Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Emin Pascha und die deutsche Aolonialpolitik Es Wäre also möglich, daß das so lange versperrte Ruanda nach wie vor All den gegenteiligen Aussprüchen, all den Verdrehungen und Ver- Emin Pascha und die deutsche Aolonialpolitik Es Wäre also möglich, daß das so lange versperrte Ruanda nach wie vor All den gegenteiligen Aussprüchen, all den Verdrehungen und Ver- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212728"/> <fw type="header" place="top"> Emin Pascha und die deutsche Aolonialpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_836"> Es Wäre also möglich, daß das so lange versperrte Ruanda nach wie vor<lb/> undurchdringlich bliebe, und daß sich auch fernerhin von Karagwe nach dem<lb/> Tanganika nur die eine Straße östlich von Ruanda durch das Flußgebiet des<lb/> in den Tanganika mündenden Malagarasi böte. Es scheint fast, als ob man<lb/> am besten thäte, gewisse afrikanische Landschaften bis auf weiteres sich selbst<lb/> zu überlassen und allmählich ringsherum zu isoliren, bis sie zur freiwilligen<lb/> Ergebung gezwungen sein werden. Emin ist jedoch bis jetzt nicht nach Vukoba<lb/> zurückgekehrt, und er hat es vielleicht vorgezogen, trotz des großen Übelstandes,<lb/> der in seiner immer zunehmenden Augenschwäche liegt, sich einen Weg zum<lb/> Nordende des Tanganika zu suchen, denn er besitzt, darüber ist kein Zweifel,<lb/> in hohem Maße die Kraft der Selbstüberwindung und die Energie, sich gegen<lb/> körperliches Leiden bis zum äußersten zu wehren. Was nun auch die weitern<lb/> Geschehnisse sein mögen, man hat zuviel Aufhebens davon gemacht, daß Emin<lb/> überhaupt über die nördliche Endlinie unsers Jnteressenkreises, den ersten süd¬<lb/> lichen Parallelkreis, hinausgegangen ist, und besonders, daß er stets seiner<lb/> Expedition die deutsche Flagge hat vorantragcn lassen. Welche schlimmen<lb/> internationalen Verwicklungen konnten denn die Folge sein? Thatsächlich<lb/> waren diese Landstriche noch von keiner europäischen Nation, auch den Eng¬<lb/> ländern nicht, in wirklichen Besitz genommen, und zwischen den Führern<lb/> zweier sich zufällig begegnenden Karawanen hätte eine Besprechung genügt,<lb/> um Feindseligkeiten zu verhüten und das wahrscheinlich größere Anrecht des<lb/> einen vor dem andern festzustellen. Emin konnte gar nicht anders, als seine<lb/> Flagge offen zeigen; er war auf diesem unbekannten und freien Gebiete in<lb/> einer ähnlichen Lage, wie der Kapitän eines Schiffs auf dem offnen Meere,<lb/> der gegebncnfalls auch seine Flagge zu zeigen verpflichtet ist. Kurz vorher<lb/> hatte er erst durch eine Vereinbarung mit dem englischen Beamten Gedge den<lb/> Zwang zur Flaggenführung für die Boote deutscher und englischer Nationalität<lb/> in den beiden Hälften des Viktoriasees festgesetzt, und bald darauf wurde die<lb/> Bedeutung der Flagge durch die Erlebnisse des Vizefeldwebels Kühne von der<lb/> Station Bukoba erwiesen, denn die Wasesse hielten Kühne bei seiner Landung<lb/> auf der Insel Sesse zuerst für einen Engländer und wollten ihn niedermachen,<lb/> begrüßten ihn aber freudig, nachdem sie die deutsche Flagge erkannt hatten.<lb/> Dazu kommt die Unbestimmtheit der Grenzen in den Gegenden westlich vom<lb/> Viktoria Nhcmsci, besonders um deu Albert-Eduard- und auch um den Albertsee,<lb/> wo sich deutsche, englische, kongostaatliche und in Zukunft möglicherweise auch<lb/> französische Ansprüche berühren. Emin konnte darüber im Zweifel sein,<lb/> wenigstens westlich vom dreißigsten Meridian, an dem der Kongvstaat theore¬<lb/> tisch, aber bis heute noch nicht thatsächlich seinen Anfang nimmt, wem gegen¬<lb/> über er sich etwa einer Grenzverletzung schuldig macheu und wofür er hier<lb/> eine Verantwortung auf sich laden könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> All den gegenteiligen Aussprüchen, all den Verdrehungen und Ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Emin Pascha und die deutsche Aolonialpolitik
Es Wäre also möglich, daß das so lange versperrte Ruanda nach wie vor
undurchdringlich bliebe, und daß sich auch fernerhin von Karagwe nach dem
Tanganika nur die eine Straße östlich von Ruanda durch das Flußgebiet des
in den Tanganika mündenden Malagarasi böte. Es scheint fast, als ob man
am besten thäte, gewisse afrikanische Landschaften bis auf weiteres sich selbst
zu überlassen und allmählich ringsherum zu isoliren, bis sie zur freiwilligen
Ergebung gezwungen sein werden. Emin ist jedoch bis jetzt nicht nach Vukoba
zurückgekehrt, und er hat es vielleicht vorgezogen, trotz des großen Übelstandes,
der in seiner immer zunehmenden Augenschwäche liegt, sich einen Weg zum
Nordende des Tanganika zu suchen, denn er besitzt, darüber ist kein Zweifel,
in hohem Maße die Kraft der Selbstüberwindung und die Energie, sich gegen
körperliches Leiden bis zum äußersten zu wehren. Was nun auch die weitern
Geschehnisse sein mögen, man hat zuviel Aufhebens davon gemacht, daß Emin
überhaupt über die nördliche Endlinie unsers Jnteressenkreises, den ersten süd¬
lichen Parallelkreis, hinausgegangen ist, und besonders, daß er stets seiner
Expedition die deutsche Flagge hat vorantragcn lassen. Welche schlimmen
internationalen Verwicklungen konnten denn die Folge sein? Thatsächlich
waren diese Landstriche noch von keiner europäischen Nation, auch den Eng¬
ländern nicht, in wirklichen Besitz genommen, und zwischen den Führern
zweier sich zufällig begegnenden Karawanen hätte eine Besprechung genügt,
um Feindseligkeiten zu verhüten und das wahrscheinlich größere Anrecht des
einen vor dem andern festzustellen. Emin konnte gar nicht anders, als seine
Flagge offen zeigen; er war auf diesem unbekannten und freien Gebiete in
einer ähnlichen Lage, wie der Kapitän eines Schiffs auf dem offnen Meere,
der gegebncnfalls auch seine Flagge zu zeigen verpflichtet ist. Kurz vorher
hatte er erst durch eine Vereinbarung mit dem englischen Beamten Gedge den
Zwang zur Flaggenführung für die Boote deutscher und englischer Nationalität
in den beiden Hälften des Viktoriasees festgesetzt, und bald darauf wurde die
Bedeutung der Flagge durch die Erlebnisse des Vizefeldwebels Kühne von der
Station Bukoba erwiesen, denn die Wasesse hielten Kühne bei seiner Landung
auf der Insel Sesse zuerst für einen Engländer und wollten ihn niedermachen,
begrüßten ihn aber freudig, nachdem sie die deutsche Flagge erkannt hatten.
Dazu kommt die Unbestimmtheit der Grenzen in den Gegenden westlich vom
Viktoria Nhcmsci, besonders um deu Albert-Eduard- und auch um den Albertsee,
wo sich deutsche, englische, kongostaatliche und in Zukunft möglicherweise auch
französische Ansprüche berühren. Emin konnte darüber im Zweifel sein,
wenigstens westlich vom dreißigsten Meridian, an dem der Kongvstaat theore¬
tisch, aber bis heute noch nicht thatsächlich seinen Anfang nimmt, wem gegen¬
über er sich etwa einer Grenzverletzung schuldig macheu und wofür er hier
eine Verantwortung auf sich laden könnte.
All den gegenteiligen Aussprüchen, all den Verdrehungen und Ver-
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