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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

und in einem Atem nach Hinterwinkel zurückgelaufen. Nur die Scham vor
den Fuhrleuten hielt mich davon ab, obwohl diese selber, den Jockel ausge¬
nommen, bedenkliche Gesichter zu meinem Abenteuer machten. Ja manchmal
schien nur, als ob sogar Schmitzcnjockel halb bereute, mich verführt zu haben,
und mir nur darum seinen Wein so reichlich gönnte, weil er das begangne
Unrecht einigermaßen gut machen wollte. In meiner kleinlauten Stimmung
sprach ich denn auch dein Vier und Wein eifrig zu, weit mehr als ich gewohnt
war, und wurde je länger je aufgeräumter. So vergaß ich uach und nach alle
Gewissensbisse, die mir bis dahin die Freude an meinem ersten größern Aus¬
flug in die Welt trotz der merkwürdigen Umstände dabei etwas vergällt hatten,
und sah den kommenden Dingen immer kühner entgegen.

In solcher Verfassung befand ich mich -- es mochte ungefähr gegen sieben
Uhr abends sein --, als plötzlich die erste Kriegserscheinung vor uns auf¬
tauchte. Auf einer Querstraße sprengte sie an uns vorüber, in voller Karriere,
ein gelber Dragoner, mit Schweiß und Staub bedeckt, ans einem Gaul, der
weiße Schaumflvcken hinter sich warf.

Ich griff mir unwillkürlich an die Brust, das Herz drohte mir still zu
stehn, mein Atem stockte. Ich erwartete, daß es jeden Augenblick hinter den
Hügeln hervorbrechen würde, in farbigen Schwärmen, zu Roß und zu Fuß,
in kümpfender oder fliehender Wildheit.

Aber es geschah nichts; außer friedlich arbeitenden Landleuten zeigte sich
nichts Bewegliches in der fruchtbaren, gesegneten Hügellandschaft, die sich um
uns her ausbreitete. Die Bauern in den Dörfern nannten mehrere Orts¬
namen, wo wir unsre Württemberger finden würden; doch sprachen sie damit
nnr Vermutungen aus, etwas Sicheres wußten sie nicht.

Ich mußte aber immer über den jagenden Dragoner nachdenken. Was
der nur für eine Aufgabe haben mochte, so allein durch die Welt zu rasen!
Und wenn er nun dem Feind in die Hände fiel --

Wir fuhren auch die Nacht hindurch, und der Wem, der mich, im Bunde
mit der Kriegserwartung und den alten Fuhrmannsgeschichten des Schmitzcnjockel,
lange genug aufgeregt hatte, übte endlich die entgegengesetzte Wirkung: die
Augenlider wurden mir schwer, ich vermochte sie mit der größten Mühe nicht
mehr offen zu halten. Dann drohte ich von meinem Sitze herabzusinken und
wurde vom Jockel nnr gerade noch so aufgefangen. Ich fühlte mich noch
von ihm in den Wagenkorb zurückgelegt, zwischen Decken und Tücher, lind
mit dem nächsten Atemzug versank ich in tiefen Schlaf.

Beim Aufwachen verwunderte ich mich nicht wenig, als ich nicht ans
unsrer stillen Bodenkammer in meinem Bette lag, sondern in einem Wagen¬
korb, auf offner Straße, zwischen städtisch aneinander gereihten Häusern, ge¬
rade unter einer riesigen Laterne, die auf den ersten Blick mit einer ungeheuern
rostigen Kette am Himmel aufgehängt schien.


Weltgeschichte in Hinterwinkel

und in einem Atem nach Hinterwinkel zurückgelaufen. Nur die Scham vor
den Fuhrleuten hielt mich davon ab, obwohl diese selber, den Jockel ausge¬
nommen, bedenkliche Gesichter zu meinem Abenteuer machten. Ja manchmal
schien nur, als ob sogar Schmitzcnjockel halb bereute, mich verführt zu haben,
und mir nur darum seinen Wein so reichlich gönnte, weil er das begangne
Unrecht einigermaßen gut machen wollte. In meiner kleinlauten Stimmung
sprach ich denn auch dein Vier und Wein eifrig zu, weit mehr als ich gewohnt
war, und wurde je länger je aufgeräumter. So vergaß ich uach und nach alle
Gewissensbisse, die mir bis dahin die Freude an meinem ersten größern Aus¬
flug in die Welt trotz der merkwürdigen Umstände dabei etwas vergällt hatten,
und sah den kommenden Dingen immer kühner entgegen.

In solcher Verfassung befand ich mich — es mochte ungefähr gegen sieben
Uhr abends sein —, als plötzlich die erste Kriegserscheinung vor uns auf¬
tauchte. Auf einer Querstraße sprengte sie an uns vorüber, in voller Karriere,
ein gelber Dragoner, mit Schweiß und Staub bedeckt, ans einem Gaul, der
weiße Schaumflvcken hinter sich warf.

Ich griff mir unwillkürlich an die Brust, das Herz drohte mir still zu
stehn, mein Atem stockte. Ich erwartete, daß es jeden Augenblick hinter den
Hügeln hervorbrechen würde, in farbigen Schwärmen, zu Roß und zu Fuß,
in kümpfender oder fliehender Wildheit.

Aber es geschah nichts; außer friedlich arbeitenden Landleuten zeigte sich
nichts Bewegliches in der fruchtbaren, gesegneten Hügellandschaft, die sich um
uns her ausbreitete. Die Bauern in den Dörfern nannten mehrere Orts¬
namen, wo wir unsre Württemberger finden würden; doch sprachen sie damit
nnr Vermutungen aus, etwas Sicheres wußten sie nicht.

Ich mußte aber immer über den jagenden Dragoner nachdenken. Was
der nur für eine Aufgabe haben mochte, so allein durch die Welt zu rasen!
Und wenn er nun dem Feind in die Hände fiel —

Wir fuhren auch die Nacht hindurch, und der Wem, der mich, im Bunde
mit der Kriegserwartung und den alten Fuhrmannsgeschichten des Schmitzcnjockel,
lange genug aufgeregt hatte, übte endlich die entgegengesetzte Wirkung: die
Augenlider wurden mir schwer, ich vermochte sie mit der größten Mühe nicht
mehr offen zu halten. Dann drohte ich von meinem Sitze herabzusinken und
wurde vom Jockel nnr gerade noch so aufgefangen. Ich fühlte mich noch
von ihm in den Wagenkorb zurückgelegt, zwischen Decken und Tücher, lind
mit dem nächsten Atemzug versank ich in tiefen Schlaf.

Beim Aufwachen verwunderte ich mich nicht wenig, als ich nicht ans
unsrer stillen Bodenkammer in meinem Bette lag, sondern in einem Wagen¬
korb, auf offner Straße, zwischen städtisch aneinander gereihten Häusern, ge¬
rade unter einer riesigen Laterne, die auf den ersten Blick mit einer ungeheuern
rostigen Kette am Himmel aufgehängt schien.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/243>, abgerufen am 06.01.2025.