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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Der Antisemitismus in Hessen

Mindern der russischen und österreichischen Juden zu verhindern. Mit denen,
die wir bis jetzt haben, wollen wir schon fertig werden. Wir können sie auch
nicht entbehren. Setzen wir einmal den Fall, über Nacht seien Böckels kühnste
Wünsche in Erfüllung gegangen und die Juden alle tot oder jenseits der
Grenze, man würde sie schwer vermissen. Unser Handel, unser Verkehr kann
gegenwärtig ohne den Juden gar nicht bestehen. Unser Volk muß besser
erzogen werden, und das kann ganz gut geschehen, auch wenn die Semiten
bei uns bleiben. Selbst von dem unbarmherzigen Landwucherer kann man
noch Gutes lernen. Nie sieht man einen solchen Juden betrunken; Tag und
Nacht ist er bei seinem Geschäft. Im Judenhause lebt meist noch Gehorsam
und Pietät. So grausam der Jude dem verschuldeten Bauern das Fell über
die Ohren zieht, so zärtlich und besorgt ist er als Gatte und Vater.

Was soll aus dem ganzen Dinge noch werden? Man mache sich in
Darmstadt nicht zu viel Sorgen. Die Bewegung wird von selbst in ruhigere
Bahnen kommen. Es wird schließlich nicht anders werden, als wie es nach
Buschs Buche einst Bismarck in Versailles sagte. Wir werden uns die Juden
"eingliedern," die Autisemitenfrage wird verschwinden. Und zwar, indem wir
das Beispiel befolgen, das längst von unserm höchsten und ältesten Adel
gegeben wird.

In der zweiten hessischen Kammer hat neulich ein nationalliberaler Ab¬
geordneter vom Lande für das Berechtigte im Antisemitismus ein gutes Wort
gesprochen und davor gewarnt, die Antisemiten wie die Sozialdemokraten zu
behandeln und zu bekämpfen. Das Wort des wackern Mannes wird gewiß
nicht vergebens gesprochen sein. Zunächst ist es schon eine ganz gute Wirkung
des Antisemitismus, daß das Judentum jetzt auch in Hessen anfängt, zurück¬
haltender und bescheidner zu werden. Und wenn die oberhessischen Bauern
wenig darüber erbaut sind, daß die Negierung so entschieden gegen sie vor¬
geht, sie sind und bleiben doch das treueste Volk, das es giebt. Sie danken
der Regierung, daß sie bis dahin das Beamtentum judenrein gehalten hat,
und sie hoffen von ihr, wenn auch jetzt noch nicht, so doch spater, Berück¬
sichtigung ihrer Klagen und Wünsche.




Der Antisemitismus in Hessen

Mindern der russischen und österreichischen Juden zu verhindern. Mit denen,
die wir bis jetzt haben, wollen wir schon fertig werden. Wir können sie auch
nicht entbehren. Setzen wir einmal den Fall, über Nacht seien Böckels kühnste
Wünsche in Erfüllung gegangen und die Juden alle tot oder jenseits der
Grenze, man würde sie schwer vermissen. Unser Handel, unser Verkehr kann
gegenwärtig ohne den Juden gar nicht bestehen. Unser Volk muß besser
erzogen werden, und das kann ganz gut geschehen, auch wenn die Semiten
bei uns bleiben. Selbst von dem unbarmherzigen Landwucherer kann man
noch Gutes lernen. Nie sieht man einen solchen Juden betrunken; Tag und
Nacht ist er bei seinem Geschäft. Im Judenhause lebt meist noch Gehorsam
und Pietät. So grausam der Jude dem verschuldeten Bauern das Fell über
die Ohren zieht, so zärtlich und besorgt ist er als Gatte und Vater.

Was soll aus dem ganzen Dinge noch werden? Man mache sich in
Darmstadt nicht zu viel Sorgen. Die Bewegung wird von selbst in ruhigere
Bahnen kommen. Es wird schließlich nicht anders werden, als wie es nach
Buschs Buche einst Bismarck in Versailles sagte. Wir werden uns die Juden
„eingliedern," die Autisemitenfrage wird verschwinden. Und zwar, indem wir
das Beispiel befolgen, das längst von unserm höchsten und ältesten Adel
gegeben wird.

In der zweiten hessischen Kammer hat neulich ein nationalliberaler Ab¬
geordneter vom Lande für das Berechtigte im Antisemitismus ein gutes Wort
gesprochen und davor gewarnt, die Antisemiten wie die Sozialdemokraten zu
behandeln und zu bekämpfen. Das Wort des wackern Mannes wird gewiß
nicht vergebens gesprochen sein. Zunächst ist es schon eine ganz gute Wirkung
des Antisemitismus, daß das Judentum jetzt auch in Hessen anfängt, zurück¬
haltender und bescheidner zu werden. Und wenn die oberhessischen Bauern
wenig darüber erbaut sind, daß die Negierung so entschieden gegen sie vor¬
geht, sie sind und bleiben doch das treueste Volk, das es giebt. Sie danken
der Regierung, daß sie bis dahin das Beamtentum judenrein gehalten hat,
und sie hoffen von ihr, wenn auch jetzt noch nicht, so doch spater, Berück¬
sichtigung ihrer Klagen und Wünsche.




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[0160] Der Antisemitismus in Hessen Mindern der russischen und österreichischen Juden zu verhindern. Mit denen, die wir bis jetzt haben, wollen wir schon fertig werden. Wir können sie auch nicht entbehren. Setzen wir einmal den Fall, über Nacht seien Böckels kühnste Wünsche in Erfüllung gegangen und die Juden alle tot oder jenseits der Grenze, man würde sie schwer vermissen. Unser Handel, unser Verkehr kann gegenwärtig ohne den Juden gar nicht bestehen. Unser Volk muß besser erzogen werden, und das kann ganz gut geschehen, auch wenn die Semiten bei uns bleiben. Selbst von dem unbarmherzigen Landwucherer kann man noch Gutes lernen. Nie sieht man einen solchen Juden betrunken; Tag und Nacht ist er bei seinem Geschäft. Im Judenhause lebt meist noch Gehorsam und Pietät. So grausam der Jude dem verschuldeten Bauern das Fell über die Ohren zieht, so zärtlich und besorgt ist er als Gatte und Vater. Was soll aus dem ganzen Dinge noch werden? Man mache sich in Darmstadt nicht zu viel Sorgen. Die Bewegung wird von selbst in ruhigere Bahnen kommen. Es wird schließlich nicht anders werden, als wie es nach Buschs Buche einst Bismarck in Versailles sagte. Wir werden uns die Juden „eingliedern," die Autisemitenfrage wird verschwinden. Und zwar, indem wir das Beispiel befolgen, das längst von unserm höchsten und ältesten Adel gegeben wird. In der zweiten hessischen Kammer hat neulich ein nationalliberaler Ab¬ geordneter vom Lande für das Berechtigte im Antisemitismus ein gutes Wort gesprochen und davor gewarnt, die Antisemiten wie die Sozialdemokraten zu behandeln und zu bekämpfen. Das Wort des wackern Mannes wird gewiß nicht vergebens gesprochen sein. Zunächst ist es schon eine ganz gute Wirkung des Antisemitismus, daß das Judentum jetzt auch in Hessen anfängt, zurück¬ haltender und bescheidner zu werden. Und wenn die oberhessischen Bauern wenig darüber erbaut sind, daß die Negierung so entschieden gegen sie vor¬ geht, sie sind und bleiben doch das treueste Volk, das es giebt. Sie danken der Regierung, daß sie bis dahin das Beamtentum judenrein gehalten hat, und sie hoffen von ihr, wenn auch jetzt noch nicht, so doch spater, Berück¬ sichtigung ihrer Klagen und Wünsche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/160>, abgerufen am 06.01.2025.