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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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sich auch gehütet, die besten Geschütze der Welt aus der eignen Werkstatt in
Essen an alle Staaten, die sie wünschen, verkaufen zu lassen; man Hütte auf
den aus dem Verkauf nach auswärts dem Herrn Krupp und der unter ihm
arbeitenden Menge zufließenden Gewinn verzichtet, um sich die Überlegenheit
der eignen Geschütze über fremde möglichst lange zu erhalten. Heute ist man
darin sorgloser, man ist auch weniger imstande zu verhindern, daß irgend eine
Erfindung oder Entdeckung sofort Eigentum aller kulturverwandteu Völker werde.

Eine Folge dieser Fähigkeit freier und schneller Verbreitung der indu¬
striellen Produktionsmittel ist, daß sich die Sicherheit und Stetigkeit der Ab¬
satzgebiete vermindert haben. Jahrhundertelang besaßen die alten Kulturstaaten
Europas das Monopol der Industrie sür Osteuropa, Amerika, einen Teil
Asiens, jahrhundertelang hat England zäh und rücksichtslos sein Monopol
der Fabrikarbeit nicht nur gegenüber seinen Kolonien, sondern auch Spanien,
Portugal, der Türkei gegenüber festgehalten, was ihm hauptsächlich die Mög¬
lichkeit gewährte, große Reichtümer, aber auch eine außerordentliche Arbeiter¬
menge in seinen Grenzen anzuhäufen. Die Monopolisirung der industriellen
Produktion in diesem Sinne ist in neuerer Zeit geschwunden, und an ihre Stelle
ist das eifrige Bestreben der Staaten getreten, sich möglichst schnell und
möglichst vollständig industriell selbständig zu machen; das heißt: jeder Staat
sucht die Industrie bei sich aufs lebhafteste zu fördern und die Einfuhr in¬
dustrieller Erzeugnisse zu beschränken. So schließt sich Rußland seit Jahr¬
zehnten industriell immer mehr ab, so hat Nordamerika ziemlich plötzlich durch
die neueste Zollpolitik aufgehört, der offne Markt für alle Fabrikate Europas
zu sein. Ein Beschluß der Regierung irgend eines Landes der fünf Welt¬
teile, ans den unsre Regierung keinerlei Einfluß hat, kann plötzlich den ver¬
derblichsten Einfluß auf Hunderttausende, ja Millionen deutscher Bürger üben,
weil sie bisher von dem Verkauf ihrer Fabrikate an jenen Staat lebten und
nun ihres Absatzes beraubt worden sind. Solche Wirkung auf einige Staaten
Europas haben wir vor kurzem bei Gelegenheit der Mac Kinley-Bill erlebt.
Der Gang der Entwicklung zum Industriestaat führt zur Anhäufung von
Reichtümern, aber auch zu erschütternden Rückschlägen und zu sozialen Mi߬
stünden, die unter Umständen die Wohlthat des aufgehäuften Geldes cuchviegen
können. Ja ich meine, daß ein Volk, das sich vorwiegend von Industrie
nährt, sich ungesund nährt und stets einer tötlichen Krankheit ausgesetzt ist.
Es gleicht dem Schmarotzer: fehlt oder verschwindet der fremde Körper, von
dem es zehrt, so geht es zu Grunde. Und heute bemühen sich die fremden
Nährkörper sämtlich, so schleunig als möglich zu verschwunden.

Ein gesundes Verhältnis, scheint mir, wäre es, wenn die Industrie eines
Landes ihren Schwerpunkt im Lande selbst, im Absatz daheim hätte, und die
Ausfuhr nur in zweiter Reihe stünde. Von dem Augenblick an, wo die In¬
dustrie ohne die Ausfuhr uicht mehr lebensfähig wäre, wo der Überschuß an


sich auch gehütet, die besten Geschütze der Welt aus der eignen Werkstatt in
Essen an alle Staaten, die sie wünschen, verkaufen zu lassen; man Hütte auf
den aus dem Verkauf nach auswärts dem Herrn Krupp und der unter ihm
arbeitenden Menge zufließenden Gewinn verzichtet, um sich die Überlegenheit
der eignen Geschütze über fremde möglichst lange zu erhalten. Heute ist man
darin sorgloser, man ist auch weniger imstande zu verhindern, daß irgend eine
Erfindung oder Entdeckung sofort Eigentum aller kulturverwandteu Völker werde.

Eine Folge dieser Fähigkeit freier und schneller Verbreitung der indu¬
striellen Produktionsmittel ist, daß sich die Sicherheit und Stetigkeit der Ab¬
satzgebiete vermindert haben. Jahrhundertelang besaßen die alten Kulturstaaten
Europas das Monopol der Industrie sür Osteuropa, Amerika, einen Teil
Asiens, jahrhundertelang hat England zäh und rücksichtslos sein Monopol
der Fabrikarbeit nicht nur gegenüber seinen Kolonien, sondern auch Spanien,
Portugal, der Türkei gegenüber festgehalten, was ihm hauptsächlich die Mög¬
lichkeit gewährte, große Reichtümer, aber auch eine außerordentliche Arbeiter¬
menge in seinen Grenzen anzuhäufen. Die Monopolisirung der industriellen
Produktion in diesem Sinne ist in neuerer Zeit geschwunden, und an ihre Stelle
ist das eifrige Bestreben der Staaten getreten, sich möglichst schnell und
möglichst vollständig industriell selbständig zu machen; das heißt: jeder Staat
sucht die Industrie bei sich aufs lebhafteste zu fördern und die Einfuhr in¬
dustrieller Erzeugnisse zu beschränken. So schließt sich Rußland seit Jahr¬
zehnten industriell immer mehr ab, so hat Nordamerika ziemlich plötzlich durch
die neueste Zollpolitik aufgehört, der offne Markt für alle Fabrikate Europas
zu sein. Ein Beschluß der Regierung irgend eines Landes der fünf Welt¬
teile, ans den unsre Regierung keinerlei Einfluß hat, kann plötzlich den ver¬
derblichsten Einfluß auf Hunderttausende, ja Millionen deutscher Bürger üben,
weil sie bisher von dem Verkauf ihrer Fabrikate an jenen Staat lebten und
nun ihres Absatzes beraubt worden sind. Solche Wirkung auf einige Staaten
Europas haben wir vor kurzem bei Gelegenheit der Mac Kinley-Bill erlebt.
Der Gang der Entwicklung zum Industriestaat führt zur Anhäufung von
Reichtümern, aber auch zu erschütternden Rückschlägen und zu sozialen Mi߬
stünden, die unter Umständen die Wohlthat des aufgehäuften Geldes cuchviegen
können. Ja ich meine, daß ein Volk, das sich vorwiegend von Industrie
nährt, sich ungesund nährt und stets einer tötlichen Krankheit ausgesetzt ist.
Es gleicht dem Schmarotzer: fehlt oder verschwindet der fremde Körper, von
dem es zehrt, so geht es zu Grunde. Und heute bemühen sich die fremden
Nährkörper sämtlich, so schleunig als möglich zu verschwunden.

Ein gesundes Verhältnis, scheint mir, wäre es, wenn die Industrie eines
Landes ihren Schwerpunkt im Lande selbst, im Absatz daheim hätte, und die
Ausfuhr nur in zweiter Reihe stünde. Von dem Augenblick an, wo die In¬
dustrie ohne die Ausfuhr uicht mehr lebensfähig wäre, wo der Überschuß an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/162>, abgerufen am 06.01.2025.