Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.tisches Systeiu. Eine verständigere Zukunft wird es dereinst für eine kindische Noch viel schlimmer als mit dein Parlamentarismus ist die Welt mit tisches Systeiu. Eine verständigere Zukunft wird es dereinst für eine kindische Noch viel schlimmer als mit dein Parlamentarismus ist die Welt mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212490"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_18" prev="#ID_17"> tisches Systeiu. Eine verständigere Zukunft wird es dereinst für eine kindische<lb/> Thorheit halten, daß jetzt eine zufällige Mehrheit von ein paar Stimmen in<lb/> irgend einer vielleicht ganz untergeordneten Frage genügt, das jeweilige<lb/> Ministerium zu stürzen und unter Umständen eine schwere Krisis heraufzu-<lb/> beschwören, eine Thorheit, die dein berüchtigten polnischen I.ib«>nnn volo nicht<lb/> viel nachsteht, die jede Negierung zur Sklavin einer kennt zusammengewürfelten,<lb/> unter sich häufig zwiespältigen und zu jeder positiven Schöpfung unfähigen<lb/> Mehrheit macht und jede Stetigkeit der innern und äußern Politik aufhebt,<lb/> und ebensowenig wird man es dann begreifen, daß der rücksichtslose Despo¬<lb/> tismus und die schamlose Selbstsucht der herrschenden Partei, wie sie in Nord¬<lb/> amerika erscheinen, einmal für „Freiheit" gelten konnten. Diesem System gilt<lb/> die Regierung für die beste, die am besten zu gehorchen versteht, d. h. die<lb/> schwächste, eine Regierung also, die am wenigsten eine wahre Regierung ist.<lb/> Greift dann einmal in einem verzweifelten Falle der Monarch ganz persönlich<lb/> ein, um dem verbrieften Unfug zu steuern, wie jetzt in Griechenland, das sich<lb/> bekanntlich des reinsten Parlamentarismus erfreut und bei jedem Minister-<lb/> Wechsel sämtliche Beamten wechselt bis zum Nachtwächter hinunter, dann<lb/> schütteln die weisen Thebaner bedeutungsvoll die Köpfe über dieses „verfassungs¬<lb/> widrige" Beginnen und prophezeien ein Unheil, das merkwürdigerweise nie<lb/> eintrifft. Vial,ju8tit,in, persat muraal». Der Staat mag zu Grunde gehen,<lb/> wenn nur der „reine" Parlamentarismus gerettet wird. Wenn sich dieser<lb/> Parlamentarismus in England bis auf weitres ohne großen Schaden behauptet<lb/> hat, so verdankt er das noch mehr als dem lauge bewahrte» aristokratischen<lb/> Charakter der großen Parteien und der massiven Selbstsucht des englischen<lb/> Volkes der insulare» Lage des Landes, die es von der Notwendigkeit, eine<lb/> angestrengte, schwierige europäische Politik zu führen, entbindet. Eben deshalb<lb/> hätte dies Vorbild für festländische Staaten niemals maßgebend sein dürfen, nur<lb/> die bare Gedankenlosigkeit hat es dazu gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_19" next="#ID_20"> Noch viel schlimmer als mit dein Parlamentarismus ist die Welt mit<lb/> dem wirtschaftlichem Liberalismus gefahren. Es P ja nicht wahr, daß wirt¬<lb/> schaftliche Fragen mit dem Wesen politischer Parteien nichts zu thun Hütten;<lb/> das gerade Gegenteil ist der Fall. Vielleicht ist es gleichgiltig, ob sich ein<lb/> Konservativer zum Freihandel oder zum Schutzzoll bekennt, den» dabei handelt<lb/> sichs überhaupt nicht um prinzipielle, sondern um rein praktische Fragen, die<lb/> hente so und morgen anders beantwortet werden können. Aber ob jemand<lb/> dem manchesterlichen Gehenlassen huldigt, oder ob er der Ansicht ist, daß es<lb/> die Ausgabe des Staates sei, die wirtschaftlich Schwachen vor Unterdrückung<lb/> und Untergang zu schützen, das ist für seine politische Parteistellnng ent¬<lb/> scheidend. Das mnnchesterliche Ideal insbesondre hängt mit dem nnturrecht-<lb/> lichen Individualismus des Liberalismus aufs engste zusammen, es ist die<lb/> wirtschaftliche Folgerung uns ihm. Wer diesem liberalen Ideal wirklich treu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
tisches Systeiu. Eine verständigere Zukunft wird es dereinst für eine kindische
Thorheit halten, daß jetzt eine zufällige Mehrheit von ein paar Stimmen in
irgend einer vielleicht ganz untergeordneten Frage genügt, das jeweilige
Ministerium zu stürzen und unter Umständen eine schwere Krisis heraufzu-
beschwören, eine Thorheit, die dein berüchtigten polnischen I.ib«>nnn volo nicht
viel nachsteht, die jede Negierung zur Sklavin einer kennt zusammengewürfelten,
unter sich häufig zwiespältigen und zu jeder positiven Schöpfung unfähigen
Mehrheit macht und jede Stetigkeit der innern und äußern Politik aufhebt,
und ebensowenig wird man es dann begreifen, daß der rücksichtslose Despo¬
tismus und die schamlose Selbstsucht der herrschenden Partei, wie sie in Nord¬
amerika erscheinen, einmal für „Freiheit" gelten konnten. Diesem System gilt
die Regierung für die beste, die am besten zu gehorchen versteht, d. h. die
schwächste, eine Regierung also, die am wenigsten eine wahre Regierung ist.
Greift dann einmal in einem verzweifelten Falle der Monarch ganz persönlich
ein, um dem verbrieften Unfug zu steuern, wie jetzt in Griechenland, das sich
bekanntlich des reinsten Parlamentarismus erfreut und bei jedem Minister-
Wechsel sämtliche Beamten wechselt bis zum Nachtwächter hinunter, dann
schütteln die weisen Thebaner bedeutungsvoll die Köpfe über dieses „verfassungs¬
widrige" Beginnen und prophezeien ein Unheil, das merkwürdigerweise nie
eintrifft. Vial,ju8tit,in, persat muraal». Der Staat mag zu Grunde gehen,
wenn nur der „reine" Parlamentarismus gerettet wird. Wenn sich dieser
Parlamentarismus in England bis auf weitres ohne großen Schaden behauptet
hat, so verdankt er das noch mehr als dem lauge bewahrte» aristokratischen
Charakter der großen Parteien und der massiven Selbstsucht des englischen
Volkes der insulare» Lage des Landes, die es von der Notwendigkeit, eine
angestrengte, schwierige europäische Politik zu führen, entbindet. Eben deshalb
hätte dies Vorbild für festländische Staaten niemals maßgebend sein dürfen, nur
die bare Gedankenlosigkeit hat es dazu gemacht.
Noch viel schlimmer als mit dein Parlamentarismus ist die Welt mit
dem wirtschaftlichem Liberalismus gefahren. Es P ja nicht wahr, daß wirt¬
schaftliche Fragen mit dem Wesen politischer Parteien nichts zu thun Hütten;
das gerade Gegenteil ist der Fall. Vielleicht ist es gleichgiltig, ob sich ein
Konservativer zum Freihandel oder zum Schutzzoll bekennt, den» dabei handelt
sichs überhaupt nicht um prinzipielle, sondern um rein praktische Fragen, die
hente so und morgen anders beantwortet werden können. Aber ob jemand
dem manchesterlichen Gehenlassen huldigt, oder ob er der Ansicht ist, daß es
die Ausgabe des Staates sei, die wirtschaftlich Schwachen vor Unterdrückung
und Untergang zu schützen, das ist für seine politische Parteistellnng ent¬
scheidend. Das mnnchesterliche Ideal insbesondre hängt mit dem nnturrecht-
lichen Individualismus des Liberalismus aufs engste zusammen, es ist die
wirtschaftliche Folgerung uns ihm. Wer diesem liberalen Ideal wirklich treu
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |