Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches mögen; sobald sie darüber hinansstrebte und Biologie wurde, verlor sie den Boden Aber selbst wenn die verwerfliche Tendenz fehlte, die Grundlagen der exakten Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig Pcrlag von Fr, Wilh. Grunow in^Leipzin -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Maßgebliches und Unmaßgebliches mögen; sobald sie darüber hinansstrebte und Biologie wurde, verlor sie den Boden Aber selbst wenn die verwerfliche Tendenz fehlte, die Grundlagen der exakten Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig Pcrlag von Fr, Wilh. Grunow in^Leipzin — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212628"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_464" prev="#ID_463"> mögen; sobald sie darüber hinansstrebte und Biologie wurde, verlor sie den Boden<lb/> unter den Füßen und hörte auf, eine Wissenschaft zu sein. Wehe dem jungen<lb/> Manne, dem die Dichtungen Häckels als Lehrbücher der Naturwissenschaften em¬<lb/> pfohlen werden! Dieser junge Mann wird niemals Phantasien von Thatsachen<lb/> und Wirkungen von Ursachen unterscheiden lernen; er wird sich daran gewöhnen,<lb/> das zu beweisende ganz gemütlich als bewiesen vorauszusetzen, und er wird weder<lb/> in der Naturwissenschaft noch in irgend einem andern Gebiete des Wissens oder<lb/> des Lebens jemals genau und richtig denken lernen.</p><lb/> <p xml:id="ID_465"> Aber selbst wenn die verwerfliche Tendenz fehlte, die Grundlagen der exakten<lb/> Wissenschaft zu Gunsten von Modetheorien und Liebliugsmeinuugen zu zerstören,<lb/> würden wir nicht dazu raten, die Naturbeschreibung bis in die Prima hinauf zu<lb/> führen und den jungen Leuten mit den Geschichten Darwins, Lnbbocks und Häckels<lb/> von Regenwürmern, Ameisen, Schlupfwespen, Quallen, von Zuchtwahl und Kampf<lb/> uns Dasein, von Symbiose und Mimiery die. kostbare Zeit zu stehlen. Soll denn<lb/> für die freie Thätigkeit gar nichts übrig bleiben? Soll der junge Mann niemals<lb/> die Freude haben, außer der Schule oder nachdem er die Schule verlassen hat,<lb/> manches zu erfahren oder zu lesen, wovon er in der Schule noch nichts vernommen<lb/> hat? Herbart stellt den richtigen Grundsatz auf, daß Dinge, die sich der finge<lb/> Mensch bequem durch Lektüre und Selbststudium aneignen kann, nicht in die Schule<lb/> gehören. Würde demnach von allen politischen Rücksichten abgesehen und die Schule<lb/> uur nach pädagogischen Grundsätzen eingerichtet, so dürften streng genommen nur<lb/> die Anfangsgründe der alten Sprachen und der Mathematik, allenfalls noch das<lb/> Französische gelehrt werden; Physik und Chemie nur darum, weil sich der einzelne<lb/> die zu den Experimenten nötigen Werkzeuge, Apparate und Stoffe nicht anschaffe»<lb/> kann; dazu käme dann noch eine Anleitung zum Beobachten von Naturgegenständen<lb/> und zum Zeichnen. Unsre sozialen Zustände und Staatseinrichtungen zwingen nun<lb/> freilich, über dieses Notwendige Hinanszugehen. Prüfungen werden vorgeschrieben,<lb/> und wer ein Amt erlangen null, der muß sich n. a. eine bestimmte Anzahl von<lb/> Namen, Jahreszahlen, Einwohnerzahlen einpankeu lassen, obwohl das noch lange<lb/> keine Geschichte und Geographie ausmacht, und er viel mehr wirkliche Geschichte<lb/> und Geographie innehaben würde, wenn er ein einziges klassisches Geschichtswerk<lb/> und einige gute Beschreibungen von Ländern und Landschaften durchgelesen hätte,<lb/> ohne sich irgend etwas einzupauken. Also dergleichen Einrichtungen müssen wir<lb/> uus gefallen lassen. Aber man hüte sich, den ohnehin ungehörig ausgedehnten<lb/> Zwang ohne Not uoch weiter auszudehnen! Die „Biologie" enthält nichts, was<lb/> ein mittelmäßiger Kopf nicht ganz leicht verstünde, alle Familienjournnle sind voll<lb/> davon, und dem Primaner, der sich einmal an leichter Lektüre erholen will, flehen<lb/> Büchlein wie etwa die sehr hübschen Naturwissenschaftlichen Plaudereien<lb/> von Dr. E. Butte (Berlin, Georg Reimer, 1891) dutzendweise zur Verfügung.<lb/> Und außerdem, je mehr man die Schüler mit allem möglichen und unmöglichen<lb/> Kram vollstopft, desto seltner werden die Gebildeten werden, die in den Elementen<lb/> fest sind. Eine Wiederholung aller Elemente, der unturwisseuschaftlichen wie aller<lb/> andern, in der Untersekunda und Oberprima könnte nicht schaden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig<lb/> Pcrlag von Fr, Wilh. Grunow in^Leipzin — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
mögen; sobald sie darüber hinansstrebte und Biologie wurde, verlor sie den Boden
unter den Füßen und hörte auf, eine Wissenschaft zu sein. Wehe dem jungen
Manne, dem die Dichtungen Häckels als Lehrbücher der Naturwissenschaften em¬
pfohlen werden! Dieser junge Mann wird niemals Phantasien von Thatsachen
und Wirkungen von Ursachen unterscheiden lernen; er wird sich daran gewöhnen,
das zu beweisende ganz gemütlich als bewiesen vorauszusetzen, und er wird weder
in der Naturwissenschaft noch in irgend einem andern Gebiete des Wissens oder
des Lebens jemals genau und richtig denken lernen.
Aber selbst wenn die verwerfliche Tendenz fehlte, die Grundlagen der exakten
Wissenschaft zu Gunsten von Modetheorien und Liebliugsmeinuugen zu zerstören,
würden wir nicht dazu raten, die Naturbeschreibung bis in die Prima hinauf zu
führen und den jungen Leuten mit den Geschichten Darwins, Lnbbocks und Häckels
von Regenwürmern, Ameisen, Schlupfwespen, Quallen, von Zuchtwahl und Kampf
uns Dasein, von Symbiose und Mimiery die. kostbare Zeit zu stehlen. Soll denn
für die freie Thätigkeit gar nichts übrig bleiben? Soll der junge Mann niemals
die Freude haben, außer der Schule oder nachdem er die Schule verlassen hat,
manches zu erfahren oder zu lesen, wovon er in der Schule noch nichts vernommen
hat? Herbart stellt den richtigen Grundsatz auf, daß Dinge, die sich der finge
Mensch bequem durch Lektüre und Selbststudium aneignen kann, nicht in die Schule
gehören. Würde demnach von allen politischen Rücksichten abgesehen und die Schule
uur nach pädagogischen Grundsätzen eingerichtet, so dürften streng genommen nur
die Anfangsgründe der alten Sprachen und der Mathematik, allenfalls noch das
Französische gelehrt werden; Physik und Chemie nur darum, weil sich der einzelne
die zu den Experimenten nötigen Werkzeuge, Apparate und Stoffe nicht anschaffe»
kann; dazu käme dann noch eine Anleitung zum Beobachten von Naturgegenständen
und zum Zeichnen. Unsre sozialen Zustände und Staatseinrichtungen zwingen nun
freilich, über dieses Notwendige Hinanszugehen. Prüfungen werden vorgeschrieben,
und wer ein Amt erlangen null, der muß sich n. a. eine bestimmte Anzahl von
Namen, Jahreszahlen, Einwohnerzahlen einpankeu lassen, obwohl das noch lange
keine Geschichte und Geographie ausmacht, und er viel mehr wirkliche Geschichte
und Geographie innehaben würde, wenn er ein einziges klassisches Geschichtswerk
und einige gute Beschreibungen von Ländern und Landschaften durchgelesen hätte,
ohne sich irgend etwas einzupauken. Also dergleichen Einrichtungen müssen wir
uus gefallen lassen. Aber man hüte sich, den ohnehin ungehörig ausgedehnten
Zwang ohne Not uoch weiter auszudehnen! Die „Biologie" enthält nichts, was
ein mittelmäßiger Kopf nicht ganz leicht verstünde, alle Familienjournnle sind voll
davon, und dem Primaner, der sich einmal an leichter Lektüre erholen will, flehen
Büchlein wie etwa die sehr hübschen Naturwissenschaftlichen Plaudereien
von Dr. E. Butte (Berlin, Georg Reimer, 1891) dutzendweise zur Verfügung.
Und außerdem, je mehr man die Schüler mit allem möglichen und unmöglichen
Kram vollstopft, desto seltner werden die Gebildeten werden, die in den Elementen
fest sind. Eine Wiederholung aller Elemente, der unturwisseuschaftlichen wie aller
andern, in der Untersekunda und Oberprima könnte nicht schaden.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig
Pcrlag von Fr, Wilh. Grunow in^Leipzin — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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