Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.und augenfällige Erfolge auszuweisen hat, Ihr Einfluß wirkt viel weiter, als Die christliche Ethik ist wie alles in der Welt vor der Entartung nicht Die sittliche Arbeit der Menschheit an sich selbst ist eine mühsame, eine Wenn die christliche Ethik nicht die Kraft haben sollte, einen äußersten und augenfällige Erfolge auszuweisen hat, Ihr Einfluß wirkt viel weiter, als Die christliche Ethik ist wie alles in der Welt vor der Entartung nicht Die sittliche Arbeit der Menschheit an sich selbst ist eine mühsame, eine Wenn die christliche Ethik nicht die Kraft haben sollte, einen äußersten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212688"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_698" prev="#ID_697"> und augenfällige Erfolge auszuweisen hat, Ihr Einfluß wirkt viel weiter, als<lb/> man zugiebt, auch in Kreisen, die äußerlich mit dein Christentum gebrochen<lb/> haben; sie umgiebt uns wie die Luft, die wir atmen. Was die Luft bedeutet,<lb/> spürt man auch erst, wenn sie zu mangeln anfängt.</p><lb/> <p xml:id="ID_699"> Die christliche Ethik ist wie alles in der Welt vor der Entartung nicht<lb/> sicher, sie wird zur Verkehrtheit, wenn sie die Form bewahrt, aber den Geist<lb/> entfliehen läßt, ja sie ist nach einer gewissen Seite hin dem Verderben leichter<lb/> ausgesetzt, als eine kühl überlegende Verstandesmvral. In dem Maße nämlich,<lb/> als das sittliche Urteil lebhafter, als der Wunsch brennender wird, daß das<lb/> auch geschehe, was man als recht erkannt hat, in dein Maße ist die Möglichkeit<lb/> gegeben, daß der Eifer zum Fanatismus wird, das heißt, daß man sich um des<lb/> guten Zweckes willen in den Mitteln vergreift. Unter Christi Jüngern waren<lb/> es nicht die schlechtesten, die, empört über den Unglauben der Juden, sagten:<lb/> Willst du, daß wir Feuer vom Himmel fallen und diese Stätte verzehren<lb/> lassen sollen? Christus antwortete: Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr<lb/> seid? In ähnlicher Weise sind jene betrübenden Erscheinungen in der Geschichte,<lb/> wo man im Namen der Religion oder der Kirche Unrecht gethan hat, darauf zurück¬<lb/> zuführen, daß man vergessen hatte, welchem Geiste man diente, daß sich<lb/> der gute Wille — wenn ein solcher überhaupt noch dawar — in den Mitteln<lb/> vergriff. Wir wollen milde urteilen, wir lernen an unserm eignen Beispiel,<lb/> wie sehr irren menschlich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_700"> Die sittliche Arbeit der Menschheit an sich selbst ist eine mühsame, eine<lb/> Sisyphusarbeit. Jedes Geschlecht muß von neuem anfangen. Es ist das<lb/> thörichtste, was es giebt, das neunzehnte Jahrhundert für geforderter zu halten<lb/> als irgend ein andres Jahrhundert. Auf dem Bilde von Lehs „Die letzte<lb/> Kanone" sieht man, wie Eisenbahnzüge gen Himmel fahren. So denken sich<lb/> manche den Fortschritt dieses Jahrhunderts. Aber es ist die Frage, ob es<lb/> überhaupt einen allgemeinen Fortschritt giebt. Im Menschen — ich meine<lb/> nicht den einzelnen, sondern den Gattungsbegriff — steckt doch nach wie vor<lb/> die alte Bestie, die zivilisirter thut, als sie ist. Wir müssen es als ein Ver¬<lb/> dienst von Gregvrovius anerkennen, daß er uns in seiner Schrift „Der Himmel<lb/> auf Erden" mit grausamer Deutlichkeit die Möglichkeit gezeichnet hat, daß die<lb/> Bestie einmal wieder losbrechen könnte. Davor schützen werden uns am<lb/> wenigsten die, die das liebe Tierchen streicheln und als harmlos darstellen.<lb/> Aber vielleicht auch die nicht, die jetzt die christliche Weltanschauung und die<lb/> christliche Ethik als das letzte und einzige Hilfsmittel preisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_701"> Wenn die christliche Ethik nicht die Kraft haben sollte, einen äußersten<lb/> Verfall aufzuhalten, so schelten wir sie darum ebenso wenig, als wir das Brot<lb/> dafür verantwortlich machen, daß Leute am Branntwein zu Grunde gehen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
und augenfällige Erfolge auszuweisen hat, Ihr Einfluß wirkt viel weiter, als
man zugiebt, auch in Kreisen, die äußerlich mit dein Christentum gebrochen
haben; sie umgiebt uns wie die Luft, die wir atmen. Was die Luft bedeutet,
spürt man auch erst, wenn sie zu mangeln anfängt.
Die christliche Ethik ist wie alles in der Welt vor der Entartung nicht
sicher, sie wird zur Verkehrtheit, wenn sie die Form bewahrt, aber den Geist
entfliehen läßt, ja sie ist nach einer gewissen Seite hin dem Verderben leichter
ausgesetzt, als eine kühl überlegende Verstandesmvral. In dem Maße nämlich,
als das sittliche Urteil lebhafter, als der Wunsch brennender wird, daß das
auch geschehe, was man als recht erkannt hat, in dein Maße ist die Möglichkeit
gegeben, daß der Eifer zum Fanatismus wird, das heißt, daß man sich um des
guten Zweckes willen in den Mitteln vergreift. Unter Christi Jüngern waren
es nicht die schlechtesten, die, empört über den Unglauben der Juden, sagten:
Willst du, daß wir Feuer vom Himmel fallen und diese Stätte verzehren
lassen sollen? Christus antwortete: Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr
seid? In ähnlicher Weise sind jene betrübenden Erscheinungen in der Geschichte,
wo man im Namen der Religion oder der Kirche Unrecht gethan hat, darauf zurück¬
zuführen, daß man vergessen hatte, welchem Geiste man diente, daß sich
der gute Wille — wenn ein solcher überhaupt noch dawar — in den Mitteln
vergriff. Wir wollen milde urteilen, wir lernen an unserm eignen Beispiel,
wie sehr irren menschlich ist.
Die sittliche Arbeit der Menschheit an sich selbst ist eine mühsame, eine
Sisyphusarbeit. Jedes Geschlecht muß von neuem anfangen. Es ist das
thörichtste, was es giebt, das neunzehnte Jahrhundert für geforderter zu halten
als irgend ein andres Jahrhundert. Auf dem Bilde von Lehs „Die letzte
Kanone" sieht man, wie Eisenbahnzüge gen Himmel fahren. So denken sich
manche den Fortschritt dieses Jahrhunderts. Aber es ist die Frage, ob es
überhaupt einen allgemeinen Fortschritt giebt. Im Menschen — ich meine
nicht den einzelnen, sondern den Gattungsbegriff — steckt doch nach wie vor
die alte Bestie, die zivilisirter thut, als sie ist. Wir müssen es als ein Ver¬
dienst von Gregvrovius anerkennen, daß er uns in seiner Schrift „Der Himmel
auf Erden" mit grausamer Deutlichkeit die Möglichkeit gezeichnet hat, daß die
Bestie einmal wieder losbrechen könnte. Davor schützen werden uns am
wenigsten die, die das liebe Tierchen streicheln und als harmlos darstellen.
Aber vielleicht auch die nicht, die jetzt die christliche Weltanschauung und die
christliche Ethik als das letzte und einzige Hilfsmittel preisen.
Wenn die christliche Ethik nicht die Kraft haben sollte, einen äußersten
Verfall aufzuhalten, so schelten wir sie darum ebenso wenig, als wir das Brot
dafür verantwortlich machen, daß Leute am Branntwein zu Grunde gehen.
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