Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lhina und das Abendland

einigermaßen unbefangen in die Vorgeschichte des zweiten Krieges vertieft,
nuiß erkennen, daß es die Chinesen nicht anders haben wollten. Der unmittel¬
bare Anlaß: die angebliche Verletzung der englischen Flagge auf einem kleinen
Küstenschiffe, das diese Flagge gar nicht einmal hätte sichren dürfen, war
allerdings kaum der Rede wert, und daher hat es auch natürlich in England
nicht an moralisirenden Leuten gefehlt, die aus diesem Grunde much den
zweiten Krieg verurteilten. Als ob er abzuwenden gewesen wäre, auch wenn
man diese Streitfrage gütlich beigelegt hätte! Die Zeit war eben gekommen,
wo sich das Abendland von den chinesischen Mandarinen nicht mehr von oben
herab behandeln lassen wollte. Konnte man sich in Peking nicht dazu ver¬
stehen, das zu begreifen, so mußte eben die Gewalt entscheiden.

Lord Palmerston war auch schon am Ende des Jahres 1856 hierzu ent¬
schlossen. Er forderte die Franzosen, Russen und Amerikaner zur Mitwirkung
auf, weil das ganze Abendland an dieser Sache gleichmüßig interessirt sein
müßte. Der Kaiser Napoleon war auch alsbald dazu bereit, da in demselben
Jahre ein französischer Missionar auf Befehl chinesischer Beamten gefoltert
und enthauptet worden war. Die Russen und Amerikaner liehen den beiden
andern Mächten wenigstens ihre moralische Unterstützung, indem sie einige
Kriegsschiffe mit Bevollmächtigten an Bord in die chinesischen Gewässer schickten.
Die Engländer wie die Franzosen waren sehr glücklich in der Wahl ihrer Be¬
vollmächtigten, da beide, Lord Elgin und Baron Gros, neben einem durchaus
klaren Kopfe für ihre nicht leichte Aufgabe großen Takt besaßen.

Der Beginn der Feindseligkeiten zog sich jedoch noch etwas hin, weil die
Engländer erst mit der Empörung in Indien fertig werden mußten. Als sie
dann Ende 1857 eine Anzahl einheimischer Regimenter ohne Gefahr von dort
wegnehmen konnten, wurde im Verein mit den Franzosen Kanton erstürmt,
was nicht viel Mühe machte. Den widerspenstigen Generalgouvemeur Ach
nahm man gefangen und brachte ihn auf ein englisches Kriegsschiff. Dann
fuhr die ganze Flotte nach Norden. Aber bevor die Feindseligkeiten fortgesetzt
wurden, versuchten es alle vier Mächte von Shanghai aus noch einmal, den
Hof von Peking ans gütlichem Wege umzustimmen und zur Vernunft zu
bringen. Vergebens! Die sehr gemäßigten Forderungen der Verbündeten, die
nur auf Herbeiführung beßrer Beziehungen gingen, wurden einfach zurückge¬
wiesen, ein ganz thörichter Schritt, da man gar nicht imstande war, nennens¬
werten Widerstand zu leisten. So blieb den europäischen Mächten nichts andres
übrig, als die Annahme ihrer Forderungen zu erzwingen, und das war am
schnellsten durch ein Vorgehen gegen Peking zu erreichen. Die vereinigte Flotte
dampfte also ins Gelbe Meer, das noch nie zuvor feindliche europäische Schiffe
getragen hatte, und nahm in: Mai 1858 ohne großen Verlust die sämtlichen
an der Mündung des Paiho bei Tccku liegenden Befestigungen ein. Dadurch
war der Weg nach Peking frei. Inzwischen aber hatten sich die Chinesen


Lhina und das Abendland

einigermaßen unbefangen in die Vorgeschichte des zweiten Krieges vertieft,
nuiß erkennen, daß es die Chinesen nicht anders haben wollten. Der unmittel¬
bare Anlaß: die angebliche Verletzung der englischen Flagge auf einem kleinen
Küstenschiffe, das diese Flagge gar nicht einmal hätte sichren dürfen, war
allerdings kaum der Rede wert, und daher hat es auch natürlich in England
nicht an moralisirenden Leuten gefehlt, die aus diesem Grunde much den
zweiten Krieg verurteilten. Als ob er abzuwenden gewesen wäre, auch wenn
man diese Streitfrage gütlich beigelegt hätte! Die Zeit war eben gekommen,
wo sich das Abendland von den chinesischen Mandarinen nicht mehr von oben
herab behandeln lassen wollte. Konnte man sich in Peking nicht dazu ver¬
stehen, das zu begreifen, so mußte eben die Gewalt entscheiden.

Lord Palmerston war auch schon am Ende des Jahres 1856 hierzu ent¬
schlossen. Er forderte die Franzosen, Russen und Amerikaner zur Mitwirkung
auf, weil das ganze Abendland an dieser Sache gleichmüßig interessirt sein
müßte. Der Kaiser Napoleon war auch alsbald dazu bereit, da in demselben
Jahre ein französischer Missionar auf Befehl chinesischer Beamten gefoltert
und enthauptet worden war. Die Russen und Amerikaner liehen den beiden
andern Mächten wenigstens ihre moralische Unterstützung, indem sie einige
Kriegsschiffe mit Bevollmächtigten an Bord in die chinesischen Gewässer schickten.
Die Engländer wie die Franzosen waren sehr glücklich in der Wahl ihrer Be¬
vollmächtigten, da beide, Lord Elgin und Baron Gros, neben einem durchaus
klaren Kopfe für ihre nicht leichte Aufgabe großen Takt besaßen.

Der Beginn der Feindseligkeiten zog sich jedoch noch etwas hin, weil die
Engländer erst mit der Empörung in Indien fertig werden mußten. Als sie
dann Ende 1857 eine Anzahl einheimischer Regimenter ohne Gefahr von dort
wegnehmen konnten, wurde im Verein mit den Franzosen Kanton erstürmt,
was nicht viel Mühe machte. Den widerspenstigen Generalgouvemeur Ach
nahm man gefangen und brachte ihn auf ein englisches Kriegsschiff. Dann
fuhr die ganze Flotte nach Norden. Aber bevor die Feindseligkeiten fortgesetzt
wurden, versuchten es alle vier Mächte von Shanghai aus noch einmal, den
Hof von Peking ans gütlichem Wege umzustimmen und zur Vernunft zu
bringen. Vergebens! Die sehr gemäßigten Forderungen der Verbündeten, die
nur auf Herbeiführung beßrer Beziehungen gingen, wurden einfach zurückge¬
wiesen, ein ganz thörichter Schritt, da man gar nicht imstande war, nennens¬
werten Widerstand zu leisten. So blieb den europäischen Mächten nichts andres
übrig, als die Annahme ihrer Forderungen zu erzwingen, und das war am
schnellsten durch ein Vorgehen gegen Peking zu erreichen. Die vereinigte Flotte
dampfte also ins Gelbe Meer, das noch nie zuvor feindliche europäische Schiffe
getragen hatte, und nahm in: Mai 1858 ohne großen Verlust die sämtlichen
an der Mündung des Paiho bei Tccku liegenden Befestigungen ein. Dadurch
war der Weg nach Peking frei. Inzwischen aber hatten sich die Chinesen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212600"/>
            <fw type="header" place="top"> Lhina und das Abendland</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_338" prev="#ID_337"> einigermaßen unbefangen in die Vorgeschichte des zweiten Krieges vertieft,<lb/>
nuiß erkennen, daß es die Chinesen nicht anders haben wollten. Der unmittel¬<lb/>
bare Anlaß: die angebliche Verletzung der englischen Flagge auf einem kleinen<lb/>
Küstenschiffe, das diese Flagge gar nicht einmal hätte sichren dürfen, war<lb/>
allerdings kaum der Rede wert, und daher hat es auch natürlich in England<lb/>
nicht an moralisirenden Leuten gefehlt, die aus diesem Grunde much den<lb/>
zweiten Krieg verurteilten. Als ob er abzuwenden gewesen wäre, auch wenn<lb/>
man diese Streitfrage gütlich beigelegt hätte! Die Zeit war eben gekommen,<lb/>
wo sich das Abendland von den chinesischen Mandarinen nicht mehr von oben<lb/>
herab behandeln lassen wollte. Konnte man sich in Peking nicht dazu ver¬<lb/>
stehen, das zu begreifen, so mußte eben die Gewalt entscheiden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_339"> Lord Palmerston war auch schon am Ende des Jahres 1856 hierzu ent¬<lb/>
schlossen. Er forderte die Franzosen, Russen und Amerikaner zur Mitwirkung<lb/>
auf, weil das ganze Abendland an dieser Sache gleichmüßig interessirt sein<lb/>
müßte. Der Kaiser Napoleon war auch alsbald dazu bereit, da in demselben<lb/>
Jahre ein französischer Missionar auf Befehl chinesischer Beamten gefoltert<lb/>
und enthauptet worden war. Die Russen und Amerikaner liehen den beiden<lb/>
andern Mächten wenigstens ihre moralische Unterstützung, indem sie einige<lb/>
Kriegsschiffe mit Bevollmächtigten an Bord in die chinesischen Gewässer schickten.<lb/>
Die Engländer wie die Franzosen waren sehr glücklich in der Wahl ihrer Be¬<lb/>
vollmächtigten, da beide, Lord Elgin und Baron Gros, neben einem durchaus<lb/>
klaren Kopfe für ihre nicht leichte Aufgabe großen Takt besaßen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_340" next="#ID_341"> Der Beginn der Feindseligkeiten zog sich jedoch noch etwas hin, weil die<lb/>
Engländer erst mit der Empörung in Indien fertig werden mußten. Als sie<lb/>
dann Ende 1857 eine Anzahl einheimischer Regimenter ohne Gefahr von dort<lb/>
wegnehmen konnten, wurde im Verein mit den Franzosen Kanton erstürmt,<lb/>
was nicht viel Mühe machte. Den widerspenstigen Generalgouvemeur Ach<lb/>
nahm man gefangen und brachte ihn auf ein englisches Kriegsschiff. Dann<lb/>
fuhr die ganze Flotte nach Norden. Aber bevor die Feindseligkeiten fortgesetzt<lb/>
wurden, versuchten es alle vier Mächte von Shanghai aus noch einmal, den<lb/>
Hof von Peking ans gütlichem Wege umzustimmen und zur Vernunft zu<lb/>
bringen. Vergebens! Die sehr gemäßigten Forderungen der Verbündeten, die<lb/>
nur auf Herbeiführung beßrer Beziehungen gingen, wurden einfach zurückge¬<lb/>
wiesen, ein ganz thörichter Schritt, da man gar nicht imstande war, nennens¬<lb/>
werten Widerstand zu leisten. So blieb den europäischen Mächten nichts andres<lb/>
übrig, als die Annahme ihrer Forderungen zu erzwingen, und das war am<lb/>
schnellsten durch ein Vorgehen gegen Peking zu erreichen. Die vereinigte Flotte<lb/>
dampfte also ins Gelbe Meer, das noch nie zuvor feindliche europäische Schiffe<lb/>
getragen hatte, und nahm in: Mai 1858 ohne großen Verlust die sämtlichen<lb/>
an der Mündung des Paiho bei Tccku liegenden Befestigungen ein. Dadurch<lb/>
war der Weg nach Peking frei.  Inzwischen aber hatten sich die Chinesen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] Lhina und das Abendland einigermaßen unbefangen in die Vorgeschichte des zweiten Krieges vertieft, nuiß erkennen, daß es die Chinesen nicht anders haben wollten. Der unmittel¬ bare Anlaß: die angebliche Verletzung der englischen Flagge auf einem kleinen Küstenschiffe, das diese Flagge gar nicht einmal hätte sichren dürfen, war allerdings kaum der Rede wert, und daher hat es auch natürlich in England nicht an moralisirenden Leuten gefehlt, die aus diesem Grunde much den zweiten Krieg verurteilten. Als ob er abzuwenden gewesen wäre, auch wenn man diese Streitfrage gütlich beigelegt hätte! Die Zeit war eben gekommen, wo sich das Abendland von den chinesischen Mandarinen nicht mehr von oben herab behandeln lassen wollte. Konnte man sich in Peking nicht dazu ver¬ stehen, das zu begreifen, so mußte eben die Gewalt entscheiden. Lord Palmerston war auch schon am Ende des Jahres 1856 hierzu ent¬ schlossen. Er forderte die Franzosen, Russen und Amerikaner zur Mitwirkung auf, weil das ganze Abendland an dieser Sache gleichmüßig interessirt sein müßte. Der Kaiser Napoleon war auch alsbald dazu bereit, da in demselben Jahre ein französischer Missionar auf Befehl chinesischer Beamten gefoltert und enthauptet worden war. Die Russen und Amerikaner liehen den beiden andern Mächten wenigstens ihre moralische Unterstützung, indem sie einige Kriegsschiffe mit Bevollmächtigten an Bord in die chinesischen Gewässer schickten. Die Engländer wie die Franzosen waren sehr glücklich in der Wahl ihrer Be¬ vollmächtigten, da beide, Lord Elgin und Baron Gros, neben einem durchaus klaren Kopfe für ihre nicht leichte Aufgabe großen Takt besaßen. Der Beginn der Feindseligkeiten zog sich jedoch noch etwas hin, weil die Engländer erst mit der Empörung in Indien fertig werden mußten. Als sie dann Ende 1857 eine Anzahl einheimischer Regimenter ohne Gefahr von dort wegnehmen konnten, wurde im Verein mit den Franzosen Kanton erstürmt, was nicht viel Mühe machte. Den widerspenstigen Generalgouvemeur Ach nahm man gefangen und brachte ihn auf ein englisches Kriegsschiff. Dann fuhr die ganze Flotte nach Norden. Aber bevor die Feindseligkeiten fortgesetzt wurden, versuchten es alle vier Mächte von Shanghai aus noch einmal, den Hof von Peking ans gütlichem Wege umzustimmen und zur Vernunft zu bringen. Vergebens! Die sehr gemäßigten Forderungen der Verbündeten, die nur auf Herbeiführung beßrer Beziehungen gingen, wurden einfach zurückge¬ wiesen, ein ganz thörichter Schritt, da man gar nicht imstande war, nennens¬ werten Widerstand zu leisten. So blieb den europäischen Mächten nichts andres übrig, als die Annahme ihrer Forderungen zu erzwingen, und das war am schnellsten durch ein Vorgehen gegen Peking zu erreichen. Die vereinigte Flotte dampfte also ins Gelbe Meer, das noch nie zuvor feindliche europäische Schiffe getragen hatte, und nahm in: Mai 1858 ohne großen Verlust die sämtlichen an der Mündung des Paiho bei Tccku liegenden Befestigungen ein. Dadurch war der Weg nach Peking frei. Inzwischen aber hatten sich die Chinesen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/124>, abgerufen am 08.01.2025.