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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universttätsleben

zu ihm zu kommen. Nun kommen Sie nur gleich mit! Sie haben übrigens
Ihren Hut bei uns gelassen.

Ich griff nach meinem Hute. Wahrhaftig, es war ein fremder, und das
merkte ich erst jetzt! Sie lachte -- es klang mir in dem alten Gewölbe wie
Engelsgesang. Dann gingen wir nach ihrer Wohnung. Dieser Weg aber wurde
für mich der Anfang eines neuen Lebens: ich bin der glücklichste Mensch
geworden, sehen Sie, und das alles nur durch den alten Kreuzgang!

Der Pfarrer machte eine kleine Pause und stellte seine Pfeife weg.

Was ist denn aus Fräulein Müller geworden? fragten nur gespannt.

Da kommt sie ja! rief der Pfarrer fröhlich lachend und wies auf die
eben geöffnete Thür, wo die Frau Pfarrerin mit einer Kvsteprobe duftenden
heißen Speckkuchens erschien. Er eilte ans sie zu, nahm ihr den Teller ub und
gab ihr einen herzhaften Kuß.

Die Frau Pfarrerin wußte gar nicht, wie ihr geschah, sie wurde rot
vor Verlegenheit und wehrte ihn mit einem Blick ans uns etwas unwillig ab.

Aber er rief: Laß nur, vor denen haben wir keine Geheimnisse, das sind
Leipziger! Prosit, meine Herren! Stoßt an! Leipzig soll leben, Hurra hoch!

Es war spät geworden, als wir uns von den lieben Pfarrerslcuten
verabschiedeten. Wir hatten zwei Meilen Wegs "ach unserm Städtchen zurück¬
zulegen und schickten uns an, den Weg durch die entzückende Sommernacht
zu Fuß zu machen. Aber davon wollte der Pfarrer nichts wissen; er ließ
die Braunen anspannen, der Knecht schwang sich auf den Wagen, und fort
gings über das holprige Dvrfpftaster nach der Chaussee. Wir fuhren eine
kurze Strecke, dann bog der Wagen links in eine Landstraße, die uns durch
eine" dichten Buchenwald führte.

Der Weg war etwas sandig, und der Wagen bewegte sich langsam vor¬
wärts. Die feierliche Stille, die milde Luft, das zauberische Mondlicht, das
durch die Wipfel flutete, der lebendige, beseligende Eindruck, den das freund¬
liche Pfarrhaus mit seiner Welt von Glück und Liebe in unsern Herzen zurück¬
gelassen hatte, alles beschäftigte nus so, daß wir lautlos dasaßen.

Als wir durch einen dichten Laubgang fuhren, der, wie bei dem alten Krenz-
gmige, vorn eine kleine Lichtung zeigte, unterbrach Fritz das Schweigen: Kennst
du die kleine Bergmann? Dunkle Augen, lange, schwarze Zöpfe, feine, zierliche
Gestalt, ein himmlisches Mädchen! Ich treffe sie fast täglich nach zwölf Uhr
auf dem Steiiiweg, wen" ich aus dem Kolleg komme. Herr Gott, wen" ich
doch auch eimual das Glück hätte, deu Alten im Kreuzgang an die Wand
gelehnt zu finden! Mit welcher Inbrunst wollte ich den nach Hause schleppen!

Ich lachte laut auf, denn nur stand deutlich das Bild vor Augen: die
mächtige, hünenhafte Gestalt Bergmanns und dazu als Schlepper über den
Augustnsplatz der kleine schmächtige Theologe.

Du lachst, sagte er ärgerlich; ja, giebt es denn noch einen andern Weg,


Bilder aus dem Universttätsleben

zu ihm zu kommen. Nun kommen Sie nur gleich mit! Sie haben übrigens
Ihren Hut bei uns gelassen.

Ich griff nach meinem Hute. Wahrhaftig, es war ein fremder, und das
merkte ich erst jetzt! Sie lachte — es klang mir in dem alten Gewölbe wie
Engelsgesang. Dann gingen wir nach ihrer Wohnung. Dieser Weg aber wurde
für mich der Anfang eines neuen Lebens: ich bin der glücklichste Mensch
geworden, sehen Sie, und das alles nur durch den alten Kreuzgang!

Der Pfarrer machte eine kleine Pause und stellte seine Pfeife weg.

Was ist denn aus Fräulein Müller geworden? fragten nur gespannt.

Da kommt sie ja! rief der Pfarrer fröhlich lachend und wies auf die
eben geöffnete Thür, wo die Frau Pfarrerin mit einer Kvsteprobe duftenden
heißen Speckkuchens erschien. Er eilte ans sie zu, nahm ihr den Teller ub und
gab ihr einen herzhaften Kuß.

Die Frau Pfarrerin wußte gar nicht, wie ihr geschah, sie wurde rot
vor Verlegenheit und wehrte ihn mit einem Blick ans uns etwas unwillig ab.

Aber er rief: Laß nur, vor denen haben wir keine Geheimnisse, das sind
Leipziger! Prosit, meine Herren! Stoßt an! Leipzig soll leben, Hurra hoch!

Es war spät geworden, als wir uns von den lieben Pfarrerslcuten
verabschiedeten. Wir hatten zwei Meilen Wegs »ach unserm Städtchen zurück¬
zulegen und schickten uns an, den Weg durch die entzückende Sommernacht
zu Fuß zu machen. Aber davon wollte der Pfarrer nichts wissen; er ließ
die Braunen anspannen, der Knecht schwang sich auf den Wagen, und fort
gings über das holprige Dvrfpftaster nach der Chaussee. Wir fuhren eine
kurze Strecke, dann bog der Wagen links in eine Landstraße, die uns durch
eine» dichten Buchenwald führte.

Der Weg war etwas sandig, und der Wagen bewegte sich langsam vor¬
wärts. Die feierliche Stille, die milde Luft, das zauberische Mondlicht, das
durch die Wipfel flutete, der lebendige, beseligende Eindruck, den das freund¬
liche Pfarrhaus mit seiner Welt von Glück und Liebe in unsern Herzen zurück¬
gelassen hatte, alles beschäftigte nus so, daß wir lautlos dasaßen.

Als wir durch einen dichten Laubgang fuhren, der, wie bei dem alten Krenz-
gmige, vorn eine kleine Lichtung zeigte, unterbrach Fritz das Schweigen: Kennst
du die kleine Bergmann? Dunkle Augen, lange, schwarze Zöpfe, feine, zierliche
Gestalt, ein himmlisches Mädchen! Ich treffe sie fast täglich nach zwölf Uhr
auf dem Steiiiweg, wen» ich aus dem Kolleg komme. Herr Gott, wen» ich
doch auch eimual das Glück hätte, deu Alten im Kreuzgang an die Wand
gelehnt zu finden! Mit welcher Inbrunst wollte ich den nach Hause schleppen!

Ich lachte laut auf, denn nur stand deutlich das Bild vor Augen: die
mächtige, hünenhafte Gestalt Bergmanns und dazu als Schlepper über den
Augustnsplatz der kleine schmächtige Theologe.

Du lachst, sagte er ärgerlich; ja, giebt es denn noch einen andern Weg,


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[0146] Bilder aus dem Universttätsleben zu ihm zu kommen. Nun kommen Sie nur gleich mit! Sie haben übrigens Ihren Hut bei uns gelassen. Ich griff nach meinem Hute. Wahrhaftig, es war ein fremder, und das merkte ich erst jetzt! Sie lachte — es klang mir in dem alten Gewölbe wie Engelsgesang. Dann gingen wir nach ihrer Wohnung. Dieser Weg aber wurde für mich der Anfang eines neuen Lebens: ich bin der glücklichste Mensch geworden, sehen Sie, und das alles nur durch den alten Kreuzgang! Der Pfarrer machte eine kleine Pause und stellte seine Pfeife weg. Was ist denn aus Fräulein Müller geworden? fragten nur gespannt. Da kommt sie ja! rief der Pfarrer fröhlich lachend und wies auf die eben geöffnete Thür, wo die Frau Pfarrerin mit einer Kvsteprobe duftenden heißen Speckkuchens erschien. Er eilte ans sie zu, nahm ihr den Teller ub und gab ihr einen herzhaften Kuß. Die Frau Pfarrerin wußte gar nicht, wie ihr geschah, sie wurde rot vor Verlegenheit und wehrte ihn mit einem Blick ans uns etwas unwillig ab. Aber er rief: Laß nur, vor denen haben wir keine Geheimnisse, das sind Leipziger! Prosit, meine Herren! Stoßt an! Leipzig soll leben, Hurra hoch! Es war spät geworden, als wir uns von den lieben Pfarrerslcuten verabschiedeten. Wir hatten zwei Meilen Wegs »ach unserm Städtchen zurück¬ zulegen und schickten uns an, den Weg durch die entzückende Sommernacht zu Fuß zu machen. Aber davon wollte der Pfarrer nichts wissen; er ließ die Braunen anspannen, der Knecht schwang sich auf den Wagen, und fort gings über das holprige Dvrfpftaster nach der Chaussee. Wir fuhren eine kurze Strecke, dann bog der Wagen links in eine Landstraße, die uns durch eine» dichten Buchenwald führte. Der Weg war etwas sandig, und der Wagen bewegte sich langsam vor¬ wärts. Die feierliche Stille, die milde Luft, das zauberische Mondlicht, das durch die Wipfel flutete, der lebendige, beseligende Eindruck, den das freund¬ liche Pfarrhaus mit seiner Welt von Glück und Liebe in unsern Herzen zurück¬ gelassen hatte, alles beschäftigte nus so, daß wir lautlos dasaßen. Als wir durch einen dichten Laubgang fuhren, der, wie bei dem alten Krenz- gmige, vorn eine kleine Lichtung zeigte, unterbrach Fritz das Schweigen: Kennst du die kleine Bergmann? Dunkle Augen, lange, schwarze Zöpfe, feine, zierliche Gestalt, ein himmlisches Mädchen! Ich treffe sie fast täglich nach zwölf Uhr auf dem Steiiiweg, wen» ich aus dem Kolleg komme. Herr Gott, wen» ich doch auch eimual das Glück hätte, deu Alten im Kreuzgang an die Wand gelehnt zu finden! Mit welcher Inbrunst wollte ich den nach Hause schleppen! Ich lachte laut auf, denn nur stand deutlich das Bild vor Augen: die mächtige, hünenhafte Gestalt Bergmanns und dazu als Schlepper über den Augustnsplatz der kleine schmächtige Theologe. Du lachst, sagte er ärgerlich; ja, giebt es denn noch einen andern Weg,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/146>, abgerufen am 06.01.2025.