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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Das ärztliche Studium der Frauen

Ein Redner gegen den Antrag hatte sich nicht gemeldet, und der Ab¬
geordnete Nickert konnte also in dessen Befürwortung fortfahren, und er that
das mit großer Lebhaftigkeit und Entschiedenheit. Es sei ein Mißbrauch der Ge¬
walt, wenn die Herren der Schöpfung, die zu gleicher Zeit Herren der Gesetz¬
gebung seien, die größere Hälfte der Menschheit von allen den Wohlthaten
ausschlossen, auf die jeder Mensch ein Recht habe, nämlich die Kräfte, die
Gott ihm gegeben, auch auszubilden. Es sei Thatsache, daß eine sehr große
Zahl der Frauen nicht heiraten könne; also müsse man ihnen die Möglichkeit
gewähren, ihre Erwerbsthätigkeit zu erweitern. Fehle den Frauen zum medi¬
zinische" Studium die nötige Vorbildung, so überlasse man das (was?) denen,
die die Frauen prüfen solle"; woher die Frauen ihre Vorbildung erhielten,
sei ihre Sache. In Baden habe die Regierung bereits dahin entschieden, daß
wenigstens in Freiburg die Frauen zum Universitätsstudium zuzulassen seien.
Ein ganz besondrer Grund, die Frauen zum medizinischen Studium zuzulassen,
liege auf dem Gebiete der Sittlichkeit. Der Red"er nannte es geradezu skan¬
dalös, empörend, daß sich Frauen in manchen Krankheiten dnrch Männer
müßten untersuche" und ärztlich behandeln lasse". Hoffentlich werde die Mehr¬
heit deS Hauses diesen (?) milden Beschluß nicht ablehnen, sondern das be¬
rechtigte Gefühl der Frauen, das doch alle die befördern sollten, die sonst
von Religion und Sittlichkeit überströmten , berücksichtigen und ihnen wenig¬
stens Ärztinnen gewähren.

Der konservative Abgeordnete Stöcker hatte eine andre Meinung i" der
Sache als sein Freund und Kollege Hartmann. Auch er ist gegen Emanzi¬
pation der Fromm. Aber die amerikanische oder englische Art der Emanzi-
pationsbestrebungen finde ja, abgesehn von der Sozialdemokratin in der deutschen
Frauenwelt gar keine Stätte; die deutsche Frauenbewegung sür Erweiterung
des weiblichen Berufs sei unter allen Völkern die maßvollste und besonnenste.
Gewiß gehöre die Frau in (?) den häuslichen Beruf; aber es blieben Tausende
von höher gebildeten Frauen übrig, die einen Beruf suchten lind keinen fänden.
Diesen Notstand müsse man anerkennen, könne man nicht durch bloßes Ab¬
weisen beseitigen; für diese Tausende von Frauen müßten die Schranken des
weiblichen Erwerbs erweitert werden. Und dazu biete sich zunächst die höhere
Schule. Der Redner hat als Leiter einer höhern Töchterschule in Metz
Lehrerinnen bis in die obersten Klassen unterrichten lassen und die besten Er¬
folge damit erzielt. Es sei wünschenswert, daß dies mehr als bisher anch
in den Staats- und Gemeindeschulen geschehe. Ein zweites Feld ist die ärzt¬
liche Praxis in der Beschränkung, die durch die weibliche Natur geboten ist.
Der Redner hat gar nichts dagegen, daß Frauen an Frauen und Kindern den
ärztlichen Beruf ausüben. Der Gedanke, daß die Schwierigkeiten des ärztlichen
Berufs die Kraft der Frau überstiegen, sei unrichtig; Hebammen, Diakonissinnen,
Krankenpflegerinnen hätten oft schwere und blutige Arbeit, warum solle nicht


Das ärztliche Studium der Frauen

Ein Redner gegen den Antrag hatte sich nicht gemeldet, und der Ab¬
geordnete Nickert konnte also in dessen Befürwortung fortfahren, und er that
das mit großer Lebhaftigkeit und Entschiedenheit. Es sei ein Mißbrauch der Ge¬
walt, wenn die Herren der Schöpfung, die zu gleicher Zeit Herren der Gesetz¬
gebung seien, die größere Hälfte der Menschheit von allen den Wohlthaten
ausschlossen, auf die jeder Mensch ein Recht habe, nämlich die Kräfte, die
Gott ihm gegeben, auch auszubilden. Es sei Thatsache, daß eine sehr große
Zahl der Frauen nicht heiraten könne; also müsse man ihnen die Möglichkeit
gewähren, ihre Erwerbsthätigkeit zu erweitern. Fehle den Frauen zum medi¬
zinische» Studium die nötige Vorbildung, so überlasse man das (was?) denen,
die die Frauen prüfen solle»; woher die Frauen ihre Vorbildung erhielten,
sei ihre Sache. In Baden habe die Regierung bereits dahin entschieden, daß
wenigstens in Freiburg die Frauen zum Universitätsstudium zuzulassen seien.
Ein ganz besondrer Grund, die Frauen zum medizinischen Studium zuzulassen,
liege auf dem Gebiete der Sittlichkeit. Der Red»er nannte es geradezu skan¬
dalös, empörend, daß sich Frauen in manchen Krankheiten dnrch Männer
müßten untersuche» und ärztlich behandeln lasse». Hoffentlich werde die Mehr¬
heit deS Hauses diesen (?) milden Beschluß nicht ablehnen, sondern das be¬
rechtigte Gefühl der Frauen, das doch alle die befördern sollten, die sonst
von Religion und Sittlichkeit überströmten , berücksichtigen und ihnen wenig¬
stens Ärztinnen gewähren.

Der konservative Abgeordnete Stöcker hatte eine andre Meinung i» der
Sache als sein Freund und Kollege Hartmann. Auch er ist gegen Emanzi¬
pation der Fromm. Aber die amerikanische oder englische Art der Emanzi-
pationsbestrebungen finde ja, abgesehn von der Sozialdemokratin in der deutschen
Frauenwelt gar keine Stätte; die deutsche Frauenbewegung sür Erweiterung
des weiblichen Berufs sei unter allen Völkern die maßvollste und besonnenste.
Gewiß gehöre die Frau in (?) den häuslichen Beruf; aber es blieben Tausende
von höher gebildeten Frauen übrig, die einen Beruf suchten lind keinen fänden.
Diesen Notstand müsse man anerkennen, könne man nicht durch bloßes Ab¬
weisen beseitigen; für diese Tausende von Frauen müßten die Schranken des
weiblichen Erwerbs erweitert werden. Und dazu biete sich zunächst die höhere
Schule. Der Redner hat als Leiter einer höhern Töchterschule in Metz
Lehrerinnen bis in die obersten Klassen unterrichten lassen und die besten Er¬
folge damit erzielt. Es sei wünschenswert, daß dies mehr als bisher anch
in den Staats- und Gemeindeschulen geschehe. Ein zweites Feld ist die ärzt¬
liche Praxis in der Beschränkung, die durch die weibliche Natur geboten ist.
Der Redner hat gar nichts dagegen, daß Frauen an Frauen und Kindern den
ärztlichen Beruf ausüben. Der Gedanke, daß die Schwierigkeiten des ärztlichen
Berufs die Kraft der Frau überstiegen, sei unrichtig; Hebammen, Diakonissinnen,
Krankenpflegerinnen hätten oft schwere und blutige Arbeit, warum solle nicht


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[0260] Das ärztliche Studium der Frauen Ein Redner gegen den Antrag hatte sich nicht gemeldet, und der Ab¬ geordnete Nickert konnte also in dessen Befürwortung fortfahren, und er that das mit großer Lebhaftigkeit und Entschiedenheit. Es sei ein Mißbrauch der Ge¬ walt, wenn die Herren der Schöpfung, die zu gleicher Zeit Herren der Gesetz¬ gebung seien, die größere Hälfte der Menschheit von allen den Wohlthaten ausschlossen, auf die jeder Mensch ein Recht habe, nämlich die Kräfte, die Gott ihm gegeben, auch auszubilden. Es sei Thatsache, daß eine sehr große Zahl der Frauen nicht heiraten könne; also müsse man ihnen die Möglichkeit gewähren, ihre Erwerbsthätigkeit zu erweitern. Fehle den Frauen zum medi¬ zinische» Studium die nötige Vorbildung, so überlasse man das (was?) denen, die die Frauen prüfen solle»; woher die Frauen ihre Vorbildung erhielten, sei ihre Sache. In Baden habe die Regierung bereits dahin entschieden, daß wenigstens in Freiburg die Frauen zum Universitätsstudium zuzulassen seien. Ein ganz besondrer Grund, die Frauen zum medizinischen Studium zuzulassen, liege auf dem Gebiete der Sittlichkeit. Der Red»er nannte es geradezu skan¬ dalös, empörend, daß sich Frauen in manchen Krankheiten dnrch Männer müßten untersuche» und ärztlich behandeln lasse». Hoffentlich werde die Mehr¬ heit deS Hauses diesen (?) milden Beschluß nicht ablehnen, sondern das be¬ rechtigte Gefühl der Frauen, das doch alle die befördern sollten, die sonst von Religion und Sittlichkeit überströmten , berücksichtigen und ihnen wenig¬ stens Ärztinnen gewähren. Der konservative Abgeordnete Stöcker hatte eine andre Meinung i» der Sache als sein Freund und Kollege Hartmann. Auch er ist gegen Emanzi¬ pation der Fromm. Aber die amerikanische oder englische Art der Emanzi- pationsbestrebungen finde ja, abgesehn von der Sozialdemokratin in der deutschen Frauenwelt gar keine Stätte; die deutsche Frauenbewegung sür Erweiterung des weiblichen Berufs sei unter allen Völkern die maßvollste und besonnenste. Gewiß gehöre die Frau in (?) den häuslichen Beruf; aber es blieben Tausende von höher gebildeten Frauen übrig, die einen Beruf suchten lind keinen fänden. Diesen Notstand müsse man anerkennen, könne man nicht durch bloßes Ab¬ weisen beseitigen; für diese Tausende von Frauen müßten die Schranken des weiblichen Erwerbs erweitert werden. Und dazu biete sich zunächst die höhere Schule. Der Redner hat als Leiter einer höhern Töchterschule in Metz Lehrerinnen bis in die obersten Klassen unterrichten lassen und die besten Er¬ folge damit erzielt. Es sei wünschenswert, daß dies mehr als bisher anch in den Staats- und Gemeindeschulen geschehe. Ein zweites Feld ist die ärzt¬ liche Praxis in der Beschränkung, die durch die weibliche Natur geboten ist. Der Redner hat gar nichts dagegen, daß Frauen an Frauen und Kindern den ärztlichen Beruf ausüben. Der Gedanke, daß die Schwierigkeiten des ärztlichen Berufs die Kraft der Frau überstiegen, sei unrichtig; Hebammen, Diakonissinnen, Krankenpflegerinnen hätten oft schwere und blutige Arbeit, warum solle nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/260>, abgerufen am 06.01.2025.