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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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fremden und würdigen Stoff geboten, sie dafür gewonnen hat und dessen nähere
Folgen schon als wohlthätig sich zeigen, dessen entferntere Folgen man noch nicht
ahnen kann.

Ter gestrige Abend war wirklich ein überaus schöner und sein Schluß ins
Innerste greifend. Mehr darüber vielleicht mündlich: genug, meine Kräfte reichten
aus und Alles lies glücklich zu Eude. Heute endige ich nun auch das zweite --
jenes Goethesche Geschäft; dann neige sich Alles dem Abschiede zu. Ich schreibe
dies einfache Wort in einer sonderbaren Mischung der Gefühle. Wie so Alles
dahingeht, an das Dahingehende sich ein Neues knüpft: Jedes gut und schön,
wenn wir es also zu fassen und zu gestalten wissen; wenn es in uns steht, wie
es soll, daß wir es also zu fassen und zu gestalten vermögen! Nichts aber ohne
treue Prüfung und Darbringer seiner Selbstigkeit! wohin denn paßt, was schon
das Urdocument unsrer heiligen Schriften sagt: "Solche Mühe hat Gott den
Menschen gegeben auf Erden." -- Doch genug! Es hat eben früh 6 Uhr ge¬
schlagen: bald werde ich ein Schreiben von Deiner lieben Hand in der meinigen
halten. Dies wird meinen Blick mehr von dem abwenden, was dahingeht und an
das heften, was nen sich wieder anknüpft -- wie schon gesagt: Jedes gut und
schön, unter den angegebnen Bedingungen; und diese will ich redlich erfüllen.




Der erwünschte Brief -- sogar ein zwiefacher -- ist gekommen: aber er
bringt mir nicht die erwünschte Nachricht von Deinem Wohlbefinden, liebste Hen-
riette, und wirft damit einen trüben Schatten in mein Inneres -- eben darum
auch über mein Äußeres. Zwar hat die freundliche Marie versucht, ihn nufzu-
helleu; ich bemühe mich auch ihre beruhigenden Ansichten mir anzueignen: es will
mir aber noch nicht recht gelingen. Darum will ich auch lieber zu schreiben ab¬
brechen; und ich kann es um so eher, da wir ja deu Dienstag, wenn auch spät
am Abend, einander sehen. Gebe Gott, daß es in Heiterkeit geschehen könne. Bis
dahin Allen, vom Ersten bis zum Letzten, meine herzlichen Grüße. Mit treuem
Antheil der Liebe und Freundschaft


Dein Rchz.

Den Briefen selbst ist nichts hinzuzufügen. Wie sie tren und doch so ge¬
winnend den Charakter ihres Schreibers spiegeln, so gewähren sie ein höchst
anschauliches Bild der kleinen Welt, in der sie sich bewegen, der Zustände und
Stimmungen, die in Weimar in den ersten Monaten nach Goethes Tode vor¬
herrschten, sie bleiben liebenswürdige Zeugnisse einer .-Zeit, die zwar schon
sechzig Jahre hinter uns liegt, aber doch denen nicht fremd geworden ist, die
es wissen und festhalten, wie segensreich die Bildung jener Zeit auf die Menschen
jener Zeit gewirkt hatte, in denen sie reif geworden und rein geblieben war.
Daß Friedrich Rochlitz zu diesen Menschen in erster Reihe gehörte, ist schon
oft zur Genüge gesagt worden und braucht am wenigsten hier angesichts dieser
Briefe wiederholt zu werden.




fremden und würdigen Stoff geboten, sie dafür gewonnen hat und dessen nähere
Folgen schon als wohlthätig sich zeigen, dessen entferntere Folgen man noch nicht
ahnen kann.

Ter gestrige Abend war wirklich ein überaus schöner und sein Schluß ins
Innerste greifend. Mehr darüber vielleicht mündlich: genug, meine Kräfte reichten
aus und Alles lies glücklich zu Eude. Heute endige ich nun auch das zweite —
jenes Goethesche Geschäft; dann neige sich Alles dem Abschiede zu. Ich schreibe
dies einfache Wort in einer sonderbaren Mischung der Gefühle. Wie so Alles
dahingeht, an das Dahingehende sich ein Neues knüpft: Jedes gut und schön,
wenn wir es also zu fassen und zu gestalten wissen; wenn es in uns steht, wie
es soll, daß wir es also zu fassen und zu gestalten vermögen! Nichts aber ohne
treue Prüfung und Darbringer seiner Selbstigkeit! wohin denn paßt, was schon
das Urdocument unsrer heiligen Schriften sagt: „Solche Mühe hat Gott den
Menschen gegeben auf Erden." — Doch genug! Es hat eben früh 6 Uhr ge¬
schlagen: bald werde ich ein Schreiben von Deiner lieben Hand in der meinigen
halten. Dies wird meinen Blick mehr von dem abwenden, was dahingeht und an
das heften, was nen sich wieder anknüpft — wie schon gesagt: Jedes gut und
schön, unter den angegebnen Bedingungen; und diese will ich redlich erfüllen.




Der erwünschte Brief — sogar ein zwiefacher — ist gekommen: aber er
bringt mir nicht die erwünschte Nachricht von Deinem Wohlbefinden, liebste Hen-
riette, und wirft damit einen trüben Schatten in mein Inneres — eben darum
auch über mein Äußeres. Zwar hat die freundliche Marie versucht, ihn nufzu-
helleu; ich bemühe mich auch ihre beruhigenden Ansichten mir anzueignen: es will
mir aber noch nicht recht gelingen. Darum will ich auch lieber zu schreiben ab¬
brechen; und ich kann es um so eher, da wir ja deu Dienstag, wenn auch spät
am Abend, einander sehen. Gebe Gott, daß es in Heiterkeit geschehen könne. Bis
dahin Allen, vom Ersten bis zum Letzten, meine herzlichen Grüße. Mit treuem
Antheil der Liebe und Freundschaft


Dein Rchz.

Den Briefen selbst ist nichts hinzuzufügen. Wie sie tren und doch so ge¬
winnend den Charakter ihres Schreibers spiegeln, so gewähren sie ein höchst
anschauliches Bild der kleinen Welt, in der sie sich bewegen, der Zustände und
Stimmungen, die in Weimar in den ersten Monaten nach Goethes Tode vor¬
herrschten, sie bleiben liebenswürdige Zeugnisse einer .-Zeit, die zwar schon
sechzig Jahre hinter uns liegt, aber doch denen nicht fremd geworden ist, die
es wissen und festhalten, wie segensreich die Bildung jener Zeit auf die Menschen
jener Zeit gewirkt hatte, in denen sie reif geworden und rein geblieben war.
Daß Friedrich Rochlitz zu diesen Menschen in erster Reihe gehörte, ist schon
oft zur Genüge gesagt worden und braucht am wenigsten hier angesichts dieser
Briefe wiederholt zu werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/182>, abgerufen am 06.01.2025.