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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Das ärztliche Studium der Frauen

die nicht so ohne weiteres dein Mitbewerb weiblicher Kräfte offen stehen.
Daher hätte der Frauenverein Reform von Nnfmig ein seine Ziele besser darauf
beschränkt, dem weiblichen Geschlecht den ärztlichen Beruf zu erschließen; da¬
durch daß er auf allen Gebieten der Wissenschaft der Mannesarbeit den weib¬
lichen Wettbewerb entgegenstellt, hat er bisher anch seinen Erfolg auf dem
engbegrenzten Gebiete beeinträchtigt, wo dieser Erfolg erwünscht gewesen wäre.

Frau Kettler ist neuerdings namentlich bemüht, dnrch Petitionen an den
Reichstag und an die verschiednen deutschen Regierungen und Volksvertretungen
ihre Ziele zu fördern. Über eine derartige Eingabe an den Reichstag wurde
am 11. März 1891 zur Tagesordnung übergegangen, nachdem sich die Mehr¬
heit gegen die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium ausgesprochen
hatte. Eine ähnliche Petition kam im Mai 1891 im preußischen Abgeord-
netenhause zur Verhandlung; sie sprach die Bitte um Errichtung eiues Mädcheu-
ghmnasiums oder Zulassung des weiblichen Geschlechts zur Ablegung der an
den bestehenden Gymnasien eingeführten Reifeprüfung aus. Die Bitte war
begründet durch den Hinweis auf die große Zahl der aus den breite" Schichten
des sogenannten gebildeten Mittelstands, der Beamten, Offiziere, Künstler, her¬
vorgehenden Mädchen, die, auf bescheidne Mittel beschränkt, nicht zur Ehe ge¬
langten und daher der Ausbildung zur Erwerbsthätigkeit bedürfte". Es sei
wünschenswert geworden, daß anch einzelne Teile der uns wissenschaftlichen
Studien beruhenden Berufe der heranwachsenden Mädchcnwelt erschlossen würden.
Die Petition erbat demnach die Errichtung von Mädche"gym"afier mit dem
gleichen Lehrplan und dem Rechte der Entlassung zum Studium auf Universi¬
täten und andern Hochschulen und infolge davon die Zulassung der Frcinen zu
allen auf wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufen, "soweit das praktisch
durchführbar ist." Allerdings ließen es die gegenwärtigen sozialen Verhält¬
nisse in Deutschland wie die physische (!) Natur (!) des weiblichen Geschlechts als
thöricht erscheinen, die Zulassung der Frau zur Ausübung aller Berufe zu
fordern; dagegen (!) sei vor allem (!) die Zulassung zur Ausübung des ärzt¬
lichen Berufes zu fordern. Der Frauenverein Reform hat also verständiger¬
weise bereits Wasser i" seinen Wein gethan.

Der Berichterstatter Seyffardt hob sehr richtig hervor, daß die Petition
in einem Atem sehr weitgehende und verhältnismäßig beschränkte Forderungen
stelle. Halte man sich an die erstern, so werde man leicht zu einer abweichenden
Stellung gelangen; sehe man von den großen Theorien ab und fasse nur die
praktischen Einschränkungen ins Ange, so komme man zu einem viel günstigern
Ergebnis. Es sei Pflicht und Schuldigkeit, der aus dem Bedürfnis der
Gegenwart erwachsenen Frauenfrage, die in der Steigerung der Erwerbsfähig¬
keit und Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts ihr hervorragendstes Ziel
finde, Beachtung und Unterstützung zu gewähren; Deutschland sei in dieser
Beziehung hinter andern Kulturuaticmen, jedenfalls hinter Franzosen, Eng-


Das ärztliche Studium der Frauen

die nicht so ohne weiteres dein Mitbewerb weiblicher Kräfte offen stehen.
Daher hätte der Frauenverein Reform von Nnfmig ein seine Ziele besser darauf
beschränkt, dem weiblichen Geschlecht den ärztlichen Beruf zu erschließen; da¬
durch daß er auf allen Gebieten der Wissenschaft der Mannesarbeit den weib¬
lichen Wettbewerb entgegenstellt, hat er bisher anch seinen Erfolg auf dem
engbegrenzten Gebiete beeinträchtigt, wo dieser Erfolg erwünscht gewesen wäre.

Frau Kettler ist neuerdings namentlich bemüht, dnrch Petitionen an den
Reichstag und an die verschiednen deutschen Regierungen und Volksvertretungen
ihre Ziele zu fördern. Über eine derartige Eingabe an den Reichstag wurde
am 11. März 1891 zur Tagesordnung übergegangen, nachdem sich die Mehr¬
heit gegen die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium ausgesprochen
hatte. Eine ähnliche Petition kam im Mai 1891 im preußischen Abgeord-
netenhause zur Verhandlung; sie sprach die Bitte um Errichtung eiues Mädcheu-
ghmnasiums oder Zulassung des weiblichen Geschlechts zur Ablegung der an
den bestehenden Gymnasien eingeführten Reifeprüfung aus. Die Bitte war
begründet durch den Hinweis auf die große Zahl der aus den breite» Schichten
des sogenannten gebildeten Mittelstands, der Beamten, Offiziere, Künstler, her¬
vorgehenden Mädchen, die, auf bescheidne Mittel beschränkt, nicht zur Ehe ge¬
langten und daher der Ausbildung zur Erwerbsthätigkeit bedürfte». Es sei
wünschenswert geworden, daß anch einzelne Teile der uns wissenschaftlichen
Studien beruhenden Berufe der heranwachsenden Mädchcnwelt erschlossen würden.
Die Petition erbat demnach die Errichtung von Mädche»gym»afier mit dem
gleichen Lehrplan und dem Rechte der Entlassung zum Studium auf Universi¬
täten und andern Hochschulen und infolge davon die Zulassung der Frcinen zu
allen auf wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufen, „soweit das praktisch
durchführbar ist." Allerdings ließen es die gegenwärtigen sozialen Verhält¬
nisse in Deutschland wie die physische (!) Natur (!) des weiblichen Geschlechts als
thöricht erscheinen, die Zulassung der Frau zur Ausübung aller Berufe zu
fordern; dagegen (!) sei vor allem (!) die Zulassung zur Ausübung des ärzt¬
lichen Berufes zu fordern. Der Frauenverein Reform hat also verständiger¬
weise bereits Wasser i» seinen Wein gethan.

Der Berichterstatter Seyffardt hob sehr richtig hervor, daß die Petition
in einem Atem sehr weitgehende und verhältnismäßig beschränkte Forderungen
stelle. Halte man sich an die erstern, so werde man leicht zu einer abweichenden
Stellung gelangen; sehe man von den großen Theorien ab und fasse nur die
praktischen Einschränkungen ins Ange, so komme man zu einem viel günstigern
Ergebnis. Es sei Pflicht und Schuldigkeit, der aus dem Bedürfnis der
Gegenwart erwachsenen Frauenfrage, die in der Steigerung der Erwerbsfähig¬
keit und Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts ihr hervorragendstes Ziel
finde, Beachtung und Unterstützung zu gewähren; Deutschland sei in dieser
Beziehung hinter andern Kulturuaticmen, jedenfalls hinter Franzosen, Eng-


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[0216] Das ärztliche Studium der Frauen die nicht so ohne weiteres dein Mitbewerb weiblicher Kräfte offen stehen. Daher hätte der Frauenverein Reform von Nnfmig ein seine Ziele besser darauf beschränkt, dem weiblichen Geschlecht den ärztlichen Beruf zu erschließen; da¬ durch daß er auf allen Gebieten der Wissenschaft der Mannesarbeit den weib¬ lichen Wettbewerb entgegenstellt, hat er bisher anch seinen Erfolg auf dem engbegrenzten Gebiete beeinträchtigt, wo dieser Erfolg erwünscht gewesen wäre. Frau Kettler ist neuerdings namentlich bemüht, dnrch Petitionen an den Reichstag und an die verschiednen deutschen Regierungen und Volksvertretungen ihre Ziele zu fördern. Über eine derartige Eingabe an den Reichstag wurde am 11. März 1891 zur Tagesordnung übergegangen, nachdem sich die Mehr¬ heit gegen die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium ausgesprochen hatte. Eine ähnliche Petition kam im Mai 1891 im preußischen Abgeord- netenhause zur Verhandlung; sie sprach die Bitte um Errichtung eiues Mädcheu- ghmnasiums oder Zulassung des weiblichen Geschlechts zur Ablegung der an den bestehenden Gymnasien eingeführten Reifeprüfung aus. Die Bitte war begründet durch den Hinweis auf die große Zahl der aus den breite» Schichten des sogenannten gebildeten Mittelstands, der Beamten, Offiziere, Künstler, her¬ vorgehenden Mädchen, die, auf bescheidne Mittel beschränkt, nicht zur Ehe ge¬ langten und daher der Ausbildung zur Erwerbsthätigkeit bedürfte». Es sei wünschenswert geworden, daß anch einzelne Teile der uns wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufe der heranwachsenden Mädchcnwelt erschlossen würden. Die Petition erbat demnach die Errichtung von Mädche»gym»afier mit dem gleichen Lehrplan und dem Rechte der Entlassung zum Studium auf Universi¬ täten und andern Hochschulen und infolge davon die Zulassung der Frcinen zu allen auf wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufen, „soweit das praktisch durchführbar ist." Allerdings ließen es die gegenwärtigen sozialen Verhält¬ nisse in Deutschland wie die physische (!) Natur (!) des weiblichen Geschlechts als thöricht erscheinen, die Zulassung der Frau zur Ausübung aller Berufe zu fordern; dagegen (!) sei vor allem (!) die Zulassung zur Ausübung des ärzt¬ lichen Berufes zu fordern. Der Frauenverein Reform hat also verständiger¬ weise bereits Wasser i» seinen Wein gethan. Der Berichterstatter Seyffardt hob sehr richtig hervor, daß die Petition in einem Atem sehr weitgehende und verhältnismäßig beschränkte Forderungen stelle. Halte man sich an die erstern, so werde man leicht zu einer abweichenden Stellung gelangen; sehe man von den großen Theorien ab und fasse nur die praktischen Einschränkungen ins Ange, so komme man zu einem viel günstigern Ergebnis. Es sei Pflicht und Schuldigkeit, der aus dem Bedürfnis der Gegenwart erwachsenen Frauenfrage, die in der Steigerung der Erwerbsfähig¬ keit und Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts ihr hervorragendstes Ziel finde, Beachtung und Unterstützung zu gewähren; Deutschland sei in dieser Beziehung hinter andern Kulturuaticmen, jedenfalls hinter Franzosen, Eng-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/216>, abgerufen am 08.01.2025.