes Zeugnis aus, wenn sie der Meinung sind, daß einem
Mädchen, das zu medizinischen Studien die Universität besucht, daraus irgend¬
welche Belästigung vonseiten der Studenten erwachsen werde. Unsre heutigen
Studenten, die, wie ihre Grußformen zeigen, vor einander selbst eine unbe¬
grenzte Hochachtung an den Tag legen, werden sich doch zwanzig- bis vierund-
zwanzigjührigen Damen gegenüber gewiß nicht ungeziemend verhalten. Eine
Dame wird freilich den Spötter oder Beleidiger, wenn sich ein solcher finden
sollte, nicht vor die Klinge oder die Pistolenmündnng fordern, aber vielleicht
werden es andre für sie thun; oder noch besser, das Universitätsgericht brauchte
nur einem unnützen Gesellen, der die Achtung vor einem wissenschaftlich stre¬
benden Weib außer Augen setzt, kurzerhand die Wege zu weisen. Aber es
wird schwerlich nötig sein, denn edle Weiblichkeit, fester Wille und ernste Arbeit
wirken auch auf ein rohes Gemüt. Darum spricht sich Professor Vöhmert
zu Zürich nicht bloß entschieden gegen besondre Fraueufachschulen, sondern auch
gegen die Einrichtung besondrer Franenkurse an den bestehenden Universitäten
ans. Die Zahl studirender Frauen wird noch lange Zeit eine viel zu be¬
schränkte sein, als daß sie die Begründung besondrer Frauenkurse rechtfertigen
sollte, auch würde man von den Zöglingen eines Frauenkursus selbstver¬
ständlich geringere Leistungen erwarten. Der letzte Grund erscheint mir be¬
sonders durchschlagend^ uur die Ärztin, die denselben wissenschaftlichen Lehrgang


Grenzboten III 1832 33
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[0265] Das ärztliche Studium der Frauen Dann gilt es auf der Universität herzhafte Arbeit. Ich teile nicht die Ansicht Stöckers, es habe etwas Abschreckendes, zu denken, daß Studentinnen mit Studenten gemeinsam die Kollegien und Kliniken besuchten, gemeinsam am Sezirtische stünden. Das junge Mädchen, das sich zum ärztlichen Studium entschließt, muß sich darüber klar sein, daß sie damit die Pflichten einer öffent¬ lichen Stellung übernimmt, und bereit sein, auch die Unannehmlichkeiten der Vorbereitung zu tragen. Die Ärztin muß nach Nerven und Willenskraft aus einem festern Stoffe sein als der größere Teil ihrer Schwestern; was wir Weiblichkeit nennen und als solche so hoch schätzen, braucht deswegen nicht verloren zu gehen. Auf die Anfrage der Würzburger medizinischen Fakultät, „ob und welche Anstünde sich bei der Zulassung von Personen weiblichen Geschlechts und namentlich aus der Gemeinschaft mit männlichen Studi- renden bei gewissen, für das weibliche Zartgefühl empfindlichen Vorlesungen und Demonstrationen ergeben hätten," antwortete der akademische Senat der Züricher Hochschule: „Die Anwesenheit der weiblichen Studirenden in den theo¬ retischen und praktischen Kursen giebt zu keinerlei Störungen Veranlassung. Die Vorträge und Demonstrationen werden ohne Rücksicht auf die anwesenden Damen gehalten, und auch bei den anatomischen Übungen und klinischen Vor¬ weisungen wird der Lehrstoff grundsätzlich so behandelt, wie wenn nur männ¬ liche Zuhörer anwesend wären. Trotzdem hat sich nie ein Anstand ergeben." Mich dünkt, die Universitäten stellen der deutschen studirenden Jugend ein unverdient schlechtes Zeugnis aus, wenn sie der Meinung sind, daß einem Mädchen, das zu medizinischen Studien die Universität besucht, daraus irgend¬ welche Belästigung vonseiten der Studenten erwachsen werde. Unsre heutigen Studenten, die, wie ihre Grußformen zeigen, vor einander selbst eine unbe¬ grenzte Hochachtung an den Tag legen, werden sich doch zwanzig- bis vierund- zwanzigjührigen Damen gegenüber gewiß nicht ungeziemend verhalten. Eine Dame wird freilich den Spötter oder Beleidiger, wenn sich ein solcher finden sollte, nicht vor die Klinge oder die Pistolenmündnng fordern, aber vielleicht werden es andre für sie thun; oder noch besser, das Universitätsgericht brauchte nur einem unnützen Gesellen, der die Achtung vor einem wissenschaftlich stre¬ benden Weib außer Augen setzt, kurzerhand die Wege zu weisen. Aber es wird schwerlich nötig sein, denn edle Weiblichkeit, fester Wille und ernste Arbeit wirken auch auf ein rohes Gemüt. Darum spricht sich Professor Vöhmert zu Zürich nicht bloß entschieden gegen besondre Fraueufachschulen, sondern auch gegen die Einrichtung besondrer Franenkurse an den bestehenden Universitäten ans. Die Zahl studirender Frauen wird noch lange Zeit eine viel zu be¬ schränkte sein, als daß sie die Begründung besondrer Frauenkurse rechtfertigen sollte, auch würde man von den Zöglingen eines Frauenkursus selbstver¬ ständlich geringere Leistungen erwarten. Der letzte Grund erscheint mir be¬ sonders durchschlagend^ uur die Ärztin, die denselben wissenschaftlichen Lehrgang Grenzboten III 1832 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/265>, abgerufen am 06.01.2025.