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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Stätte die Rede war, und so mußte Schäfers Sonntagslied herhalten. Dieses
Lied hat mich seitdem überall verfolgt, wo nur ein deutscher Münnergesang-
verein mit dem bekannten blechernen Tenor und grunzenden Buß eine
Huldigung darzubringen hatte: morgens, abends, mittags und nachts, bei der
Pensionirung des Dorfschulmeisters und bei der Hochzeit des Landrath, bei
der Durchreise des Kronprinzen durch unsre Kreisstadt und bei der Eröffnungs¬
feier der Eisenbahn -- alles waren "Tage des Herrn"! Übrigens schienen die
Leipziger mit dem Svnntagsliede nicht ganz zufrieden zu sein, denn man
stimmte dann noch Schillers Lied an die Freude an, und zwar mit solcher
Inbrunst, daß sich bei dein Verse: Seid umschlungen, Millionen! viele sonst
nicht gerade sentimental aussehende, wohlgenährte Leute in die Arme fielen
und Thränen der Rührung vergossen. Für mich war damit die Vorfeier zu
Ende, denn die Hauptsache für die meisten, das leckre Festessen und die gründ¬
liche Befeuchtung der Kehlen im Waldschlößchen, konnte ich natürlich nicht
mitmachen. Was ich am zehnten November, ohne meinen Geldbeutel aufzu-
thun, genießen konnte, das genoß ich selbstverständlich redlich: den Aktus
in der Universität, bei dem der kleine Preußenfresser Wuttke die Rede hielt und
Grillparzer und Ludwig Richter zu Ehrendoktoren ernannt wurden, den großen
Festzug der Innungen durch die Stadt nach dem Markte, wo der berühmte
Pandektenlehrer Wächter den toten Dichter hochleben ließ, und abends den
Fackelzug vom Augusteum nach dem "kleinen Joachimsthal" in der Hain¬
straße, wo Schiller gewohnt haben soll, und wo unter dem Gesänge der
Pauliner und nach einer Rede des Bürgermeisters Koch eine Gedenktafel ent¬
hüllt wurde. Aber zu solcher Begeisterung mit leerem Magen gehört Herois¬
mus. Jetzt könnte ichs nicht mehr. Und wie wurde einem damals in Leipzig
der Mund wäßrig gemacht mit Schillertorten, Mannheimer Schillerbrötchen,
Marbacher Knebeln, Schillers Lieblingsgebäck, Schillerbraten, Schillerpunsch-
essenz und andern leckern Sachen!

Aber Herr Pfarrer, sagte Freund Fritz. Sie wollten uns doch Ihr Aben¬
teuer im Kreuzgange erzählen!

Kommt gleich, nur Geduld! Was ich zu berichten habe, ist ja kein
Drama, auch keine kunstvoll gewebte Novelle, sondern nur ein einfaches Idyll,
und darin kann man sich schon etwas gehen lassen.

Als ich am dritten Tage des Festes drei ganze Tage nämlich dauerte
der Jubel! -- spät abends durch die Straßen wanderte und um die hell¬
erleuchteten Weilt- und Bierlokale schweifte, wo die unzähligen Vereine, Innungen
und Korporationen "ihren" Schiller feierten, da war mir recht kläglich zu
Mute. Herr des Himmels! man hatte doch auch "seinen" Schiller lieb und
lebte in seinen Versen und schwärmte und litt mit seinen Helden. Man hätte
doch auch gern einmal Zeugnis davon abgelegt und den Manen des Dichters,
dein mau so viele selige Stunden verdankte, ein Weihopfer gebracht. Aber



Stätte die Rede war, und so mußte Schäfers Sonntagslied herhalten. Dieses
Lied hat mich seitdem überall verfolgt, wo nur ein deutscher Münnergesang-
verein mit dem bekannten blechernen Tenor und grunzenden Buß eine
Huldigung darzubringen hatte: morgens, abends, mittags und nachts, bei der
Pensionirung des Dorfschulmeisters und bei der Hochzeit des Landrath, bei
der Durchreise des Kronprinzen durch unsre Kreisstadt und bei der Eröffnungs¬
feier der Eisenbahn — alles waren „Tage des Herrn"! Übrigens schienen die
Leipziger mit dem Svnntagsliede nicht ganz zufrieden zu sein, denn man
stimmte dann noch Schillers Lied an die Freude an, und zwar mit solcher
Inbrunst, daß sich bei dein Verse: Seid umschlungen, Millionen! viele sonst
nicht gerade sentimental aussehende, wohlgenährte Leute in die Arme fielen
und Thränen der Rührung vergossen. Für mich war damit die Vorfeier zu
Ende, denn die Hauptsache für die meisten, das leckre Festessen und die gründ¬
liche Befeuchtung der Kehlen im Waldschlößchen, konnte ich natürlich nicht
mitmachen. Was ich am zehnten November, ohne meinen Geldbeutel aufzu-
thun, genießen konnte, das genoß ich selbstverständlich redlich: den Aktus
in der Universität, bei dem der kleine Preußenfresser Wuttke die Rede hielt und
Grillparzer und Ludwig Richter zu Ehrendoktoren ernannt wurden, den großen
Festzug der Innungen durch die Stadt nach dem Markte, wo der berühmte
Pandektenlehrer Wächter den toten Dichter hochleben ließ, und abends den
Fackelzug vom Augusteum nach dem „kleinen Joachimsthal" in der Hain¬
straße, wo Schiller gewohnt haben soll, und wo unter dem Gesänge der
Pauliner und nach einer Rede des Bürgermeisters Koch eine Gedenktafel ent¬
hüllt wurde. Aber zu solcher Begeisterung mit leerem Magen gehört Herois¬
mus. Jetzt könnte ichs nicht mehr. Und wie wurde einem damals in Leipzig
der Mund wäßrig gemacht mit Schillertorten, Mannheimer Schillerbrötchen,
Marbacher Knebeln, Schillers Lieblingsgebäck, Schillerbraten, Schillerpunsch-
essenz und andern leckern Sachen!

Aber Herr Pfarrer, sagte Freund Fritz. Sie wollten uns doch Ihr Aben¬
teuer im Kreuzgange erzählen!

Kommt gleich, nur Geduld! Was ich zu berichten habe, ist ja kein
Drama, auch keine kunstvoll gewebte Novelle, sondern nur ein einfaches Idyll,
und darin kann man sich schon etwas gehen lassen.

Als ich am dritten Tage des Festes drei ganze Tage nämlich dauerte
der Jubel! — spät abends durch die Straßen wanderte und um die hell¬
erleuchteten Weilt- und Bierlokale schweifte, wo die unzähligen Vereine, Innungen
und Korporationen „ihren" Schiller feierten, da war mir recht kläglich zu
Mute. Herr des Himmels! man hatte doch auch „seinen" Schiller lieb und
lebte in seinen Versen und schwärmte und litt mit seinen Helden. Man hätte
doch auch gern einmal Zeugnis davon abgelegt und den Manen des Dichters,
dein mau so viele selige Stunden verdankte, ein Weihopfer gebracht. Aber


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[0140] Stätte die Rede war, und so mußte Schäfers Sonntagslied herhalten. Dieses Lied hat mich seitdem überall verfolgt, wo nur ein deutscher Münnergesang- verein mit dem bekannten blechernen Tenor und grunzenden Buß eine Huldigung darzubringen hatte: morgens, abends, mittags und nachts, bei der Pensionirung des Dorfschulmeisters und bei der Hochzeit des Landrath, bei der Durchreise des Kronprinzen durch unsre Kreisstadt und bei der Eröffnungs¬ feier der Eisenbahn — alles waren „Tage des Herrn"! Übrigens schienen die Leipziger mit dem Svnntagsliede nicht ganz zufrieden zu sein, denn man stimmte dann noch Schillers Lied an die Freude an, und zwar mit solcher Inbrunst, daß sich bei dein Verse: Seid umschlungen, Millionen! viele sonst nicht gerade sentimental aussehende, wohlgenährte Leute in die Arme fielen und Thränen der Rührung vergossen. Für mich war damit die Vorfeier zu Ende, denn die Hauptsache für die meisten, das leckre Festessen und die gründ¬ liche Befeuchtung der Kehlen im Waldschlößchen, konnte ich natürlich nicht mitmachen. Was ich am zehnten November, ohne meinen Geldbeutel aufzu- thun, genießen konnte, das genoß ich selbstverständlich redlich: den Aktus in der Universität, bei dem der kleine Preußenfresser Wuttke die Rede hielt und Grillparzer und Ludwig Richter zu Ehrendoktoren ernannt wurden, den großen Festzug der Innungen durch die Stadt nach dem Markte, wo der berühmte Pandektenlehrer Wächter den toten Dichter hochleben ließ, und abends den Fackelzug vom Augusteum nach dem „kleinen Joachimsthal" in der Hain¬ straße, wo Schiller gewohnt haben soll, und wo unter dem Gesänge der Pauliner und nach einer Rede des Bürgermeisters Koch eine Gedenktafel ent¬ hüllt wurde. Aber zu solcher Begeisterung mit leerem Magen gehört Herois¬ mus. Jetzt könnte ichs nicht mehr. Und wie wurde einem damals in Leipzig der Mund wäßrig gemacht mit Schillertorten, Mannheimer Schillerbrötchen, Marbacher Knebeln, Schillers Lieblingsgebäck, Schillerbraten, Schillerpunsch- essenz und andern leckern Sachen! Aber Herr Pfarrer, sagte Freund Fritz. Sie wollten uns doch Ihr Aben¬ teuer im Kreuzgange erzählen! Kommt gleich, nur Geduld! Was ich zu berichten habe, ist ja kein Drama, auch keine kunstvoll gewebte Novelle, sondern nur ein einfaches Idyll, und darin kann man sich schon etwas gehen lassen. Als ich am dritten Tage des Festes drei ganze Tage nämlich dauerte der Jubel! — spät abends durch die Straßen wanderte und um die hell¬ erleuchteten Weilt- und Bierlokale schweifte, wo die unzähligen Vereine, Innungen und Korporationen „ihren" Schiller feierten, da war mir recht kläglich zu Mute. Herr des Himmels! man hatte doch auch „seinen" Schiller lieb und lebte in seinen Versen und schwärmte und litt mit seinen Helden. Man hätte doch auch gern einmal Zeugnis davon abgelegt und den Manen des Dichters, dein mau so viele selige Stunden verdankte, ein Weihopfer gebracht. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/140>, abgerufen am 08.01.2025.