Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.wenig beleuchten, deren Bedenklichkeit zu begründen unsre Sachkenntnis hin¬ Herr Fricke sprach "über die Wichtigkeit und Verwendbarkeit biologischer Ge¬ Was heißt denn das: biologisch? Ist damit bloß gemeint, daß neben der Von den Naturwissenschaften sind einige exakter, die audern beschreibender wenig beleuchten, deren Bedenklichkeit zu begründen unsre Sachkenntnis hin¬ Herr Fricke sprach „über die Wichtigkeit und Verwendbarkeit biologischer Ge¬ Was heißt denn das: biologisch? Ist damit bloß gemeint, daß neben der Von den Naturwissenschaften sind einige exakter, die audern beschreibender <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212627"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_460" prev="#ID_459"> wenig beleuchten, deren Bedenklichkeit zu begründen unsre Sachkenntnis hin¬<lb/> reichen dürfte.</p><lb/> <p xml:id="ID_461"> Herr Fricke sprach „über die Wichtigkeit und Verwendbarkeit biologischer Ge¬<lb/> sichtspunkte im naturgeschichtlichen Unterricht." Er meinte: „Beobachtung und Be¬<lb/> schreibung können für die Zwecke der Schule am besten mit Hilfe biologischer Ge¬<lb/> sichtspunkte zu einer wirklich planmäßigen erhoben werden, und die Auffindung<lb/> der biologischen Gesetze bietet in demselben Maße, wie Systematik und Morpho¬<lb/> logie, Gelegenheit zum induktiven Denken, wie auch zur Übung in zusammen-<lb/> gesetztern Denkvperntionen. Als biologische Gesichtspunkte für den Unterricht in<lb/> der Tierkunde empfehlen sich namentlich die Gestaltung der Ernährnngs-, Atmnngs-<lb/> und Bewegungsorgnue in ihren Beziehungen zum Aufenthalt und zur Lebensweise<lb/> des Tieres. . .. Bor allem verdienen die Beziehungen der Blumen zu den In¬<lb/> sekten Beachtung, und ebenso die abweichenden Einrichtungen solcher Blüten, deren<lb/> Bestäubung durch den Wind erfolgt. . . . Wenn anch eine biologische Behand¬<lb/> lung der Naturgeschichte an geeigneten Gegenständen schon in den untern Klassen<lb/> mit Erfolg vorgenommen werden kann, so ist doch naturgemäß das reifere Alter<lb/> schou infolge der Kenntnisse auf audern Gebieten der Naturwissenschaft für diese<lb/> Art der denkenden Naturbetrachtung besser geeignet. Eine Wiederherstellung des<lb/> Unterrichts in den obern Klassen ist daher für eine gedeihliche Entwicklung dieses<lb/> Unterrichts im höchsten Grade wünschenswert."</p><lb/> <p xml:id="ID_462"> Was heißt denn das: biologisch? Ist damit bloß gemeint, daß neben der<lb/> Systematik und Morphologie auch die Physiologie zur Geltung kommen, daß außer¬<lb/> dem die Stellung jedes Geschöpfs im Haushalte der Natur, seine Beziehung zu<lb/> andern Geschöpfen, die Zweckmäßigkeit seiner Einrichtung für die Erhaltung seines<lb/> eignen Lebens und für andre Geschöpfe zur Sprache kommeu soll? O nein! Zur<lb/> Bezeichnung einer so alten Sache würde das neue Wort nicht gebraucht werden.<lb/> Sondern nun meint damit, daß das Geschöpf nicht vom Schöpfer zweckmäßig ein¬<lb/> gerichtet, sondern durch Anpassung an die iinßern Verhältnisse, in die seine Vor¬<lb/> fahren geraten sind, zweckmäßig geworden sei, und daß die verschiednen Arten der<lb/> Tiere und Pflanze» allesamt von einfachen „Lebewesen" abstammen, deren Nach¬<lb/> kommenschaft durch Anpassung an verschiedne Umgebungen, Verhältnisse und Lebens-<lb/> bedingungen in eine solche Mille verschiedner Gattungen und Arten auseinander<lb/> gegangen sei. Daß die Schüler nebenbei auch mit dieser Hypothese bekannt ge¬<lb/> macht werden, dagegen hätten wir nichts einzuwenden. Aber daß die Natur¬<lb/> beschreibung „biologisch behandelt," d. h. also daß die Hypothese für wissenschaft¬<lb/> liche Wahrheit ausgegeben werde, darf die Unterrichtsverwaltung nun und nimmer¬<lb/> mehr gestatten, schou aus dem Grnnde nicht, weil dnrch diesen Wechselbalg der<lb/> Begriff der Wissenschaft zerstört, und Schüler, denen Biologie als Wissenschaft ge¬<lb/> lehrt wird, niemals zum Begriff der Wissenschaft gelangen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_463" next="#ID_464"> Von den Naturwissenschaften sind einige exakter, die audern beschreibender<lb/> Art. Den Prüfstein der Exaktheit bildet der Eintritt eines vorbereiteten Erfolges<lb/> (beim physikalischen und chemischen Experiment) oder eines vorausgesagten Ereig¬<lb/> nisses (bei der astronomischen Berechnung). Wenn es den Biologen gelungen sein<lb/> wird, unter der Einwirkung der von ihnen gefundnen äußern Bedingungen Bienen,<lb/> tippen- und röhrenblütige Pflanzen, Insekten von bestimmter Färbung, Parasiten u. s.w.<lb/> entstehen zu lassen, dann wird die Biologie eine exakte Wissenschaft sein, eher nicht;<lb/> bis dahin ist sie ein phantasievvlles Hypothesengcwebe. Die ältere Physiologie<lb/> war, gleich der Anatomie, nur eine beschreibende Wissenschaft; sie wollte nnr be¬<lb/> schreiben, was in der Pflanze, im Tier vorgeht, soweit wir es zu erkennen ver-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
wenig beleuchten, deren Bedenklichkeit zu begründen unsre Sachkenntnis hin¬
reichen dürfte.
Herr Fricke sprach „über die Wichtigkeit und Verwendbarkeit biologischer Ge¬
sichtspunkte im naturgeschichtlichen Unterricht." Er meinte: „Beobachtung und Be¬
schreibung können für die Zwecke der Schule am besten mit Hilfe biologischer Ge¬
sichtspunkte zu einer wirklich planmäßigen erhoben werden, und die Auffindung
der biologischen Gesetze bietet in demselben Maße, wie Systematik und Morpho¬
logie, Gelegenheit zum induktiven Denken, wie auch zur Übung in zusammen-
gesetztern Denkvperntionen. Als biologische Gesichtspunkte für den Unterricht in
der Tierkunde empfehlen sich namentlich die Gestaltung der Ernährnngs-, Atmnngs-
und Bewegungsorgnue in ihren Beziehungen zum Aufenthalt und zur Lebensweise
des Tieres. . .. Bor allem verdienen die Beziehungen der Blumen zu den In¬
sekten Beachtung, und ebenso die abweichenden Einrichtungen solcher Blüten, deren
Bestäubung durch den Wind erfolgt. . . . Wenn anch eine biologische Behand¬
lung der Naturgeschichte an geeigneten Gegenständen schon in den untern Klassen
mit Erfolg vorgenommen werden kann, so ist doch naturgemäß das reifere Alter
schou infolge der Kenntnisse auf audern Gebieten der Naturwissenschaft für diese
Art der denkenden Naturbetrachtung besser geeignet. Eine Wiederherstellung des
Unterrichts in den obern Klassen ist daher für eine gedeihliche Entwicklung dieses
Unterrichts im höchsten Grade wünschenswert."
Was heißt denn das: biologisch? Ist damit bloß gemeint, daß neben der
Systematik und Morphologie auch die Physiologie zur Geltung kommen, daß außer¬
dem die Stellung jedes Geschöpfs im Haushalte der Natur, seine Beziehung zu
andern Geschöpfen, die Zweckmäßigkeit seiner Einrichtung für die Erhaltung seines
eignen Lebens und für andre Geschöpfe zur Sprache kommeu soll? O nein! Zur
Bezeichnung einer so alten Sache würde das neue Wort nicht gebraucht werden.
Sondern nun meint damit, daß das Geschöpf nicht vom Schöpfer zweckmäßig ein¬
gerichtet, sondern durch Anpassung an die iinßern Verhältnisse, in die seine Vor¬
fahren geraten sind, zweckmäßig geworden sei, und daß die verschiednen Arten der
Tiere und Pflanze» allesamt von einfachen „Lebewesen" abstammen, deren Nach¬
kommenschaft durch Anpassung an verschiedne Umgebungen, Verhältnisse und Lebens-
bedingungen in eine solche Mille verschiedner Gattungen und Arten auseinander
gegangen sei. Daß die Schüler nebenbei auch mit dieser Hypothese bekannt ge¬
macht werden, dagegen hätten wir nichts einzuwenden. Aber daß die Natur¬
beschreibung „biologisch behandelt," d. h. also daß die Hypothese für wissenschaft¬
liche Wahrheit ausgegeben werde, darf die Unterrichtsverwaltung nun und nimmer¬
mehr gestatten, schou aus dem Grnnde nicht, weil dnrch diesen Wechselbalg der
Begriff der Wissenschaft zerstört, und Schüler, denen Biologie als Wissenschaft ge¬
lehrt wird, niemals zum Begriff der Wissenschaft gelangen können.
Von den Naturwissenschaften sind einige exakter, die audern beschreibender
Art. Den Prüfstein der Exaktheit bildet der Eintritt eines vorbereiteten Erfolges
(beim physikalischen und chemischen Experiment) oder eines vorausgesagten Ereig¬
nisses (bei der astronomischen Berechnung). Wenn es den Biologen gelungen sein
wird, unter der Einwirkung der von ihnen gefundnen äußern Bedingungen Bienen,
tippen- und röhrenblütige Pflanzen, Insekten von bestimmter Färbung, Parasiten u. s.w.
entstehen zu lassen, dann wird die Biologie eine exakte Wissenschaft sein, eher nicht;
bis dahin ist sie ein phantasievvlles Hypothesengcwebe. Die ältere Physiologie
war, gleich der Anatomie, nur eine beschreibende Wissenschaft; sie wollte nnr be¬
schreiben, was in der Pflanze, im Tier vorgeht, soweit wir es zu erkennen ver-
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