Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.sirende Moral, zu der sich auch Plaw mit seiner freiwilligen, doch nur in Das besondre der christlichen Sittenlehre besteht also nicht darin, daß sirende Moral, zu der sich auch Plaw mit seiner freiwilligen, doch nur in Das besondre der christlichen Sittenlehre besteht also nicht darin, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212681"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_676" prev="#ID_675"> sirende Moral, zu der sich auch Plaw mit seiner freiwilligen, doch nur in<lb/> seiner Republik geltenden Gerechtigkeit uicht erhob. Uns ist dies Wort ein Ge¬<lb/> meinplatz geworden, man findet es in jedermanns Munde, die Logen Habens zur<lb/> Religion gemacht, und alle, denen es zu unbequem ist, etwas bestimmtes kleines<lb/> für den Nächsten zu thun, verstecken sich hinter diesem höchsten Gebot und reden<lb/> sich ein, ein Gefühl allgemeiner Menschenliebe sei christliche Ethik. Aber das<lb/> ist ein Mißbrauch. Der christlichen Ethik liegt nichts ferner als Gefühls¬<lb/> seligkeit, sie ist durch und durch praktisch. Ein gewisser Zug der Unthätigkeit<lb/> ist erst später durch die Mystik oder durch die Dogmatik hineingetragen worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_677"> Das besondre der christlichen Sittenlehre besteht also nicht darin, daß<lb/> der Kreis der Pflichten erweitert worden wäre — was fehlt mir noch? fragt<lb/> der reiche Jüngling des Evangeliums, und Christus verweist ihn auf die alten<lb/> zehn Gebote und fordert deren Erfüllung, aber im tiefern Sinne —, das be¬<lb/> sondre ist die Kraft des Beweggrundes, die sie schafft. Wir können hier nicht<lb/> an der Frage vorübergehn, ob es zu billigen sei, daß die christliche Moral<lb/> den Lohn als Beweggrund gebraucht. Der Lohn ist als Beweggrund offenbar<lb/> sehr wirksam; aber er ist kein ethisches Motiv. „Man muß das Gute thun<lb/> um des Guten willen." Aber was bedeutet diese „rein ethische" Formel<lb/> anders als: um. des Lohnes willen, der in dem Bewußtsein einer guten That<lb/> liegt. Genau dasselbe ist im Evangelium gemeint, wenn wir lesen: Es wird euch<lb/> solches alles wohl gelvhnet werden, denn es steht dabei: im Himmel, worunter<lb/> der Zustand der sittlichen Vollendung gemeint ist. Die das Gute thun, um<lb/> von deu Leuten gelobt oder belohnt zu werden, haben nach dem Worte Christi<lb/> ihren Lohn dahin. Doch soll nicht bestritten werden, daß die christliche Moral<lb/> nicht bloß den Lohn kennt, der im Himmel ist oder von Gott als dem höchsten<lb/> Gute gespendet wird. Das entspricht ganz der Art der christlichen Ethik;<lb/> die sich nicht bloß an die erleuchteten Geister wendet, sondern auch an die<lb/> Kinder. Die meisten Menschen bleiben ja zeitlebens Kinder. Ans Kinder<lb/> aber machen rein ethische Beweggründe gar keinen Eindruck, sondern nur Lohn<lb/> und Strafe. Die in der That selbst liegende Belohnung verstehe,? sie uicht,<lb/> sie brauchen eine über ihnen stehende lohnende und strafende Autorität, sie<lb/> brauchen auch die Aussicht auf einen Lohn, den sie begreifen können. So<lb/> gut wie Christus die Wahrheiten des Evangeliums in Gleichnisse faßte, so<lb/> stellt er auch deu innern Lohn im Bilde des äußern dar. Er faßt sein Sitten¬<lb/> gesetz in die volkstümliche und allgemein verständliche Regel zusammen: Alles,<lb/> was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihnen auch. Hier<lb/> wird sogar der Egoismus zu einem Maßstabe und Beweggründe selbstlosen<lb/> Handelns genommen. Es ist genau dasselbe, wie wenn Christus im Gleich¬<lb/> nisse sagt: Machet euch Freunde im Himmel mit dem Mammon der Un¬<lb/> gerechtigkeit. Der Eudämonismus im Christentum bedeutet also eine sittliche<lb/> Vorstufe, in der der äußere Lohn gleichnisweise vor dem innern steht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0205]
sirende Moral, zu der sich auch Plaw mit seiner freiwilligen, doch nur in
seiner Republik geltenden Gerechtigkeit uicht erhob. Uns ist dies Wort ein Ge¬
meinplatz geworden, man findet es in jedermanns Munde, die Logen Habens zur
Religion gemacht, und alle, denen es zu unbequem ist, etwas bestimmtes kleines
für den Nächsten zu thun, verstecken sich hinter diesem höchsten Gebot und reden
sich ein, ein Gefühl allgemeiner Menschenliebe sei christliche Ethik. Aber das
ist ein Mißbrauch. Der christlichen Ethik liegt nichts ferner als Gefühls¬
seligkeit, sie ist durch und durch praktisch. Ein gewisser Zug der Unthätigkeit
ist erst später durch die Mystik oder durch die Dogmatik hineingetragen worden.
Das besondre der christlichen Sittenlehre besteht also nicht darin, daß
der Kreis der Pflichten erweitert worden wäre — was fehlt mir noch? fragt
der reiche Jüngling des Evangeliums, und Christus verweist ihn auf die alten
zehn Gebote und fordert deren Erfüllung, aber im tiefern Sinne —, das be¬
sondre ist die Kraft des Beweggrundes, die sie schafft. Wir können hier nicht
an der Frage vorübergehn, ob es zu billigen sei, daß die christliche Moral
den Lohn als Beweggrund gebraucht. Der Lohn ist als Beweggrund offenbar
sehr wirksam; aber er ist kein ethisches Motiv. „Man muß das Gute thun
um des Guten willen." Aber was bedeutet diese „rein ethische" Formel
anders als: um. des Lohnes willen, der in dem Bewußtsein einer guten That
liegt. Genau dasselbe ist im Evangelium gemeint, wenn wir lesen: Es wird euch
solches alles wohl gelvhnet werden, denn es steht dabei: im Himmel, worunter
der Zustand der sittlichen Vollendung gemeint ist. Die das Gute thun, um
von deu Leuten gelobt oder belohnt zu werden, haben nach dem Worte Christi
ihren Lohn dahin. Doch soll nicht bestritten werden, daß die christliche Moral
nicht bloß den Lohn kennt, der im Himmel ist oder von Gott als dem höchsten
Gute gespendet wird. Das entspricht ganz der Art der christlichen Ethik;
die sich nicht bloß an die erleuchteten Geister wendet, sondern auch an die
Kinder. Die meisten Menschen bleiben ja zeitlebens Kinder. Ans Kinder
aber machen rein ethische Beweggründe gar keinen Eindruck, sondern nur Lohn
und Strafe. Die in der That selbst liegende Belohnung verstehe,? sie uicht,
sie brauchen eine über ihnen stehende lohnende und strafende Autorität, sie
brauchen auch die Aussicht auf einen Lohn, den sie begreifen können. So
gut wie Christus die Wahrheiten des Evangeliums in Gleichnisse faßte, so
stellt er auch deu innern Lohn im Bilde des äußern dar. Er faßt sein Sitten¬
gesetz in die volkstümliche und allgemein verständliche Regel zusammen: Alles,
was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihnen auch. Hier
wird sogar der Egoismus zu einem Maßstabe und Beweggründe selbstlosen
Handelns genommen. Es ist genau dasselbe, wie wenn Christus im Gleich¬
nisse sagt: Machet euch Freunde im Himmel mit dem Mammon der Un¬
gerechtigkeit. Der Eudämonismus im Christentum bedeutet also eine sittliche
Vorstufe, in der der äußere Lohn gleichnisweise vor dem innern steht.
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