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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lenin Pascha und die deutsche Aolonialpolitik

und keine oder mir spärliche Nachrichten von ihm gelangen an die Küste des
Ozeans. Man wirft ihm vor, daß er nicht mehr und nicht breit genng über
die Bagatellen des Alltagslebens dienstlich Bericht erstattet. Man vergißt,
daß auch andre Reisende zuweilen in die dunkle Ferne untergetaucht sind, daß
sie sogar verschwanden und wieder gesucht werden mußten, und daß sie dann
auch ihrerseits, wie Emin jetzt, ohne die ersehnten Mitteilungen von dem Ver¬
laufe der Dinge in der übrigen Welt geblieben waren. Sollten sich die Zeiten
so geändert haben, daß man nun auch gegen die "Afrikaner" nach europäischer
Art schärfer und peinlicher geworden wäre, daß man seine Anforderungen in
jeder Hinsicht gesteigert und sich die schlechte Gewohnheit zugelegt hätte, zu
schelten, wenn diese in einem Lande, wo die Zeit noch keinen Preis, keinen
Geldwert hat, nicht alsbald mit europäischer Geschwindigkeit erfüllt werden?
Oder sollte die Verbindung mit der Politik auch dem Afrikaforscher das Leben
erschweren und verbittern? Jedenfalls können Gegner, Mißgünstige und Un¬
zufriedne die Kolonialpolitik auf keine leichtere und bequemere Weise schlecht-
machen, als wenn sie deren Träger um ihr sauer erworbnes Ausehen bringen.

Emin war, so sagte man, unterwegs nach seiner geliebten Äqnatorial-
provinz; er wollte, sagte" andre, sich in die von dem großen Stanley ent¬
deckten Waldestiefen zu irgend einem nur ihm selbst bekannten Zweck versenken;
er wollte vielleicht an die Westküste oder nach Kamerun, nur um anch seiner¬
seits, wie man meinte, der staunenden Welt das nicht mehr neue Kunststück einer
"Durchquerung" vorzumachen; er wollte-- ja, das war eben das Schlimme,
daß niemand wußte, was Emin wollte, und daß man also annehmen zu müssen
glaubte, Emin wisse es selber nicht. Die einfachste und deshalb begreiflichste
Erklärung war, Emin habe freiwillig und auf eine seinem erkornen Namen ("der
Getreue") wenig entsprechende ungetreue Manier seinen Abschied aus dem
strammen deutschen Dienst genommen, natürlich um sich in schnöder Gesinnung
den besser zahlenden Briten anzubieten. Man weiß jedoch nun aus den in der
letzten Zeit eingetroffnen Briefen und insbesondre aus dem im Junihefte von
Petermanns Mitteilungen erschienenen ausführlichen Berichte von Emins
wackerm Begleiter, Dr. Stuhlmann, daß man sich unnötig und übermäßig
aufgeregt und geängstigt hat.

Eine gewisse Freiheit des Handelns hatte sich Emin bei der Ausführung
der ihm im allgemeinen abgesteckten Ziele vorbehalten. Unmöglich konnte ihm
von vornherein in jenen so unvollständig erforschten nordwestlichen Gebieten
Deutschvstafrikas zwischen dein Viktoria Nhansa, dem Tanganika und den
andern westlichen Seen eine gebundne Marschroute vorgeschrieben werden. Es
ist mehr als zweifelhaft, ob der Reisende, als er sich ins Innere verlor, über
die so wie so nicht ganz klaren Grenzverhältnisse in jenen Landstrichen ge¬
nügend unterrichtet war. Sein ursprüngliches Vorhaben hatte er mehrmals
vorher bezeichnet. Er beabsichtigte, in Bukoba, dessen außerordentlich günstige


Lenin Pascha und die deutsche Aolonialpolitik

und keine oder mir spärliche Nachrichten von ihm gelangen an die Küste des
Ozeans. Man wirft ihm vor, daß er nicht mehr und nicht breit genng über
die Bagatellen des Alltagslebens dienstlich Bericht erstattet. Man vergißt,
daß auch andre Reisende zuweilen in die dunkle Ferne untergetaucht sind, daß
sie sogar verschwanden und wieder gesucht werden mußten, und daß sie dann
auch ihrerseits, wie Emin jetzt, ohne die ersehnten Mitteilungen von dem Ver¬
laufe der Dinge in der übrigen Welt geblieben waren. Sollten sich die Zeiten
so geändert haben, daß man nun auch gegen die „Afrikaner" nach europäischer
Art schärfer und peinlicher geworden wäre, daß man seine Anforderungen in
jeder Hinsicht gesteigert und sich die schlechte Gewohnheit zugelegt hätte, zu
schelten, wenn diese in einem Lande, wo die Zeit noch keinen Preis, keinen
Geldwert hat, nicht alsbald mit europäischer Geschwindigkeit erfüllt werden?
Oder sollte die Verbindung mit der Politik auch dem Afrikaforscher das Leben
erschweren und verbittern? Jedenfalls können Gegner, Mißgünstige und Un¬
zufriedne die Kolonialpolitik auf keine leichtere und bequemere Weise schlecht-
machen, als wenn sie deren Träger um ihr sauer erworbnes Ausehen bringen.

Emin war, so sagte man, unterwegs nach seiner geliebten Äqnatorial-
provinz; er wollte, sagte« andre, sich in die von dem großen Stanley ent¬
deckten Waldestiefen zu irgend einem nur ihm selbst bekannten Zweck versenken;
er wollte vielleicht an die Westküste oder nach Kamerun, nur um anch seiner¬
seits, wie man meinte, der staunenden Welt das nicht mehr neue Kunststück einer
„Durchquerung" vorzumachen; er wollte— ja, das war eben das Schlimme,
daß niemand wußte, was Emin wollte, und daß man also annehmen zu müssen
glaubte, Emin wisse es selber nicht. Die einfachste und deshalb begreiflichste
Erklärung war, Emin habe freiwillig und auf eine seinem erkornen Namen („der
Getreue") wenig entsprechende ungetreue Manier seinen Abschied aus dem
strammen deutschen Dienst genommen, natürlich um sich in schnöder Gesinnung
den besser zahlenden Briten anzubieten. Man weiß jedoch nun aus den in der
letzten Zeit eingetroffnen Briefen und insbesondre aus dem im Junihefte von
Petermanns Mitteilungen erschienenen ausführlichen Berichte von Emins
wackerm Begleiter, Dr. Stuhlmann, daß man sich unnötig und übermäßig
aufgeregt und geängstigt hat.

Eine gewisse Freiheit des Handelns hatte sich Emin bei der Ausführung
der ihm im allgemeinen abgesteckten Ziele vorbehalten. Unmöglich konnte ihm
von vornherein in jenen so unvollständig erforschten nordwestlichen Gebieten
Deutschvstafrikas zwischen dein Viktoria Nhansa, dem Tanganika und den
andern westlichen Seen eine gebundne Marschroute vorgeschrieben werden. Es
ist mehr als zweifelhaft, ob der Reisende, als er sich ins Innere verlor, über
die so wie so nicht ganz klaren Grenzverhältnisse in jenen Landstrichen ge¬
nügend unterrichtet war. Sein ursprüngliches Vorhaben hatte er mehrmals
vorher bezeichnet. Er beabsichtigte, in Bukoba, dessen außerordentlich günstige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/250>, abgerufen am 06.01.2025.